«Romeo und Julia» am Luzerner Theater

Ordinäre Albernheiten und atemlose Stille

Benvolio (Alina Vimbai Strähler, Mitte) versucht bei den Capulets, über den toten Körpern von Tybalt und Mercutio, zu schlichten.

(Bild: Ingo Höhn)

Die Premiere von Shakespeares «Romeo und Julia» dauerte. Drei Stunden voller Ekel, hilflosem Bedauern, befreiendem Gelächter und absoluter Atemlosigkeit. Aber es hat sich gelohnt.

«Romeo und Julia» in Luzern beginnt mit Blut und Spucke. Der Erzähler liegt bereits am Boden bevor das Stück beginnt. Es gibt keinen Prunk und keinen schönen Schein zu Beginn der Inszenierung von Nina Mattenklotz.

Das Karussellgerippe im aussagekräftigen Bühnenbild von Johanna Pfau zeigt, dass aus einer Welt, die einmal fröhlich gewesen sein muss, eine trostlose, vernachlässigte Ruine geworden ist, ebenso die Menschen in ihr. Eine vergiftete, asoziale und brutale Welt zeigt uns Mattenklotz – verroht und übersexualisiert. Tybalt, grossartig ekelhaft gespielt von Matthias Kurmann, passt perfekt in diese Welt. Man könnte ihn (auch dank der Frisur und des Kostüms) aber sofort auch in einen Hooliganfilm oder einen über russische Neonazis stecken.

Auch zwischen Mutter und Tochter fühlt man keine Wärme oder Geborgenheit. Die abgestumpfte, kalte und hilflose Lady Capulet (Wiebke Kayser) zeigt eine dieser Frauenfiguren, welche vor lauter Brutalität im eigenen Leben auch ihre Tochter der Unterdrückung und Gewalt überlässt.

Benvolio und Tybalt (Matthias Kurmann) im Streit.

Benvolio und Tybalt (Matthias Kurmann) im Streit.

(Bild: Ingo Höhn)

Musikalische Highlights

Die einzigen – und doch eher imaginären – Freunde der Julia scheint die Band «Jon Hood» zu sein. Die drei Musiker Mario Hänni, Martin Schenker und Joan Seiler – unter der musikalischen Leitung von Carsten Meyer – sind in der Ecke der Vorbühne platziert und verfolgen das Geschehen ständig.

Besonders Joan Seilers Gesang beeindruckt dabei in einer imperfekten Zerbrechlichkeit, Verlorenheit und Unschuld und gibt der alleingelassenen Julia (Sofia Elena Borsani) nochmals eine Stimme.

Freundschaft und Geblödel

Und doch ist diese Welt auch Spielplatz der Jugend. Romeos Clique würde man jedenfalls sofort gerne beitreten. Benvolio (Alina Vimbai Strähler) darf hier als Frau einfach Freund sein, und Mercutio (Lukas Darnstädt) hat mit seinen Sprüchen sowieso alle auf seiner Seite. So beginnen dann doch auch die – grosszügig gestreuten – sexuellen Andeutungen Spass zu machen.

Dem Parkett zu Shakespeares Zeiten hätte es gehörig gefallen. Und die Freude am Ordinären, in der «Shakespeare-direkten» Übersetzung von Frank-Patrick Steckel, steigert sich auch beim Premierenpublikum in Luzern zu fast kindischen Dimensionen.

Das Fest der Capulets.

Das Fest der Capulets.

(Bild: Ingo Höhn)

Ein Fest ohne Freude

Das Fest der Capulets gibt nochmals das Gefühl, dass in dieser Welt von Romeo und Julia ehrliche Freude, Gelächter und Albernheit keinen Platz haben. Trotz Goldglitter-Kanone – die funktioniert doch eigentlich immer –,  trotz Tanz, goldenen Masken und Glitzerhöschen ist die Stimmung bedrohlich. Der Tanz besteht aus Kampf- und Sexbewegungen, Pelze und Waffen ergänzen das Bild. Und schon wieder sind Assoziationen zur russischen Mafia da.

Eine Balkonszene im Parkett

Der Balkon ist die Bühne, Romeo (Jakob Leo Stark) steht bei uns im Parkett, klettert zwischen den Reihen hin und her, und als Publikum ist man plötzlich Verbündete und ganz nahe dran an seinem jugendlich verliebten Überschwang. Die Liebe der beiden ist hier keine feine Blüte, genauso wenig wie Borsanis Julia. Sie ist leidenschaftlich, unbeholfen, ehrlich, auch mal laut und lustig. Und man lässt sich gerne mitnehmen in dieses leichtsinnige Liebesabenteuer.

Die Balkonszene.

Die Balkonszene.

(Bild: Ingo Höhn)

Und wenn die Hochzeit schliesslich in einer fast masslosen Albernheit und leidenschaftlichem Rummachen gipfelt, verzeiht man im lustigen Taumel sogar, dass der Notenständer, gemeinsam mit einem äusserst clownesken Yves Wüthrich, vielleicht doch ein- oder zweimal zu oft umfällt.

Doch kaum ist das Fahrrad mit den Liebenden um die Ecke gebogen, sind wir zurückgeworfen in eine Welt, wo die Kinder den Hass der Eltern sich dermassen einverleibt haben, dass ein Happy-End nicht mehr denkbar ist. Und doch keimt Hoffnung auf, wenn zum Beispiel der kurze Abschnitt «Hold on, if love is in the answer you’re home» von Daft Punk immer wieder gesungen wird – eindringlich – von allen Figuren.

Der Tod ist unumgänglich

Nach Julias vermeintlichem Tod verlieren die Frauen ihre Stimmen. In die Stille hinein flüstern sie: «Was soll dieser Lärm», und während Capulet (Adrian Furrer mit unheimlich guter Glatze) seine Trauer zu neuem Hass macht, wird die Bühne zum Militärbunker. Weg ist das Karussell, nur eine Wellblech-Wand trennt die Vorbühne für das Ende vom Rest der Welt.

Paris und Romeo begegnen sich am Grab. Ein Schuss schreckt auf, es wird nicht der letzte bleiben. Die Kindergeneration trägt die Konflikte ihrer Eltern aus und zerbricht dabei. Und während Romeo sich selbst als Staatsfeind beschimpft, als Tier – und damit mehr als ein Mensch und während Julia das Publikum Montagus und Capulets nennt, macht das Gehirn eine Reise durch Kriege und Konflikte, die brodelnden, die kalten und die andauernden, welche auch die Unschuldigen zu Schuldigen machen.

Und als Julia die Augen aufschlägt, herrscht absolute Stille. Kein Atmen ist im Zuschauerraum zu hören, bloss das Knarren einiger Stühle, über welchen sich die Köpfe recken. Ein einsamer Hustender scheint vor lauter Unterdrücken fast vom Stuhl zu fallen, während sich die beiden Liebenden gemeinsam aufsetzen. Kein Blick, keine kleinste Bewegung will verpasst sein, während «Romeo und Julia» ihrem Schicksal entgegengehen: Denn der Tod ist hier kein Versehen.

Lady Capulet (Wiebke Kayser, v. links), Julia (Sofia Elena Borsani), Graf Paris (Samuel Braun) und Capulet (Adrian Furrer).

Lady Capulet (Wiebke Kayser, v. links), Julia (Sofia Elena Borsani), Graf Paris (Samuel Braun) und Capulet (Adrian Furrer).

(Bild: Ingo Höhn)

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