Buch des Zuger Wahlluzerners Thomas Heimgartner

Schreiben über das Leben, den Tod und das Verdrängen

Liebt freche und frische Sprache: Autor und Lehrer Thomas Heimgartner vor seiner Bücherwand.

(Bild: hae)

Thomas Heimgartner ist Lehrer und Literat. Der Wahlluzerner aus Zug hat ein Buch geschrieben: über den Nachrufschreiber Kaspar Kaiser, Fachmann für Geschichten, die tödlich enden. Woher kommt die Faszination für das Sterbliche, die sich so lebendig liest?

«Jede Art zu schreiben, ist erlaubt, nur nicht die langweilige.» Dieses Motto, frei nach Voltaire, hat sich Thomas Heimgartner zu Herzen genommen. Und ein kleines Buch über einen fiktiven Nachrufschreiber geschrieben: Kaspar Kaiser ist ein emsiger Verfasser von Nekrologen, diesen vielgelesenen Lebensbeschreibungen von Verblichenen, deren Fehler darin oft zu grossartigen Tugenden aufgemotzt werden.  

Es ist auch ein Liebesroman, der sich ums Betrügen dreht. Um Betrug in der Liebe wie im Geschäft mit Worten. Denn Kaiser weiss: «Die Texte müssen so voll mit Leben sein, dass man den Tod nicht riecht. Ich überarbeitete jeden noch so ungelenk formulierten Nachruf, bis sich niemand mehr für den Text schämen musste.» 

Das kennt auch der 44-jährige Thomas Heimgartner: Er hat einst als Journalist gearbeitet und selber Nachrufe redigiert, heute unterrichtet er Gymischüler von 12 bis 19 Jahren. «Das ist toll, ich kann bei jungen Menschen Begeisterung für Literatur wecken.» 

Freche und frische Sprache

Begeisterung zu wecken, das könnte dem erfahrenen Texter Heimgartner auch mit seinem neuen Werk gelingen: Er setzt auf freche und frische Sprache, abwechselnd in verschiedene stilistische Formen gegossen, in knappe 140 Seiten gepackt – ein modernes, weil schnelles Buch. Ein Buch auch, das in Zeiten des Jugendwahns und Bodytunings die Frage nach dem ewigen Leben und dem stets drohenden Tod nicht scheut.

Lesungen in Zug und Luzern

Mittwoch, 19. Juni, 19.30 Uhr, Bibliothek Zug, Buchvernissage, Moderation: Severin Perrig.

Samstag, 22. Juni, 10.30 Uhr, Wirtshaus Reussfähre, Luzern, Moderation: Richard Vogt. Tischreservation für Mittagessen (optional): 041 240 27 98.

Wie hast du es mit dem Tod? Vorab also die Frage, die alle umtreibt und die immer noch viele verdrängen: Diese Frage beschäftigt Thomas Heimgartner schon lange, und sieben Jahre lang ging der Texter mit seinem Buch schwanger. Jetzt ist «Kaiser ruft nach. Nekrovelle» (Verlag edition pudelundpinscher) erschienen, Heimgartner stellt es in der Region vor (siehe Box)«Es ist ein Buch über das Leben und das Verdrängen», sagt der Autor in seiner dreistöckigen Wohnung im St.-Karli-Quartier. 

«Es geht um die Frage: Wie geht man mit seinem Leben um?»

Thomas Heimgartner, Autor

Er wolle jetzt im hoffentlich bald doch noch heissen Sommer unterhalten, sagt Thomas Heimgartner auf der Dachterrasse, wo er Olivenbäume hegt und auf die beruhigend rauschende Reuss hinabblickt, «und im Herbst wollen Leute das Buch vielleicht gar ein zweites Mal lesen. Um dann zu erkennen, dass es nicht nur um die Beschreibung des Todes, sondern auch und vor allem um die Frage geht: Wie geht man mit seinem Leben um?»

Ja, wie tut Thomas Heimgartner das? Er lacht. «Mein Leben ist relativ aufgeräumt», sagt er an seinem leeren Stubentisch, auf dem weisse Pfingstrosen duften und Wasser «mit» den Durst löscht. Einen Durst hat auch Thomas Heimgartner, nämlich nach Texten. Für die literarische Gesellschaft Zug organisiert und moderiert er regelmässig literarische Veranstaltungen.

Moderiert Lesungen: Thomas Heimgartner (rechts) hier mit Peter Stamm in der Bibliothek Zug.

Moderiert Lesungen: Thomas Heimgartner (rechts) hier mit Peter Stamm in der Bibliothek Zug.

(Bild: hae)

In einer Bücherwand seiner guten Stube sind unter anderem die Romane von Philip Roth, Roberto Bolaño, Zadie Smith, Robert Seethaler, Judith Hermann, Helene Hegemann, Peter Stamm, Jonas Lüscher oder Lukas Bärfuss fein säuberlich alphabetisch geordnet, ein an der Wand hängender Stapel wirkt wie ein Kunstwerk.

