Regisseurin über «Göttinnen des Pop» in Luzern

Von Göttinnen, Heldinnen und dem täglichen Kampf der Frau

«Es geht um Frauen, Unabhängigkeit, Freiheit»: Regisseurin Julia Wissert.

(Bild: zvg/Ingo Hoehn)

Von Billie Holiday bis Beyoncé Knowles: Das Luzerner Theater widmet sich in einem neuen Stück sieben grossen Frauen in der Musik. Die Regisseurin Julia Wissert spricht über die Auseinandersetzung mit ihren grossen Vorbildern und die schwierige Rolle von Frauen im Theater.

Angefangen hatte es mit dem Über-Popstar unserer Zeit: Beyoncé Knowles. Ihr Song «Freedom» vom Album «Lemonade» stand am Anfang von langen Debatten und tiefen Recherchen.

Das Resultat: das Stück «Göttinnen des Pop». Darin geht’s um sieben Heldinnen und ihre Biografien und Songs. Beyoncé, Whitney Houston, Aretha Franklin, Nina Simone, Miriam Makeba, Mahalia Jackson und Billie Holiday. Sie alle sind grosse Sängerinnen und Kämpferinnen für «Gleichberechtigung, Freiheit, Liebe und eine gerechtere Welt».

Drei Schauspielerinnen tauchen ein in die Biografien der Sängerinnen und geben mit Band ihre Songs zum besten. Am Donnerstag ist Premiere in der Box des Luzerner Theaters.

Wir sprachen mit der Regisseurin über Popmusik, Heldinnen der Kindheit und Rassismus am Theater. Julia Wissert hat Theater- und Medienproduktion studiert und ist freischaffende Regisseurin. Sie stammt aus Freiburg und wohnt in Berlin. In Luzern führt sie das erste Mal Regie.

zentralplus: «Göttinnen des Pop», der Titel lässt aufhorchen. Was erwartet uns: Gesellschaftskritik? Unterhaltung? Musik?

Julia Wissert: Es ist der Versuch einer unterhaltsamen Untersuchung von politischen und gesellschaftlichen Themen in der Popmusik. Angefangen hatte es damit, dass Hannes (Oppermann, der Dramaturg) und ich uns über Beyoncé unterhielten. Sie tauchte auf einmal in verschiedensten Kontexten auf: in feministischen Online-Magazinen wie «Bitch Media», in US-amerikanischen Serien oder in der «Daily Show» mit Trevor Noah. Ich fand das interessant, wie sie so verschieden verstanden wird. Die einen sehen sie als Aktivistin, die anderen als grossartige Musikerin – und dann ist sie auch noch Mutter.

zentralplus: Am Anfang stand Beyoncés Song «Freedom»?

Wissert: Auf ihrem Album «Lemonade» ist das Artwork wahnsinnig ikonografisch. Sie als Göttin. Ich fragte mich: Wer war eigentlich vor ihr? Wie kommt es, dass jemand wie Beyoncé plötzlich diesen riesigen Mythos um sich bauen kann? Etwas, das grösser geworden ist als die Musikerin selbst.

«Was ist denn die Rebellion, wenn die Eltern schon Hippies waren?»

zentralplus: Und sind Sie schlauer geworden, was das Phänomen Beyoncé anbelangt?

Wissert: (lacht) Ich finde ihre Musik super, «Lemonade» ist superstark! Aber es stecken eben auch viele grossartige Leute dahinter. Etwa die somalisch-englische Lyrikerin Warsan Shire, die die Texte mitgeschrieben hat. Oder das Artwork ist von der Regisseurin Melina Matsoukas inspiriert. Natürlich steckt Beyoncé da mit drin, aber es ist nicht mehr sie als Genie. Ich bin nur vorsichtig, was daran «politisch» ist. Es geht immer noch darum, Platten zu verkaufen.

Beyoncé: «Freedom»:

 

zentralplus: Ist es also auch Kritik an Beyoncé?

Wissert: Viele Personen, die ich spannend finde, stehen Beyoncé kritisch gegenüber. Sie sprechen nicht ab, was sie leistet, aber gucken genauer hin: Was bedeutet es, Millionen für einen Auftritt zu bekommen und gleichzeitig Civil-Rights-Movement-Symbole zu benutzen?

Beyoncé hatte beispielsweise auf ihrer Tour ein riesiges «Feminists» auf der Bühne – dies, nachdem die Nigerianerin Ngozi Adichie 2014 den Essay «We Should All Be Feminists» veröffentlichte. Beyoncé hat in ihrem Song «Flawless» auch ein Sample von Adichie benutzt. Daraufhin sagte Adichie in einem Interview, dass der Feminismus von Beyoncé nicht der Feminismus sei, den sie für sich beansprucht.

zentralplus: Man merkt, dass Sie ein grosser Popfan sind.

