Schweizer Erstaufführung der Oper im Luzerner Theater

«Perelá»: Musikalische Rauchwolken steigen auf in Luzern

Der «Rauchmann» ist die zentrale Figur in Pascal Dusapins Oper «Perelà» (Bild: Luzerner Theater / Ingo Hoehn)

Das Luzerner Theater inszenierte am Sonntagabend die Schweizer Erstaufführung von Pascal Dusapins vierter Oper «Perelà - uomo di fumo». Dabei vermochten sowohl die Besetzung als auch Bühnenbild, Kostüme und die musikalische Darbietung zu überzeugen.

Die Oper basiert auf einer futuristischen Parabel des italienischen Dichters Aldo Palazzeschi aus dem Jahr 1911. Eins ist also von vornherein klar: Ein Kunstwerk von aussergewöhnlicher Radikalität mochte auf die Besucherinnen zukommen. Immerhin setzten sich die Futuristen das Ziel, eine völlig neue Kultur zu begründen.

Dabei wurde das kulturelle Erbe Italiens in all seiner Schönheit als Altlast empfunden, von der sich die Gruppe um Filippo Tommasso Marinetti befreien wollte. Glücklicherweise war Palazzeschi einer der etwas weniger Gewalt-affinen Anhänger dieser Bewegung und so sind seine futuristischen Anwandlungen eher philosophischer und gesellschaftskritischer Art.

Der Rauchmann Perelà hat einen Auftritt in Luzern

Die bizarre Hauptfigur des Dramas ist Perelà (Ziad Nehme), ein Mann des Rauches: ein Rauchmann. Nachdem er 33 Jahre lang, von drei Müttern behütet, im Kamin grossgezogen wird, landet er wie ein Messias auf der Erde und ist deren Bewohnern schutzlos ausgeliefert. Er hat praktisch keine Erfahrung im Umgang mit Menschen und macht ihnen zunächst vertrauensvoll einfach alles nach.

Diese empfinden ihn zunächst als sonderbar, ehe sie ihn schon bald aufgrund seiner purificazione (Reinheit) wie einen Erlöser feiern. Die Gesellschaft projiziert ihr gehemmtes Bild von Körperlichkeit auf die Person, die wohl eher eine Art Anti-Körperlichkeit evoziert und immer wieder singt: «Ich bin so leicht.»

Perelà wird im Luzerner Theater zum ersten Mal in der Schweiz aufgeführt.
Perelà wird im Luzerner Theater zum ersten Mal in der Schweiz aufgeführt. (Bild: Luzerner Theater / Ingo Hoehn)

Perelà: Satire wird in Luzerner Inszenierung deutlich

Das von Palazzeschi symmetrisch angelegte Stück wird von der Regisseurin Lydia Steuer auch dadurch unterstützt, dass am Anfang und Ende Perelà alleine auf der Bühne unter dem Kamin steht, aus dem er auf die Erde gekommen ist.

Die in der Parabel bereits angelegte Satire wird in der Luzerner Inszenierung sehr deutlich. Besonders positiv hervorzuheben sind dabei das Bühnenbild (Flurin Borg Madsen) und das Kostüm (Gianluca Falaschi, Mitarbeit Lucia Vonrhein). Beides unterstützt die überzeichneten Akteurinnen, die deutlich wie Karikaturen ihrer selbst agieren. Der Philosoph, ein Hündchen des Bankiers (der schnell erklärt, wie viel Geld man mit Rauch verdienen kann), trägt noch den Lorbeerkranz Dantes, gibt aber schon zu, dass ein Philosoph nichts anderes als ein Lästermaul sei.

Der falsettierend zeternde Erzbischof legt bisweilen seine Füsse auf dem Rücken eines Ministranten ab und verdammt Perelà, der vom Teufel geschickt sei. Und so nimmt es auch, wie es sich für einen wahren Messias gehört, kein gutes Ende mit dem Vertrauen der Menschen in die Person, auf die sie ihre Hoffnungen projizieren.

Bühnenbild und Kostüme wissen zu überzeugen.
Bühnenbild und Kostüme überzeugen. (Bild: Luzerner Theater / Ingo Hoehn)

Gelungene musikalische Darbietung

Das Meisterhafte an der Musik von Pascal Dusapin liegt in der Nuancierung und in der Dosierung der Elemente. Die Ouvertüre, eine Art Anti-Ouvertüre, changiert lange Zeit lediglich im Intervall eines Ganztons. Dies bildet die Grundlage für alle weiteren musikalischen Entwicklungen. Non-vibrato gespielt, bietet das Intervall die perfekte Illustration der Einsamkeit von Perelà. Dieser wird darin wahrscheinlich nur von der Marquise Bellinda (Marcela Rahal) übertroffen, die sich in ihn verliebt und ihn am Ende als Einzige verteidigt.

Die Marquise muss bisweilen minutenlang ohne Orchesterbegleitung die schwierigsten Passagen meistern. Marcela Rahal versteht dies in virtuoser Manier und verschmilzt beim Wiedereinsatz des Orchesters intonatorisch meisterhaft mit den Bläsern. Überhaupt sind die gesanglichen Darbietungen an diesem Abend überragend. Alloros Tochter (Misaki Morino) lotet, wenn sie ihren toten Vater findet, ihren Stimmumfang bis an den äussersten oberen Rand aus, während Ziad Nehme (Perelà) es geschmeidig versteht, zwischen Bruststimme und Falsett nicht den Hauch eines Bruchs bemerken zu lassen.

Musikalische Schluchten den gesellschaftlichen Abgründen gleich

Dusapins Musik erinnert durchaus an seine Vorbilder Iannis Xenakis und Edgar Varèse, ist jedoch von einem klaren Personalstil geprägt. In manchen Momenten schimmert gar ein Hauch von Claudio Monteverdi wie durch ein Milchglas durch die Rezitative. Die Genialität, mit der Dusapin tiefe musikalische Schluchten gleich den gesellschaftlichen Abgründen entstehen lässt, ist einzigartig. Das Luzerner Orchester unter der Leitung von Hermann Bäumer versteht es auf hohem Niveau, diese Abgründe zu interpretieren. Es ist durchaus ein Genuss, eine Oper des 21. Jahrhunderts in dieser Qualität gespielt zu hören und zu sehen.

Hinweis: «Perelà - Uomo di Fumo» läuft noch am 19.05., 25.05., 10.06. und 12.06.2022 am Luzerner Theater.

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