Unverschämter Verführer treibt sich bei frivolen Frauen herum
Franz von Suppé machte den Schriftsteller Boccaccio zu einem Verführer. Und das Stadttheater machte daraus eine aufwendige Operettenproduktion mit Chor, Ballett, Live-Orchester und herausragenden Solisten. Es knüpft an den letztjährigen Erfolg mit der «Fledermaus» an – bei dem fast alles gelingt.
Licht aus, die Ouvertüre setzt ein. Gleich zu Beginn demonstriert das Orchester unter der Leitung von Andreas Joho sein hohes Niveau. Projektionen von durchaus debattierbaren Lebensweisheiten stimmen auf das Wesen der Operette ein: Leichtherzig, lebensfroh und gewitzt war Giovanni Boccaccio, der weltberühmte Dichter des «Decamerone». Die Librettisten Friedrich Zell und Richard Genée strickten Teile seines Werkes zu einer einheitlichen Geschichte zusammen, in der der Dichter selbst zur unzüchtigen Hauptfigur wird.
Dieses Libretto wiederum inspirierte den Wiener Franz von Suppé 1897 zur musikalischen Umsetzung, die das Stadttheater gegenwärtig aufführt. Es wird darin eine Novelle erzählt, sinnbildlich dargestellt durch ein überdimensioniertes Buch, aus dem Bühnenbild und Charakteren entspringen. Diese entstammen dem Florenz von 1331, wo der Hunger auf schamlose Geschichten unter den Damen der Stadt unersättlich ist und die Wut der Ehemänner zügellos. Wie wagt es ein einziger Dichter, dieser ehrlose Boccaccio, ihren «braven Weibchen» solche Flusen von Untreue und Zuchtlosigkeit in den Kopf zu setzen?
Guter Chor
In einer temporeichen Eröffnungsnummer zeigt der Surseer Chor als Verkörperung des Florentiner Fussvolkes die Bandbreite der Emotionen, die Boccaccio auslöst: In einem Hin und Her zwischen Männern, Frauen und dem Titelhelden wogen die Gefühle hoch: Zwar ist die Meute neugierig auf die «neusten Novellen aus den besten Quellen», gleichzeitig aber pikiert über deren zu erwartenden Inhalt.
Wie im letzten Jahr ist der Chor, gemeinsam mit dem Orchester, tragend für die Dichte und Reichhaltigkeit des Stückes. Gesang und Instrumente bilden eine musikalische Atmosphäre, in der die Solistenstimmen sich wunderschön entfalten können – allen voran die der Fiametta, gesungen von der jungen Luzerner Sopranistin Kathrin Hottiger, die nicht ohne Grund als eine der grossen Stimmhoffnungen der Innerschweiz gehandelt wird.
Ihr Sopran ist glockenhell und besticht durch eindrucksvolle Technik: Jede Arie ist formvollendet, genau so, wie es sich Suppé bestimmt gewünscht hätte. So singt sie etwa gemeinsam mit Boccaccio (Daniel Bentz) «Mia bella Fiorentina», eine Ode an die italienische Lebenslust und Rührseligkeit, oder das Solo «Hab’ ich nur deine Liebe», das noch lange nach dem Operettenbesuch im Ohr nachhallt.
Freude an der Freude selbst
Das Stück lebt nebst Fiametta von einer Vielzahl überzeichneter Protagonisten, die sich in ihren Rollen voll ausleben können. So singt und spielt der Altus Stefan Wieland den Pietro, Prinz von Palermo, Anbeter und Bewunderer des legendären Boccaccio, der den Stoff seiner Novellen unbedingt am eigenen Leibe erfahren will. Köstlich komödiantisch verbeisst sich der weltfremde Höfling in dieses Vorhaben und wählt sich als Objekt seiner Begierde Isabella Lotteringhi aus, die Frau des Fassbinders, verkörpert von Andrea Hofstetter.
Diese Isabella ist mitnichten ein braves Weibchen, sondern hat in ihrer Ehe mehr als nur die Hosen an. Mit grosser Spielfreude schöpft Hofstetter diese Rolle denn auch aus – im Allgemeinen lässt sich der Spass, den die Schauspieler und Sänger an ihrem Boccaccio haben, nicht leugnen.
Der Stoff der Operette bietet dazu aber auch überreiche Möglichkeit: Der Bariton Serafin Heusser muss sich als Student Leonetto und Boccaccios Wingman wider Willen mit der alten Peronella, Fiamettas Ziehmutter (Barbara Pietrzak), auf ein Techtelmechtel einlassen, Andreas Fitze als naiver Gewürzkrämer Lambertuccio glaubt, dass sein Olivenbaum verhext ist, und Raya Sarontino als unkeusche Ehefrau des Barbiers Scalza täuscht einen Überfall vor, um ihre zwei Geliebten sicher aus dem Hause zu befördern.
Ein Abend im Florenz des Jahres 1331
Insgesamt bietet «Boccaccio» in Sursee unter der Leitung von Isabelle Ruf-Weber in drei Akten Humor, Musik, Seitensprünge, Tanz und gesangliche Meisterleistungen, das Stück schliesst mit einem grossen, glücklichen Ende, der Applaus hält lange an. Genauso überzeugend wie im letzten Jahr ist die Beleuchtung (Fynn Bolliger und Cédric Dillier), wohingegen das Bühnenbild eher enttäuscht.
Zu kindlich und einfach wirkt es und hält insbesondere dem Vergleich mit der Aufmachung der «Fledermaus» nicht stand. Die Melodien, die amourösen Verwicklungen, Verwechslungen und Versöhnungen von «Boccaccio» gleichen diesen einzigen Wermutstropfen jedoch aus und liefern abendfüllende Unterhaltung auf hohem musikalischem und künstlerischem Niveau.
Bis 2. März, Stadttheater Sursee