Die neue Geschäftsführerin im Interview

Nathalie Brunner: «Das Neubad lebt vom Charme des Vergänglichen»

Nathalie Brunner vor dem Pool des Neubads. (Bild: wia)

Das Luzerner Neubad hat sich zu einer kulturellen Zwischennutzung gemausert, die nicht mehr aus der Stadt wegzudenken ist. In dieses Spannungsfeld ist Nathalie Brunner letzten Sommer als neue Geschäftsleiterin eingetaucht. Wie es um den Abriss des Hauses steht und wieso Luzern ihrer Meinung nach komplett unterschätzt wird.

Es ist eine abenteuerliche Zeit, um einen Kulturbetrieb – und erst noch einen zeitlich begrenzten – zu übernehmen. Nathalie Brunner hat sich nicht davor gescheut. Die 40-Jährige hat im vergangenen August, zwischen der gefühlt 34. und 35. Corona-Welle, das Luzerner Neubad übernommen (zentralplus berichtete).

zentralplus traf die gebürtige Wienerin und Nachfolgerin von Dominic Chenaux in ihrer neuen Wirkungsstätte.

zentralplus: Nathalie Brunner, ich stelle mir vor, dass Ihr Start im Neubad nicht nur einfach war. Dies, da zumal praktisch das ganze Leitungsteam bei Ihrem Eintritt neu war.

Nathalie Brunner: Nun ja, im Frühjahr 2020, also quasi mit dem ersten Lockdown, hat das neue Veranstaltungsteam mit Philipp Weizenegger und Carla Taube gestartet. Später verliess die Co-Leiterin Michelle Grob den Betrieb, etwas später Dominic Chenaux. Im Sommer 2021 kündigte ausserdem die Gastroleitung. Wir sind noch immer auf der Suche nach Ersatz! Finden wir diesen, ist das Leitungsteam komplett. Ich hatte das Glück, dass ich von Anfang auf meine «rechte Hand» Laurin Schwob zählen konnte. Er ist von Anfang an beim Neubad dabei und war bei meiner Einarbeitung federführend. Für seine Expertise und seine Erfahrung bin ich extrem dankbar. Wir sind ein tolles Team und haben uns in kürzester Zeit auf allen Ebenen gefunden.

zentralplus: Kaum dass Sie gestartet sind, erhob sich die Omikron-Welle. Wie blicken Sie auf Ihre Anfänge beim Neubad zurück?

Brunner: Im Herbst waren wir alle ziemlich optimistisch. Im September 2021 starten zu können, war ein fantastisches Gefühl! Der Saisonstart war phänomenal, wir konnten endlich wieder für Programm sorgen. Das war mitunter auch eine grosse Herausforderung. Den Umgang mit dieser Arbeitsbelastung musste man nach so langer Zeit mit angezogener Bremse wieder erlernen. Damals dachte ich wirklich, das wars mit der Pandemie, Leinen los!

zentralplus: Und dann kam Omikron.

Brunner: Ja. Ich arbeitete vorher im Kulturhaus Kosmos in Zürich, wo ich den ersten Teil der Pandemie mit allen Ups und Downs miterlebte. Als Betreiberin eines öffentlichen Begegnungsorts war es damals wahnsinnig schwierig, uns immer wieder neu zu motivieren. Nie wusste man, in welcher Form die geplanten Veranstaltungen durchgeführt werden können oder ob sie ganz abgesagt würden. Der Winter 21/22 war jedoch auf seine eigene Art hart fürs Gemüt.

«Wir wurden nicht abgestumpft, viel eher wurde die Situation lästiger.»

zentralplus: Gewöhnt man sich als Kulturveranstalterin während der Pandemie nicht irgendwann an diese Unsicherheiten?

Brunner: Nein, nie. Die Situation ist immer anders, die Massnahmen, das Verhalten der Menschen. Diesen Winter haben wir etwa festgestellt, dass sich ein Teil der Gesellschaft sehr zurückzog. Wegen Omikron waren viele Leute sehr vorsichtig. Auch haben wir gespürt, dass die Leute im Homeoffice waren. Ausserdem steckten sich viele Mitarbeiter sehr rasch an und fielen zeitweise aus. Wir wurden also nicht abgestumpft, viel eher wurde die Situation lästiger. Dieses Repetitive führt dazu, dass man sich fragt, ob es irgendwann gut kommt oder ob man sich darauf einstellen muss, dass es jeden Winter so sein wird.

zentralplus: Wie ist denn Ihre jetzige Gefühlslage?