Bescheiden, mit grossen Vorbildern 

Thomas Heimgartner hat grosse Vorbilder, ist aber bescheiden, wenn er sagt: «Ich bin nervös, es ist das erste Buch von mir, das in einem Verlag erscheint. Ich schreibe zwar schon lange, und jetzt wird mein Publikum hoffentlich grösser – grösser wird aber auch das Risiko zu scheitern.»

Ein Profi, der Luzerner Germanist Severin Perrig, winkt da ab, denn er sieht das so: «Thomas Heimgartners sprunghaft kühne wie amüsante Erzählweise läuft keineswegs auf üble Nachrede hinaus.» Sein Buch ergebe vielmehr einen geradezu idealen Leitfaden für zukünftige ‹Nekrologisten›: «Man rücke nur einmal seinen eigenen Nachruf in die Zeitung, und schon hat man das nachhallende Lesevergnügen beim morgendlichen Kaffee.» 

«Ich hatte am meisten Ehrfurcht vor den Nachrufen.»

Thomas Heimgartner schreibt schon fast sein Leben lang, seit er in Baar beim «Zugerbieter» zunächst freier Mitarbeiter und dann Alleinredaktor war. «Alle Texte gingen damals über mein Pult, von Sport über Politik bis hin zu Kultur. Ich war Mitte 20 und hatte am meisten Ehrfurcht vor den Nachrufen.» Deshalb hob er sie für Randzeiten auf und wendete viel Zeit für die Überarbeitung auf.

Es waren Stunden des Ringens um Form und Inhalt, wie es jetzt auch Heimgartners Figur Kaspar Kaiser tut. «Ich erfuhr, wie unzulänglich die Sprache in manchen Situationen ist. Das merkt wohl jeder, wenn er Beileidskarten schreibt – man kämpft um situationsadäquate und adressatengerechte Worte», so der Autor. 

Hintersinniger Denker

Thomas Heimgartner feilte viel beim Schreiben, wurde dabei auch manchmal zum hintersinnigen Denker, etwa wenn er schreibt: «Verunglücken – ein seltsames Wort. Dem Glück steht zu viel im Weg. Zwei Vorsilben.»

Und es tauchten bei Thomas Heimgartner unweigerlich Fragen auf wie diese: Muss die Person eine besondere Beziehung zum Tod haben? So wurde «Kaiser ruft nach» ein Buch auch über das Leben und das Verdrängen. Und über seine Erfahrungen, dass das Leben nicht aus grossen Momenten besteht, sondern aus der Summe des Alltäglichen.

«Lebensziel? Ein grosses Wort.»

Ob er wisse, was das Lebensziel sei? Thomas Heimgartner nimmt einen Schluck Wasser, denkt nach, dann sagt er: «Lebensziel? Ein grosses Wort. Es reicht mir schon, wenn ich abends zufrieden ins Bett falle. Glücklich macht mich, im täglichen Tun einen Sinn zu erkennen. Im Beruf und daheim mit meiner Frau und unseren zwei Kindern.» 

Und jetzt mit dem neuen Baby, dem schmalen Bändchen Literatur. Wenn ihm gelingt, was in seinem Buch dem Nekrologisten geraten wird, dann fühlt Heimgartner selber sich schon wie ein kleiner Kaiser: «Mach mal das Kopfkino des Lesers an!»

Ist auch ein Gärtner: auf der Dachterrasse hegt Thomas Heimgartner Olivenbäume und Palmen.

Ist auch ein Gärtner: auf der Dachterrasse hegt Thomas Heimgartner Olivenbäume und Palmen.

(Bild: hae)

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 27.06.2019, 09:55 Uhr

    Wir haben doch mit Portmann schon einen Schreiberling, der Lokalkolorit mehr als genügend in seinem Oeuvre aufnimmt. Diese Nische ist also bereits besetzt. Warum schreiben Sie als Lehrer über so einen lehrerhaften Stoff? Schweizer Autoren wie Frisch, Dürrenmatt oder von mir aus Markus Werner konnten in ihren Schriften allesamt weit über den Tellerrand hinausäugen, beobachten und dies geschliffen, bizarr oder auch urkomisch in einen Text komprimieren. In diesem Themenkomplex wünsche ich mir, dass Sie noch fortschritte erzielen. Lehrer Lämpel-Bücher gibt es schon genug – damit lockt man niemanden mehr hinter dem Ofen hervor!

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  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 18.06.2019, 19:00 Uhr

    Ach Gott. Dieser Stoff vom Sterben und Verdrängen ist so abgelutscht und einschläfernd. Thanatos lässt grüssen! Der grüsst jetzt schon seit der Antike! Langsam ist genug gegrüsst! Warum nicht mal was bahnbrechendes wagen? Was will der Autor damit? Die Leserschaft zu Tode langweilen? Ich befürchte, das gelingt ihm virtuos!

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