Hirnschlag als Wake-up-Call: Saskia Stäuble hat ihren Weg gefunden
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Saskia Stäuble war nicht einmal 30 Jahre alt, als sie einen Hirnschlag hatte. Für sie war das ein Wake-up-Call, ihr normales Leben hinzuschmeissen und alles auf die Musikkarriere zu setzen.
Was, wenn ein harter Schicksalsschlag dir vor Augen führt, dass du mit deinem jetzigen Leben gar nicht glücklich bist? Und du dein Leben nur so lebst, um es allen anderen recht zu machen, nicht dein eigenes Ding durchziehst?
Saskia Stäuble war nicht einmal 30 Jahre alt, als sie einen Hirnschlag erleidet. Völlig unerwartet. Kurzzeitig war die leidenschaftliche Sängerin halbseitig gelähmt. «Ich bin so eine Idiotin», dachte Saskia Stäuble in diesem Moment. «Ich stand nicht einmal auf der Bühne. Habe nicht das verwirklicht, was ich mir als junges Mädchen bei den Spaziergängen mit dem Hund auf dem Feld erträumt habe.» Panik durchfuhr ihren Körper. Ein Horrorszenarium spielte sich in ihren Gedanken ab: Sie, knapp 30, im Rollstuhl. Kann nicht mehr gehen – und nicht mehr singen.
Die Geschichte von Saskia Stäuble bewegt. Wir treffen die gebürtige Baslerin, die jahrelang in Luzern arbeitete und wohnte, an einem sonnigen Septembertag im «Mill’Feuille» am Luzerner Mühlenplatz. Sie trägt ein schwarzes Kleid, Glitzer auf ihren Augenlidern und rot lackierte Fingernägel, die Haare sind zu einem Dutt gebunden. Mit ihrer Freundin Sandra wartet sie bereits und nippt an einem eisgekühlten Espresso. Saskia Stäuble kennt bei unserem Treffen keinen Small Talk, nennt Dinge gleich beim Namen.
Den Eltern war das Singen zu laut
«Früher habe ich alles für andere zurückgesteckt», sagt die heute 39-Jährige. Immer wollte sie es allen recht machen. Den Eltern, dem Lehrmeister, dem Partner. Als Kind sang Stäuble im Chor. «Niemand wollte neben mir stehen, weil ich schon da ein derart grosses Stimmvolumen hatte.» Zu Hause durfte sie nicht singen, weil es den Eltern zu laut gewesen sei. Also nahm sie den Hund, lief mit ihm auf das weite Feld, und sang – wo es niemanden störte.
Ihren Traum, Sängerin zu werden, vergass Stäuble mit der Zeit selbst. Verloren ging er aber nie ganz. Wenn sie aber abends nach der Arbeit mit dem Velo nach Hause fuhr, kam immer wieder das Gefühl auf, dass «irgendwas fehlte».
Nach dem Hirnschlag im Spital: Sie wollte nur noch singen
Was ihr als Mädchen und junge Frau fehlte, realisierte Stäuble erst Jahre später, als sie nach ihrem Hirnschlag in einem Krankenbett lag. «Und ich habe mir geschworen: Wenn ich nach all dem nochmals aufstehen, laufen, reden, geschweige denn singen kann, werde ich mein Leben der Musik widmen.»
Just in dem Moment habe sie in ihrer linken Hand ein Kribbeln gespürt. Drei Tage war sie gelähmt und plötzlich konnte sie ihre Finger wieder bewegen. «Das war alles, was ich wollte», sagt Saskia Stäuble. «Wieder aufzustehen und zu singen.» Auch wenn sie die Geschichte bereits dutzende Male erzählt hat, auch im Fernsehen, gehen ihr die Erinnerungen an die Zeit sichtlich nahe. Sie wischt sich eine Träne von der Wange.
Dust of Soul haben zwei neuen Musikvideos in Mumbai gedreht. Diese zeigen sie im Stattkino Bourbaki Panorama am diesem Sonntag, 13. September, um 15.00 Uhr. Weitere Infos findest du hier.
In New York den ersten Song komponiert
Nach ihrer Genesung löste Stäuble die Verlobung mit ihrem damaligen Partner auf, kündigte die Wohnung, kratzte ihr Geld zusammen und reiste nach New York, eine Stadt, deren Vibes sie schon lange fasziniert hat. Einfach war dieser Schritt nicht. Stäuble vergleicht ihr Leben zu dieser Zeit mit einer Schifffahrt mitten auf dem Atlantik, mit klarem Kurs. «Und auf’s Mal musste und wollte ich das Ruder um 180 Grad wenden.»