Brunner: Sehr gut! Als die Massnahmen gefallen sind, war das für uns ein überschäumender Moment. Den haben wir im Team und mit unseren Gästen intensiv gefeiert. Doch bereits nach dem ersten Wochenende ohne Massnahmen bahnte sich mit dem Krieg in der Ukraine die nächste Krise an. Die Zeiten werden wohl auch weiterhin nicht einfach sein.

zentralplus: Inwiefern glauben Sie, wird der Ukrainekrieg den Betrieb beeinflussen?

Brunner: Das ist noch schwierig zu sagen. Doch der Krieg ist in den Köpfen drin und nun gilt es, die Situation zu beobachten. Nebst der humanitären Krise, die uns allen unter die Haut geht, steigen auch die Rohstoffpreise. Das wird uns alle irgendwie treffen. Eine nie dagewesene Krise folgt einer nie dagewesenen Krise. Jetzt heisst es mehr denn je, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und Unterstützung zu leisten.

Nicht nur im Sommer ein Treffpunkt: Das Neubad in der Stadt Luzern. (Bild: bic)

zentralplus: Das Neubad wurde als Zwischennutzung konzipiert. Sie sind demnach vor einem Dreiviertelahr auch mit dem Bewusstsein dieser Endlichkeit eingestiegen. Stimmt Sie das melancholisch oder ist das viel eher eine befreiende Ausgangslage?

Brunner: Ich empfinde es als sehr inspirierend, an einem Projekt zu arbeiten, das ein definiertes Ende hat. Und mir ist es gleichzeitig bewusst, dass das Neubad aus Luzern nicht mehr wegzudenken ist. Alle, die hier ein- und ausgehen, können sich ein Luzern ohne Neubad nicht vorstellen. Wenn es zu Ende geht, werden viele mit Tränen in den Augen dastehen – auch ich, das ist klar. Aber es gibt einem eine gute Perspektive. Ausserdem lebt das Neubad auch vom Charme des Vergänglichen.

«Eine Vertragsverlängerung würde auch Herausforderungen mit sich bringen.»

zentralplus: Ursprünglich war geplant, dass das Neubad bloss vier Jahre belebt wird. Dieser Zeithorizont hat sich bis jetzt verdoppelt. Der aktuelle Vertrag wird Ende 2023 ablaufen. Oder gibt es diesbezüglich Neues?

Brunner: Wir hatten unter den aktuellen Umständen noch nicht gross Zeit, uns damit zu befassen, ob nun übermorgen das Ende da ist. Wir sind schlicht einfach froh, dass wir nach dem vermeintlichen Ende der Pandemie noch da sind. Doch planen wir dieses Jahr mit der Abteilung Immobilien der Stadt Luzern Verhandlungen, um auszuloten, was die Zukunftsperspektiven sind. Mein Wunsch wäre es, diese Gespräche bis Herbst 2022 abschliessen zu können. Schlicht, um rechtzeitig planen zu können, immerhin arbeiten hier 60 Menschen. Ich für meinen Teil werde alles dransetzen, dass wir das Quartier- und Kulturleben hochleben lassen, bis die Abrissbirne kommt. Eine Vertragsverlängerung würde jedoch auch Herausforderungen mit sich bringen.

zentralplus: Die da wären?

Brunner: Wir beleben und bespielen ein Hallenbad mit Jahrgang 1968. Die Anlage ist entsprechend alt. Darin liegt auch eines unserer grössten Risiken: Dass wir mit einer Anlage leben, die uns jederzeit das Genick brechen könnte. Wenn etwa die Heizung – die wir damals in einem sehr schlechten Zustand übernommen haben – irreparabel wird, wars das. Auch wenn wir diese sehr intensiv pflegen.

Nathalie Brunner hat im August 2021 die Geschäftsleitung des Neubads übernommen (Bild: wia)

zentralplus: Der Unterhalt der Anlage klingt nicht gerade günstig.

Brunner: Nein. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und haben einen Gebrauchsleihvertrag. Heisst: wir zahlen keine Miete. Viele glauben, dass uns damit goldene Bedingungen gegeben sind. Nur sind wir eben selber für den Unterhalt und die Betriebskosten verantwortlich. Was das für ein solch altes Gebäude bedeutet, kann man sich kaum ausmalen. Und das wird immer mehr: Je älter das Haus ist, desto anfälliger werden die Anlagen. Mit der wertvollen Expertise unserer Vermieterin konnten wir jedoch immer eine gute Lösung finden.

