Klitoris-Kommandanten und andere Sprachergüsse

Nur Hard Porn schockt noch – was ist bloss mit den Metallern in Zug los?

Extreme Metal – hier am Monthly Assault vom vergangenen November.

(Bild: Pawel Streit)

Die Veranstaltungsreihe «Monthly Assault» feiert das fünfjährige Bestehen und lädt zum Jubliäumsfestival nach Zug. Wer das Programm liest, wähnt sich in der Hölle – die Namen der Bands künden von Pornographie, Sexismus, Gewalt. Sind diese Bands am Ende gefährlich?

Sie heissen Clit Commander, Oral Fistfuck, Stillbirth und treten am Samstag am «Monthly Assault» in Zug auf*. Auf Deutsch übersetzt – Klitoris-Kommandant, oraler Faustfick, Totgeburt. Die Extreme-Metal-Veranstaltung im Jugendzentrum Industrie 45 heisst «monatlicher Übergriff» und hat in der Vergangenheit auch schon Bands wie Vulvodynia (Kürbis-Scheide), Placenta Powerfist (Mutterkuchen-Kraftfaust) oder Rectal Depravity (Anale Verderbtheit) eine Bühne geboten.

Man fragt sich: Was ist bloss mit diesen Metallern los, dass sie sich derart auf Hard Porn versteifen? Sind sie gestört, mangelt es ihnen an Phantasie, oder können sie durch nichts anderes schockieren? Wir suchen Rat bei einer Expertin.

Ästhetik von Splatter-Filmen beeinflusst

«Es handelt sich bei den genannten Gruppen um Brutal Death Metal Bands», sagt Anna-Katharina Höpflinger, Lehrbeauftragte an der Universität Luzern. Die Religionswissenschaftlerin forscht bereits seit 2006 zu Heavy Metal. «Das ist manchmal sehr anstrengend», sagt sie und lacht.

Natürlich wollten die Bands mit ihren Namen provozieren. Ebenso wie durch die übertriebene Darstellung von Sex und Gewalt in ihren Texten und visuelle Effekte aus Splatter-Filmen. «Dies zeichnet ihre künstlerische Aestethik aus, auch wenn sie bizarr wirkt.» Aber die Provokation diene vorab der Wiedererkennung.

Wirtschaftlich erfolgreiche Provokation

Freunde der Stromgitarre erkennen an Albumcovern mit einem umgedrehten Kreuz, dass sie Black Metal vor sich haben. Eine stilisierte, schöne Frau kündigt Gothic Metal an – und wenn zerstückelte Frauen die Szenerie bedecken, dann handelt es sich um Brutal Death Metal. Der Musikstil zeichnet sich durch tiefer gestimmte Instrumente, ausgeprägten Grunz-Gesang und maschinengewehrartiges Trommeln aus und ist schwierig zu spielen.

Zertrennte Frauenkörper: Cover von Clit Commander aus Schwyz.

Zertrennte Frauenkörper: Cover von Clit Commander aus Schwyz.

(Bild: zvg)

Die Kennzeichnung sei wichtig, denn er helfe bei der Vermarktung. «Heavy Metal ist generell ein wirtschaftlich sehr erfolgreicher Musikstil» so Höpflinger, auch wenn Schweizer Bands aus dem Death Metal nichts verdienten.

Auf der andern Seite gehe es bei dieser Provokation um Abgrenzung. «Sie schafft eine eigene Subkultur», sagt die Uni-Dozentin. «Und Namen sind dabei eine Art Identifikationselement mit einem bestimmten Genre des Heavy Metal.»

Gesellschaftskritik durch Gewaltverherrlichung

Anna-Katharina Höpflinger, Lehrbeauftragte Uni Luzern.

Anna-Katharina Höpflinger, Lehrbeauftragte Uni Luzern.

(Bild: zvg)

Den Bands und Fans sei der übertriebene Sexismus oft kaum bewusst. «In Interviews sagen Musiker und Fans meist, dass Brutal Death Metal für sie in erster Linie technisch anspruchsvolle Musik ist», erzählt Höpflinger. Alles andere gehöre für sie einfach dazu. «Für Aussenstehende können die damit verbundenen Bilder und Texte aber trotzdem erschreckend wirken.»

Ihre Forschungen zeigten allerdings, dass es zu einfach wäre, von gewaltverherrlichenden und sexistischen Bildern und Namen auf die Lebenseinstellung der Bands oder der Fans zu schliessen. «Für die Bands ist es auch ein Sich-Beschäftigen mit negativen Aspekten unserer westlichen Gesellschaft, quasi eine Art Spiegel, die sie in verzerrter Weise der Gesellschaft vorhalten wollen», sagt die Luzerner Religionswissenschaftlerin. «Viele Musiker machen sich durchaus Gedanken um die Welt.»

Schlagersternchen haben’s auch nicht besser

Dass  diese Beschäftigung in einer einseitigen und übertriebenen Weise geschehe, sei absolut nichts Ungewöhnliches. «Schauen Sie mal die Schlagersänger an», sagt Höpflinger. Die sängen alle von Liebe und harmonischem Sex. «Aber sie leben auch nicht alle in eier tollen Beziehung.»
 
Schaden nehmen Metal-Fans offenbar keinen an Gewaltverherrlichung. «Das sind nicht etwa alles potentielle Mörder, auch nicht Psychopathen, sondern ganz normale Menschen«, so Höpflinger.

Überrascht vom Respekt

Sie selber habe auch schon einen «Monthly Assault» in Zug besucht. « Das war ein bisschen ungewohnt und die Musik klingt  für mich immer ähnlich.» Beeindruckt sei sie jedoch gewesen, mit welchem Respekt und welcher Höflichkeit die Metaller sich und Aussenstehende behandelt hätten. «Vielleicht stimmt das Klischee», meint Höpflinger und schmunzelt: «Metal-Fans sehen oft gefährlich aus – und entpuppen sich dann als überaus lieb.»
 
So klingt die schwyzerisch-luzernische Band Rectal Depravity:
 

Anna-Katharina Höpflinger beschäftigt sich sonst mit Drachenmythen oder der Religionsgeschichte der Antike. Zum Forschungsgegenstand Heavy Metal sei sie durch eine Seminararbeit noch als Studentin gekommen. Da ihr die häufige Verwendung von religiösen Symbolen im Heavy Metal aufgefallen war, begann sie sich, um die harte Musik zu kümmern.

Ekstase ist wichtig

Direkt mit Religion hat Brutal Death Metal zwar nichts zu tun. Aber ein transzendentes Element hat die Dozentin trotzdem entdeckt. «Ekstase ist wichtig», so Höpflinger. Das Abtauchen in eine eigene Welt, der Ausbruch aus der kontrollierten, durch Social Media überwachten Normalität. «Death-Metal-Fans fragen mich oft: Wo sonst könnte ich hemmungslos rumbrüllen und wild headbangen, wenn nicht an einem Konzert?»

* Hinweis: Für den Monthly-Assault-Jubiläumsabend vom Samstag, 17. Februar, an der Industriestrasse 45, Zug, hat Oral Fistfuck abgesagt. Stattdessen tritt Rectal Depravity auf.

Clit Commander – bei einem früheren Auftritt in Zug.

Clit Commander – bei einem früheren Auftritt in Zug.

(Bild: Pawel Streit)

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