Luzerner «Tatort»: Mord gerät zur Nebensache

«Ritschi» und «Flücki» rennen verzweifelt gegen die Zeit an

Dem Entführungsopfer bleiben noch gut 59 Stunden, bis es zu verdursten droht: «Tatort»-Duo Liz Ritschard (Delia Mayer) und Reto Flückiger (Stefan Gubser).

(Bild: SRF/Daniel Winkler)

Der zweitletzte Luzerner «Tatort» überzeugt mit der Wahl der Figuren und des Milieus: Um Box-Bschiss, Gefängnis-Dealerei und alte Wunden geht es in «Ausgezählt». Das Ermittler-Duo gerät aneinander, während eine junge Boxerin vor ihren Augen zu verelenden droht.

In diesem «Tatort», dem zweitletzten aus Luzern, geht es Schlag auf Schlag: Wortwörtlich in der eröffnenden Boxszene. Aber auch die Inszenierung von Katalin Gödrös schlägt ein flottes Tempo an. In den ersten zehn Minuten haben wir alles: Kampf, Reue, Erpressung, Doping, Entführung, Mord, Backflash und ein Rennen gegen die Zeit.

Die da boxt, ist Martina Oberholzer (brillant: Tabea Buser). Sie muss ordentlich einstecken, bevor sie zum finalen Schlag ausholt. Ihre Gegnerin ist nicht nur K. o., sondern tot. (Doch um diesen Todesfall geht’s dann nicht.)

Beklemmende Stille in der Kabine danach, der Fight ging der Boxerin «krass unter die Haut». Nur den korrupten und karrieregeilen Manager Sven Brügger (Urs Humbel) freut das. Er will mit «Tina the Killer» nämlich «richtig fett Kohle machen». Er schnippt dauernd nervig mit den Fingern.

Als Kontrast dazu der melancholische Papa und Trainer Ferdi Oberholzer, der halbseitig gelähmt und am Gehstock so gar nichts vom rauen Box-Milieu verkörpert. Die Figuren sind arg überzeichnet, und das ist gut so.

Mord zu Elektro-Sound

Die junge Boxerin will den falschen Sieg nicht anerkennen und die Karriere an den Nagel hängen. Will das Doping-Geheimnis – ein fatales Wachstums-Hormon – ihres Managers der Presse gestehen. Dass sie den Pressekontakt im Luzerner Hirschengraben googelt, nehmen wir hier bei zentralplus gern zur Kenntnis. Wie die 26-jährige Baslerin ihre Figur in diesem Film zwischen Zweifel und Ausbruch verkörpert, ist grosses Kino.

Es kommt zum Eklat zwischen ihr und dem Manager und dieser entführt sie kurzerhand gewaltsam in einen Luftschutzkeller. Kurz danach endet sein Leben im Solarium. «Upsie», sagt er noch, als er seinem Mörder gegenübersteht. Die Mordszene zu stampfender Elektro-Disco-Musik ist grandios.

Frauen-Boxkampf bis aufs Äusserste: Fiona Wyss als Kerry Breitlinger (l.) und Tabea Buser als Martina Oberholzer.
Frauen-Boxkampf bis aufs Äusserste: Fiona Wyss als Kerry Breitlinger (l.) und Tabea Buser als Martina Oberholzer.

(Bild: SRF/Daniel Winkler)

Der Täter wartet

Martinas Onkel, Heinz Oberholzer (Peter Jecklin), wartet mit dem Gewehr auf dem Schoss auf die Kommissare Reto Flückiger und Liz Ritschard und gesteht sofort: «Den habe ich erschossen, aber ihr müsst sie finden.» Sie – das ist seine eingesperrte Nichte.

Der Mörder Oberholzer ist Zürcher Kriminalpolizist und war einst «Ritschis» Ausbildner. Ihre gemeinsame Vergangenheit macht sie zu Vertrauten. Was verschweigen die beiden Flückiger?

Über den Mord spricht der Täter wie über einen Routinejob. «Verdammt effektiv, so eine Pumpgun.» Und sogleich beginnt er dem Duo Ermittlungsanweisungen zu geben, was Flückiger zur Weissglut treibt.

Der Countdown beginnt

Es ist nicht der Mord, sondern die verzweifelte Suche nach der Entführten, die diesen Krimi so spannend macht. Der Einzige, der ihr Versteck kennt, liegt tot im Solarium. Ohne Wasser bleiben der Boxerin maximal 72 Stunden – der Countdown läuft.

Das Perfide dabei: Alle können Martina Oberholzer via Webcam in ihrem unbekannten Verlies beobachten. Sie sehen, wie sie zusehends leidet, vertrocknet, stumme Worte in die Kamera richtet und schliesslich nur noch in der Ecke liegt.