Wissert: Ich weiss nicht, ob ich ein Fan bin. Ich glaube, man kann sich dem nur nicht wirklich entziehen.

Sie verkörpern die «Göttinnen des Pop»: Alina Vimbai Strähler (stehend), Sofia Elena Borsani (Mitte) und Anna Rebecca Sehls.

Sie verkörpern die «Göttinnen des Pop»: Alina Vimbai Strähler (stehend), Sofia Elena Borsani (Mitte) und Anna Rebecca Sehls.

(Bild: zvg/Ingo Höhn)

zentralplus: Man hört die Klage, Musik sei heute nicht mehr politisch. Andererseits ist der Hip-Hop in den USA momentan sehr politisch.

Wissert: Wenn ich mit meiner Mutter über die Musikerinnen ihrer Zeit spreche, merke ich: Das waren Bewegungen. Als ich ihr sagte, dass ich mit Nina Simone befasse, sagte sie: Oh Gott, natürlich: «Revolution» und «Sinnerman». Das war noch eine Aussage, als man sich anders kleidete, eine Rebellion! Ich fragte mich, was denn die Rebellion ist, wenn die Eltern schon Hippies waren. Dann wäre die einzige Rebellion, zurück zur Bürgerlichkeit?

zentralplus: Was dann?

Wissert: Ich glaube, Musik kann politisch sein, indem sie unterschiedliche Leute versammelt und verbindet. Kendrick Lamar etwa ist für mich total politisch und seine Aussagen sind politisch. Auf dem Album «To Pimp a Butterfly» spricht er viel über Black Identity. Allein die Tatsache, dass er Dingen, die sonst totgeschwiegen werden, eine so grosse Öffentlichkeit gibt, ist für mich politisch. Es schafft Identifikation.

Regisseurin Julia Wissert über das Stück:

zentralplus: Die Themen sind geblieben: die Stellung der Frau oder die Unterdrückung der Schwarzen. Hat sich gar nicht viel geändert?

Wissert: Das nehme ich traurigerweise aus der Recherche mit. Lieder, die fast 100 Jahre alt sind, sind im Grunde noch genauso zeitgemäss.

zentralplus: Was sind die dominierenden Themen im Stück?

Wissert: Es geht natürlich um Frauen, um Unabhängigkeit, um Freiheit, ums Gesehenwerden, um Liebe. Diese Dinge. Bei Aretha Franklin geht’s extrem um Liebe, bei Nina Simone um Freiheit in der Schwarzen Community.

zentralplus: Abgesehen davon, geht’s auch einfach um starke Songs?

Wissert: Total! Es wäre schön, wenn man rausgeht und denkt, ich würde jetzt gern ein Album von Miriam Makeba hören. Oder mehr über Nina Simone wissen. Von gewissen Songs war ich anfangs überhaupt nicht überzeugt, etwa «Sinnerman» von Nina Simone. Den Song hörte meine Mutter immer und ich mochte ihn als Kind nie, ich fand ihn chaotisch und hektisch. Jetzt in der Auseinandersetzung habe ich das Gefühl, eine Idee davon zu haben, woher diese Hektik kommt.

Nina Simone: «Sinnerman»:

 

zentralplus: Die Schauspielerinnen singen die Songs. War das eine Herausforderung?

Wissert: Die Herausforderung war, dass man sich ins Verhältnis mit gigantischen Frauen setzt. Wir haben versucht, in der Musik eine eigene Interpretation zu finden. Es soll nicht wie der Versuch wirken, das nachzusingen oder so zu sein wie sie. Wir haben gemerkt, dass es um die Energie geht, die diese Lieder übertragen. Etwa bei «Greatest Love of All» von Whitney Houston. Ich finde das den besten Refrain, der jemals geschrieben wurde. Obwohl mein Team dem nicht zustimmt. Aber ich finde ihn wahnsinnig stark! Egal, was sie dir nehmen, sie können dir nicht deine Würde nehmen.

Whitney Houston: «Greatest Love of All»:

 

zentralplus: Welche Songs sind für Sie sonst zentral?

Wissert: Ich bin ein grosser Billie-Holiday-Fan und mag ihren Song «God Bless the Child» total gerne. Bei ihr finde ich beeindruckend, dass sie nie eine Ausbildung gemacht hat, sondern einfach anfing zu singen, weil sie ihre Miete bezahlen musste. Egal, in welcher Situation sie war, egal, was sie erlebt hatte, sie hatte es geschafft, das in Musik zu verpacken.