«Wir müssen unsere verheulten Augen abschwellen lassen und mit grosser Motivation aus dem Neubad rausholen, was geht.»

zentralplus: Wo sehen Sie als Geschäftsführerin Ihre wichtigsten Aufgaben?

Brunner: Zunächst einmal darin, den Laden wieder auf Trab zu bringen. Wir müssen unsere geschwollenen, verheulten Augen abschwellen lassen und mit grossem Eifer und grosser Motivation aus dem Neubad rausholen, was geht. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich darin, das Neubad in den bevorstehenden Jahren mit dem Team zur Höchstform auflaufen zu lassen. Das Haus soll ein vielfältiger Ort für alle sein und ich sehe es als meine Mission, die Menschen zusammenzubringen.

zentralplus: Das klingt zunächst einfach. Seit zwei Jahren wissen wir jedoch, dass wir nicht alles beeinflussen können, was da auf uns zu kommt.

Brunner: Was wir in der Krise gelernt haben, das nimmt uns keiner mehr. Ich bin überzeugt, dass uns die Krise gestärkt hat. Die Unterstützung, die wir vom Netzwerk und von den Mitgliedern erhalten haben, zeigt uns ausserdem, wie stark unsere Rückendeckung ist. Die Erfahrung zeigt, dass die Faszination fürs Neubad auch nach acht Jahren ungebrochen ist. Darum gilt es, jüngere sowie ältere Generationen abzuholen.

«Meiner Meinung nach wird Luzern komplett unterschätzt.»

zentralplus: 14 Jahre lang waren Sie in Zürich. Wie unterscheidet sich die dortige Kulturszene von der hiesigen?

Brunner: Ich habe in verschiedenen grossen und weniger grossen Städten gelebt, in Wien, München, Berlin, Zürich. Meiner Meinung nach wird Luzern komplett unterschätzt. Es gibt eine grosse Vielseitigkeit im kulturellen Bereich, die bemerkenswert ist für so eine kleine Stadt. Luzern ist ausserdem wahnsinnig gut vernetzt. Man unterstützt sich untereinander, viele Häuser sind im Dialog miteinander. So zumindest nehme ich das wahr. Das finde ich etwas vom Wichtigsten an der Kulturszene, dass man sich gegenseitig unterstützt und nicht das Wasser abgräbt. Ich arbeite natürlich hart daran, dass mich meine Gschpändli aus anderen Städten und Ländern hier besuchen kommen. Denen steht nämlich jedes Mal die Kinnlade offen, wenn sie dieses Hallenbad zum ersten Mal live sehen.

zentralplus: Blick nach vorne: Was sind aktuelle, spannende Projekte?

Brunner: Bis im letzten Herbst gab es im Neubad eine WG in der ehemaligen Wohnung des Schwimmbadleiters. Die Idee, dass man mit dieser Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung etwas Neues machen könnte, bestand schon immer. Nun sind die Bewohner «flügge» geworden, wodurch sich neue Möglichkeiten ergeben. Aktuell läuft eine Projektphase namens «FFK im Oberstübli». Das sind Kurzresidenzen von je einer Woche, in denen soziokulturelle, künstlerische, musikalische Projekte stattfinden. Die Wohnung wird so zum Experimentierraum. Das dient uns als erste Phase, um herauszufinden, wie wir die Wohnung weiter nutzen können. Das Tolle dabei ist, dass die Künstlerinnen und Künstler gleich hier übernachten können. Die meisten sind völlig perplex über dieses Angebot und diese aussergewöhnliche Umgebung.

zentralplus: Worauf freuen Sie sich besonders dieses Jahr?

Brunner: Mein absolutes Highlight ist die Neujahrsparty, die traditionellerweise nach den Betriebsferien im Januar stattfindet. Wir alle waren sehr traurig, dass die Party nicht wie üblich anfangs Jahr stattfinden konnte und sind umso glücklicher, dass wir das am 14. April nachholen können. Weiter wird es nach einigen Jahren Unterbruch den Jahrmarkt der schönen Dinge wieder geben, eine spannende Plattform für Design und Kreativschaffende. Ein neues Format, das gerade erst gestartet hat, ist «Brotphilosophie». Es handelt sich um eine Veranstaltungsreihe, in der verschiedenste Aspekte zum Thema Brot beleuchtet werden. Währenddessen bäckt im Ofen das Brot, das zum Schluss gemeinsam gegessen wird. Auch auf unser Sommerprogramm auf dem Vorplatz freuen wir uns nach diesem langen Winter so richtig fest.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Nathalie Brunner
  • Frühere Medienberichte
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