Innert weniger Tage nahm sie zwei Coversongs von Joss Stone auf, stellte sie auf Youtube, erstellte eine Facebook-Fanpage und Websites. Mitten in der Nacht, morgens um 3 Uhr kam sie auch auf den Bandnamen Dust of Soul.
In New York komponierte Saskia Stäuble ihren ersten eigenen Song «Hometown». Den Songtext auf Papier, die Melodie im Kopf, reiste sie zurück nach Luzern, wo sie über Umwege den Luzerner Pianisten Michael Odermatt kennenlernte. Mit MiKey bildet sie seit 2012 das feste Bandduo Dust of Soul.
Freunde und Bekannte verloren
Und damit zieht Stäuble endlich ihr Ding durch. Bis zu ihrem 30. Geburtstag hat sie sich verbogen, verlor sich in Liebesbeziehungen, verlor sich selber. Verlor ihren Traum aus den Augen. Sie traf auf Künstler, die sie auslachten, als sie von ihrem Musiktraum erzählte. Hatte Eltern, die ihren Entscheid, alles hinzuschmeissen und Sängerin zu werden, auch Jahre später immer noch nicht richtig akzeptieren konnten. Freunde, die nicht länger hinter ihr stehen wollten, die sie verloren hat. Hater auf sozialen Medien, mit deren Kommentaren sie auskommen muss.
So klingt «Rainbow» von Dust of Soul:
Das alles einzustecken, braucht einen starken Kampfgeist. Und die tiefe, innere Überzeugung, dass der eingeschlagene Weg richtig für einen selbst ist. Sich nicht darum zu scheren, wie andere darüber urteilen. Und das tut Saskia Stäuble auch – dieser Eindruck ergibt sich beim Treffen im «Mill’Feuille». Wie sie spricht, über die Musik, das Leben, das sie jetzt lebt.
Dass Stäuble nicht mehr von ihrem Weg abkommt, hat sie auch symbolisch auf ihrer Haut verewigt. Sie zeigt ein Tattoo auf ihrem rechten Knöchel, einen Notenschlüssel, den sie sich drei Wochen nach dem Hirnschlag hat stechen lassen. «Es erinnert mich jeden Tag daran, dass ich den Musikweg nicht mehr aus den Augen verliere.»
Mehr als nur Musik – der Weg, sich selbst zu akzeptieren
Dust of Soul hat seither rund 50 Songs komponiert und 120 Konzerte weltweit gegeben. Vor allem im arabischen Raum ist die Musik der beiden – eine Art «Opera Pop» – gefragt. Für den König von Oman durften Stäuble und Odermatt einen Geburtstagssong kreieren, vor zwei Jahren für MTV Indien Unplugged einen Voract übernehmen – in einem Amphitheater, das Platz für rund 6’000 Zuhörerinnen bot.
«Das war der schönste Moment meines ganzen Lebens», sagt Stäuble rückblickend. «Es war ein Traum, der real wurde.» Es gab Applaus, Pressekonferenzen, fast jeden Tag Interviews mit indischen Medien. Sie fühlt sich wohl im Rampenlicht. Auch beim Gespräch mit der Autorin knipst Freundin Sandra ein paar Bilder, um das Interview festzuhalten.
Sie ist auf Kurs
Acht Jahre nachdem Stäuble die Band Dust of Soul gegründet hat, kann sie nun sagen: Sie hat den Kurs ihres Schiffes geändert, die Crew an Bord ausgetauscht und verfolgt nun ihren grossen Traum.
Kürzlich hat sie sich erneut ein Tattoo stechen lassen: Einen Notenschlüssel – derjenige, der auch das «D» von Dust of Soul bildet – direkt unter ihrem linken Ohr. «Ich wollte mir den Dust-of-Soul-Schlüssel bereits vor acht Jahren stechen lassen», sagt Stäuble. «Doch ich getraute mich damals nicht. Was, wenn die Musikkarriere doch nur ein Hirngespinst ist?» Nun hat sie sich getraut. Nächstes Jahr veröffentlichen Dust of Soul ihr zweites Studio-Album «Music Love».
«MiKey und ich ziehen Dust of Soul jetzt nochmals acht Jahre durch», sagt Saskia Stäuble. Denn heute weiss sie: «Ich bin genug so, wie ich bin.»
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