Provokateurin Elena Parris zeigt sich plötzlich lammfromm
Die Fotos der Künstlerin Elena Parris um Religion und Sex wurden einst zensiert. Nach Ausstellungen im Ausland sind jetzt neue Werke in der Heimatregion zu sehen. Doch weshalb nur ist die streitbare Luzerner Fotografin plötzlich so gesittet und lammfromm?
Frech angezogen empfängt uns Elena Parris im Stöckli auf einem grossen Bauernhof im kleinen Grosswangen. Ein Hingucker, sehr fotogen: Hut in Leopardenmuster von Stella McCartney, hohe Schnürstiefel old English Style, eine Damenkrawatte wie aus den 50ern und die vollen Lippen leuchtend rot geschminkt. Da steht ein auffallender Mensch, dem das Visuelle sehr wichtig ist. Eine Frau, die gar behaupten darf, davon zu leben.
«Ich will allerdings nicht mehr den Moden nachlaufen», sagt Elena Parris und führt durch ihr geschmackvoll und in kräftigen Farben eingerichtetes Haus. Im Kellerstock befindet sich ein kleines Studio mit grossen Leuchten und vielen grossen Werken.
Hier lagert sie Bilder aus ihrem neusten Fotozyklus «Vielschichtig». Neun davon wird sie ab Donnerstag im Kunstraum30 an der Pilatusstrasse 30 in Luzern ausstellen. Bunte Tableaus, auf denen überall Lippen hervorstechen.
Lippenbekenntnisse? – Elena Parris lächelt vieldeutig auf die Frage. Vielschichtig war die Künstlerin schon immer gerne unterwegs. Dabei war etwas prägend: Sie liebte es, Tabus zu brechen und immer wieder an Heiligem zu rütteln. Die Provokation ging in unserer katholischen Gegend mit Nacktheit und Religion und den immer wieder aufs Sexuelle anspielenden Motiven wunderprächtig auf.
Ein Schnäggli ist ein Schnäggli ist ein hübsches Schnäggli: Nur wer Anrüchiges denkt, sieht auf ihrem reduziertesten Werk mehr als eine Schnecke auf dem Schoss einer Schaufensterpuppe. «Wir sind doch eine moderne Gesellschaft mit freier Meinungsäusserung», sagt sie. Und hat Recht.
Doch oft schon wurde Elena Parris Unrecht getan und ihr ein Maulkorb angelegt: Ihre Werke, bei denen sie beispielsweise nackte Models ans Kreuz nagelte oder beim Abendmahl nackte Frauenbrüste zeigte, konnte sie nicht überall ausstellen. 2012 verbot man ihr auch in der Stadt Luzern das Aufhängen der provozierenden Fotos.
«Nur mühsam öffneten sich mir Galerien, die es wagten, meine Bilder zu zeigen.»
Elena Parris, Fotokünstlerin
«Nur mühsam öffneten sich mir Galerien, die es wagten, meine Bilder zu zeigen», zieht sie Bilanz unter ihr langjähriges Schaffen. Sie blieb beharrlich und wich ins Ausland aus, wo sie in Berlin, Wien, Shanghai oder Singapur und Montenegro Plattformen für scheinbar Anstössiges fand.
Sie reibt sich an Menschen, Ritualen und Institutionen
Jetzt ist ihr Werk wieder in Luzern zu sehen. «Denn ich will ja vor allem in meiner Heimat ausstellen und aufrütteln», sagt sie. Hier lebt sie, hier kennt sie alles, und hier reibt sie sich auch an Menschen, Ritualen und Institutionen. Elena Parris war schon immer eine Rebellin, die sagt: «Ich ging nie den Weg des geringsten Widerstandes.»
Ihre Kunst provozierte und sexuelle Anspielungen machten ihr Spass. Elena Parris betont, dass sie eine Abneigung gegen Unehrliches und Verstelltes hat. Und sie genoss die Tendenz anzuecken.
Schon stets liebte sie das Mehrdeutige. Darauf konzentriert sie sich jetzt in ihren neusten Werken aus dem Zyklus «Vielschichtig». Diese hat sie digital im Sandwichverfahren durch Übereinanderlegen verschiedener Fotos hergestellt. Kritiker werden hier allerdings nichts Anstössiges mehr finden. Vielmehr einen Parcours durch die Kunstepochen.
Reiz auf den zweiten Blick
«Gobelins aus der Hochburg Florenz inspirierten mich diesmal», so Parris. Gobelinteppiche stammen vorwiegend aus dem 12. und 13. Jahrhundert und wurden in zeitaufwändiger Art gewoben und gerahmt.
Elena Parris ist in Luzern geboren und aufgewachsen. Nach einem Exkurs in das Studium der Architektur verschrieb sie sich der Fotografie. Sie studierte an der Uni Berlin bildende Kunst und arbeitete an der Seite verschiedener namhafter Fotografen unterschiedlichster Genres. So wurde Parris an den Filmfestspielen in Cannes engagiert, arbeitete mit dem Topmodel Markus Schenkenberg für Werbekampagnen und war für Magazine wie Amica, Faces, Massiv, Elle und viele andere im Einsatz. Mit ihrem Partner lebt sie in Grosswangen, wo sie auch ihr Studio hat.
Vernissage am 3. Mai, 17 Uhr, im Kunstraum30 an der Pilatusstrasse 30 in Luzern.
Provokation mag bei den neuen Werken fehlen, doch der Reiz zeigt sich beim zweiten Hinschauen. Es ist der Reiz des tieferen, längeren Blickes: Man möchte die Vielschichtigkeit aufschlüsseln. Denn Parris› Fotos sind keine Momentaufnahmen, auf die sich viele Fotografen beschränken, sondern es sind durch das Übereinanderlegen verschiedener Schichten Bilder neuer Realitäten entstanden.
Rote Frauenmünder
Auffallend nebst den vielen roten Frauenmündern, die sich wie ein Leitmotiv durch die neuen Fotos in den Formaten 120 mal 90 und 80 mal 60 Zentimetern ziehen, sind die luftigen Texturen und die warmen Farben. Da wird mit Sardinenbüchsen, einer Donald-Puppe oder Wandteppichmustern gearbeitet.
Auch ein Foto aus einer Prager Bar mit ihren gestürzten Gläsern wird süffig in dieses Patchwork-Schaffen integriert. «Sinnlich, oder?», sagt die Künstlerin. Sie fragt es nicht. Nein, sie stellt es, charmant in eine rhetorische Frage verpackt, einfach fest.
«Ich bin viele, manchmal bin ich die, manchmal jene.»
Die eigenwillige Künstlerin betont: «Alle wollen wir doch sinnlich und charismatisch sein, aber viele Menschen können das nicht ausdrücken. Ich weiss nicht, ob mir das gelingt.»
Gekonnt macht Elena Parris eine Kunstpause. Um dann mit einem bedeutungsschwangeren Augenaufschlag noch anzufügen: «Ich weiss nur: Ich bin viele, manchmal bin ich die, manchmal jene.» Pause. «Und oft weiss ich leider dennoch nicht, wer ich bin.»