Der Mörder wird zum Ermittler

Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die technischen Mittel sind ausgeschöpft, Luftschutzkeller gibt es alleine in der Stadt tausende.

Es bleibt nur der Weg über «Küng the King», wie er heisst. Er soll der Pate hinter dem ganzen Doping-Ring sein und sitzt im Gefängnis. Der einzige Zugang zu ihm scheint über den Mörder möglich. Doch wie können sie diesen als verdeckten Ermittler einschleusen?

Parallel zur verzweifelten Suche der Boxerin beginnt eine Recherche in der Vergangenheit von Ritschard. «Gibt’s irgendetwas, das ich wissen sollte?», fragt Flückiger seine Partnerin. Das Komissaren-Duo misstraut sich zunehmend und geht eigene Wege.

Diese Figurenzeichnung hätte man sich schon früher gewünscht. Es scheint, als getrauen sich die Autoren (Drehbuch: Urs Bühler, nach einer Idee von Michael Herzig) erst mit dem nahenden Ende des Luzerner «Tatorts», den beiden mehr Konturen zu geben. «Ritschi» und «Flücki» – sie nennen sich selber so – haben Biss und überschreiten angesichts der verzweifelten Lage ihre Befugnisse massiv.

Kommissar Flückiger (Stefan Gubser) verhaftet am Tatort Heinz Oberholzer (Peter Jecklin), am Boden liegt das Mordopfer.
Kommissar Flückiger (Stefan Gubser) verhaftet am Tatort Heinz Oberholzer (Peter Jecklin), am Boden liegt das Mordopfer.

(Bild: SRF/Daniel Winkler)

Korrupter Cowboy-Wärter

Der Film «Ausgezählt» lebt vom spannenden Milieu zwischen Boxring, Gefängnis und Drogenschmuggel, die Spannung steigt bis zum Schluss und schliesslich kommen Zweifel am anfänglich glasklaren Mordmotiv auf.

Produziert wurde der Streifen unter der Leitung der Produzenten Reto Schaerli und Lukas Hobi von der Luzerner Firma Zodiac Pictures. Gedreht wurde zum Glück nicht im Touristen-Luzern, sondern meist in der Agglo (Kamera: Jutta Pohlmann). Tankstellen, Geschäfte, Seetalplatz – der reizende Groove von Emmenbronx.

Da sind einige bleibende Figuren: der korrupte und wortkarte Gefängniswärter Harald Schüpbach (Philippe Graber). Er fährt Corvette, hört Country, schaut grimmig-verlogen – und ist letztlich von eminenter Wichtigkeit. Zudem stösst Deborah Hefti (Chantal Dubs) zum Team – das «Blondie von der IT», wie Kollegin Fabienne Hadorn (Corinna Haas) sie abschätzig nennt.

Immer im Zentrum dieser starken «Tatort»-Folge: Martina Oberholzer. Sie hechelt stumm in die Webcam und kratzt «Wasser bitte» in einen Karton. Es tut allein beim Zuschauen weh.

Zitate, die bleiben:

  • «Upsie.» (Das Opfer Sven Brügger, bevor es erschossen wird)
  • «Geduld gibt’s nicht, es gibt nur Aushalten.» (Vater Ferdi Oberholzer, gespielt von Ingo Ospelt)
  • «Kein Land hat mehr Schutzräume pro Kopf als die Schweiz.» (IT-Frau Debora Hefti über die verzweifelte Suche)
  • «Unser Chef, ein Morgen-Sünneli.» (Fabienne Hadorn über den genervten Eugen Mattmann)
  • «Wenigstens das hast du gelernt: die Schnorre zu halten.» (Heinz Oberholzer zu Liz Ritschard)
  • «Nein, die auch noch!» (Der genervte Flückiger drückt Ritschard auf dem Handy weg)
  • «Seit der Typ aufgetaucht ist, kriechst du ihm in den Arsch.» (Flückiger zu Ritschard)
  • «Wir zwei liegen noch etwas in den Möscht.» (Die Partnerinnen von Ritschard und Flückiger, nach einem geplatzten Doppel-Date. Ritschard küsst ihre Partnerin, bevor sie wieder weg ist.)
  • «Musst du in alten Wunden guseln? Haben wir Zeit für solche Scheisse?» (Ritschi zu Flücki)
  • «Das reicht für einen Fristlosen.» (Mattmann zu Ritschard)

Hinweis: Vorletzter Luzerner «Tatort»: «Ausgezählt», Sonntag 16. Juni, 20.05, SRF 1. Nach der Ausstrahlung werden wir wieder über das Twitter-Gewitter berichten.

Die letzte Luzerner «Tatort»-Folge («Der Elefant im Raum») wird voraussichtlich am 29. September gezeigt.

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