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Das Stattkino Luzern hat die Kinobesucher am Samstagabend auf eine poetische, aber bedrückende und herausfordernde Reise nach Rio de Janeiro mitgenommen. Es wurden vier Filme des brasilianisch-schweizerischen Künstlerduos Dias & Riedweg gezeigt.
Es ist nach 2019 und 2021 bereits das dritte Mal, dass die Videoplattform «Video Window» die Leinwand des Stattkinos Luzern mit einem Videoscreening bespielen darf. «Video Window» ist eine Plattform zur Förderung und damit verbundener Präsentation von Schweizer Videokunst.
Der Sozial- und Kunsthistoriker Bruno Z‘Graggen betreibt und kuratiert «Video Window» seit 2012. Ziel ist es, breiten Bevölkerungsschichten einen Zugang zur Videokunst zu schaffen und dabei die Vielfalt und den Facettenreichtum dieser Kunstsparte zu betonen. Oft sind die Veranstaltungen mit auf die Screenings folgenden Diskussionen und Gesprächen mit Künstlerinnen und Künstlern verbunden.
Künstlerduo aus der Schweiz und Südamerika
Im Stattkino waren Künstler Mauricio Dias (*1964), Walter Riedweg (*1955) und der Kurator Bruno Z‘Graggen anwesend und tauschten sich im Anschluss an die Videovorstellung mit Michael Sutter, dem Leiter der Kunsthalle Luzern, aus.
Mauricio Dias und Walter Riedweg arbeiten seit 1993 als Künstlerduo Dias & Riedweg zusammen. Sie leben und arbeiten in Rio de Janeiro, haben aber beide in der Schweiz studiert.
In ihrer künstlerischen Tätigkeit legen sie einen besonderen Fokus auf gesellschaftliche Phänomene. Diese hängen mit der sozialen Struktur und damit verbundenen Herausforderungen und Problemen zusammen. Dieser Fokus widerspiegelt sich auch in den vier Videos, welche am Samstagabend im Stattkino zu sehen waren.
Leben in südamerikanischen Favelas
Mit «Funk Staden» (2007) und «O Espelho e a Tarde» (2011) startete das Screening mit zwei älteren Arbeiten des Künstlerduos. Beide geben einen Einblick in die Welt der südamerikanischen Favelas.
Während «Funk Staden» durch das Aufgreifen von kolonialhistorisch begründeten Klischees der südamerikanischen Bevölkerung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Bild vom Fremden und Unbekannten heranführt, ist «O Espelho e a Tarde» eine poetische Reise durch die Favela Complexo de Alemão in Rio de Janeiro. Die Bilder werden, einander überlagernd, nebeneinander projiziert. Die damit entstehenden vielfältigen Eindrücke verweisen symbolisch auf die Komplexität des Alltags und des Lebens in der Favela.
Auf die beiden Filme «Funk Staden» und «O Espelho e a Tarde» folgten zwei Premieren. «Casulo» (2019) und «Palco» (2019) bilden durch ihre thematische Verbindung Twin-Videos. In beiden Filmen begleiten Dias & Riedweg die Gruppe «A Voz dos Usuários», eine Gruppe von Patientinnen und Patienten der Psychiatrieklinik der Bundesuniversität in Rio de Janeiro, welche betreute Aktivitäten miteinander unternimmt, in ihrem Alltag.
Psychatrieklinik zwischen Schutz und Abgeschiedenheit
In «Casulo» halten die Filmemacher die Mitglieder der Gruppe bei gemeinsamen Aktivitäten, aber auch deren privaten Räumen fest. Nicht nur damit schaffen sie einen persönlichen Zugang zum Leben der Patientinnen und Patienten, sondern auch dadurch, dass sie die Mitglieder der Gruppe Fragmente aus ihrer Geschichte erzählen lassen.
Mit dem Titel «Casulo», was auf Deutsch Kokon bedeutet, wird auf den Schutz, die eine psychiatrische Klinik den Patientinnen und Patienten bietet, hingewiesen. Gleichzeitig wird damit aber auch die Abgeschiedenheit, welche diese Menschen von der Aussenwelt trennt, verdeutlicht und die Funktion der Psychiatrieklinik hinterfragt. «Casulo» regt dadurch die Kinobesucherinnen und Kinobesucher zum Nachdenken über vorherrschende soziale Strukturen und Normen an.
«Palco» (2019) – auf Deutsch «Bühne» – schafft einen humorvollen Kontrast zum eher bedrückenden Film «Casulo». Die Mitglieder der Gruppe «A Voz dos Usuàrios» treten auf eine Bühne und haben jeweils einen persönlichen Gegenstand, welcher ihnen besonders wichtig ist, dabei. Im Hintergrund läuft der für den Film komponierte Song «Nada». Damit bildet der letzte Film einen auflockernden Abschluss der Vorstellung.
Wer klassische dokumentarische Erzählstrukturen erwartet hat, wurde am Videoscreening im Stattkino enttäuscht. Dafür lassen sich Dias & Riedweg auf ein experimentelles Spiel mit dem Film als Medium ein. Der Bruch mit konventionellen Normen des Filmemachens wird für die Zuschauenden zur Herausforderung. Bei genauem Betrachten wird jedoch deutlich, dass die bildnerisch-formalen Mittel einerseits verwirren, anderseits aber immer auch den Inhalt, welcher der Film transportiert, unterstützen.
Weiteres Screening im Stattkino
Am 18. Mai 2022 um 20.30 Uhr findet ein weiteres Screening der vier Filme statt, jedoch ohne anschliessendes Gespräch. Weitere Informationen sind auf www.kunsthalle-luzern.ch zu finden.
- Besuch vor Ort im Stattkino Luzern
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