In «God Bless the Child» ging es darum, dass sie abgestürzt war und kein Geld mehr hatte. Sie ging zu ihrer Mutter – und diese Mutter, die ihr ganzes Leben von ihrer Tochter gelebt hatte, schickte sie in dem Moment weg, als sie es am nötigsten gehabt hätte. Daraufhin hat sie diesen Song geschrieben.

Billie Holiday: «God Bless the Child»:

 

zentralplus: Erhält das Stück mit der aktuellen #Metoo-Debatte eine andere Dringlichkeit?

Wissert: Wenn ich einen Abend über sexuellen Missbrauch von Frauen machen würde, würde der wohl anders aussehen. Aber gleichzeitig nehme ich diese Debatten natürlich wahr, sie beeinflussen mich. Es ist verrückt, dass das noch so eine Brisanz hat. Und es ist schade, dass wir überhaupt noch darüber reden müssen. Es ist 2018, wir müssen dagegen kämpfen.

Darum geht’s in «Göttinnen des Pop»

Das Luzerner Theater hat sich auf die Suche gemacht nach dem Freiheitsbegriff in den Biografien von sieben grossen Sängerinnen: Beyoncé Knowles, Whitney Houston, Aretha Franklin, Nina Simone, Miriam Makeba, Mahalia Jackson und Billie Holiday.

Die drei Schauspielerinnen Sofia Elena Borsani, Anna Rebecca Sehls und Alina Vimbai Strähler bringen in diesem szenischen Konzert Lieder, Bilder, Geschichten und Stimmen auf die Bühne. Begleitet werden sie von einer Band aus Adina Friis, Jonas Künzli und Dennis Blassnig.

Inszenierung: Julia Wissert, Musikalische Leitung: Muriel Zemp, Dramaturgie: Hannes Oppermann. Premiere «Göttinnen des Pop»: Donnerstag 18. Januar, 20 Uhr, Box Luzerner Theater. Weitere Vorstellungen bis 31. März.

zentralplus: Es geht aber auch um Feminismus?

Wissert: Es ist nicht der erste Abend, den wir nur mit Heldinnen machen und nur mit Spielerinnen. So arbeiten wir halt einfach. Eine Regisseurin besuchte einmal die Probe und meinte: Krass, das ist ja ein feministischer Abend! Es hat mich sehr berührt, dass sie das gesagt hat.

zentralplus: Es hat sich einfach so ergeben, weil’s Frauenthemen verhandelt?

Wissert: Es sind natürlich auch Männerthemen! (lacht)

zentralplus: Sie haben sich in Ihrer Ausbildung mit «strukturellem Rassismus» beschäftigt. Wie haben Sie das selbst erlebt?

Wissert: Das hat sich eher aus Missverständnissen heraus ergeben. Ich habe irgendwann gemerkt, dass Leute Dinge auf mich projizieren, die ich gar nicht in mir sehe. Sie ist Schwarz, sie muss ans Maxim-Gorki-Theater. Bei «Göttinnen des Pop» war die Frage, ob wir darüber sprechen, dass die Sängerinnen Schwarz sind. Ich wollte das nicht, denn sobald ich sage, dass sie Schwarz sind, bedeutet es, dass wir uns zu einer weissen Norm verhalten. Und das finde ich nicht richtig. Wir sprechen nicht darüber, weil es bedeutet: Weiss ist «normal». Mich interessiert es, den Blick des Publikums auf Themen und Heldinnen zu lenken, die ich interessant finde.

zentralplus: Wie sind Ihre Erfahrungen im Theater: Haben’s Frauen schwerer?

Wissert: Oh Gott, natürlich! Den ganzen Tag! Jeden Tag, du wachst jeden Morgen auf und denkst: Jetzt wird weitergekämpft. Das ist ein Riesenthema …

zentralplus: Wirken denn im Theaterbetrieb nicht offene Geister?

Wissert: Es gab in der NZZ einen tollen Artikel darüber, dass das Theater die letzte feudale Bastion ist. Das würde ich sofort unterschreiben, das sind die letzten Königreiche. Das merke ich immer und immer wieder. Und Schwarz zu sein, ist auf jeden Fall ein Thema, auch wenn es die Leute nicht merken. Gucken Sie sich die Ensembles an: Wo sind die Schwarzen Spielerinnen? Wo sind die Autorinnen? Ich befürchte, nur die Theater glauben selbst, es wirkten offenen Geister.

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