Kunstwerk des Zürcher Sprayers entfernt

«Naegeli»-Figur in Zug spurlos verschwunden

Das Werk von Harald Naegeli hat nicht lange überdauert. Und das ist irgendwie ok, finden Kunstvermittlerinnen. (Bild: zvg Nicolett Theiler)

Beim Parkhaus Frauensteinmatt in Zug prangte seit einigen Jahren das Bild einer nackten Frau an der Wand. Dass es sich dabei um das Werk des bekannten Künstlers Harald Naegeli handelte, wussten viele nicht. Auch nicht jene Arbeiter, die das Werk vor einiger Zeit ahnungslos beseitigten. Wir sind auf Spurensuche gegangen.

Wenn es einen Künstler gibt, der das Spannungsfeld besonders gut widerspiegelt, in welchem sich die Kunst, und insbesondere Street Art, befindet, dann ist das Harald Naegeli. Seit den 1970er-Jahren besprayt der Zürcher Fassaden mit seinen Figuren. Während er damit zum einen in Teufels Küche, respektive im Knast landet, wird er zum anderen mit Preisen ausgezeichnet.

Das schönste Beispiel: 2020 erhielt Naegeli von der Stadt Zürich den Kunstpreis verliehen, gleichzeitig erhob unter anderem der Kanton Zürich Strafanzeige wegen Sachbeschädigung gegen den heute 82-Jährigen.

Auch die Stadt Zug kam vor wenigen Jahren in den Genuss von Naegelis Kunst, respektive wurde Opfer seiner «Schmierereien». Am Eingang des Parkhauses Frauensteinmatt zeichnete er – mit wenigen, dafür ziemlich expliziten Strichen – eine nackte Frau.

Eine nackte Wand statt einer nackten Frau in Zug

Die Zeichnung fand 2020 den Weg auf die Zuger Liste der Kunstwerke im öffentlichen Raum. «Harald Naegeli: Ohne Titel. 2018», heisst es dort. Bloss: Die füdliblutte Frau ist bereits dieses Jahr wieder verschwunden, wie die Zugerin Nicolett Theiler im Sommer realisierte. Sie postete die entsprechenden Fotos auf Facebook und schrieb dazu: «Wieso ist diese Naegeli-Figur seit neustem wegradiert, beziehungsweise übermalt? Sie war eine Bereicherung!»

«Die gesprayte Illustration ist in der Tat von der Stadtverwaltung entfernt worden. Dies ist im Unwissen darüber erfolgt, dass es ein echter Naegeli gewesen sein könnte.»

Karl Kobelt, Zuger Stadtpräsident

Die Reaktionen kamen prompt, aus kulturnahen Kreisen wogte Empörung auf. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Naegelis Werke in Zürich mittlerweile geschützt werden. War die nackte Frau den Zugern zu obszön?, wunderten sich einige. Oder wurde die Signifikanz dieser Kunst hier schlicht verkannt?

Heute sieht der Eingang des Parkhauses so aus. Naegelilos. (Bild: zvg Nicolett Theiler)

Naegeli-Figur aus Versehen weggeputzt

Eine Anfrage bei Karl Kobelt bringt etwas Licht ins Dunkel. Der Stadtpräsident und damit amtierender Präsident der Kulturkommission erklärt: «Die Vermutung, dass es ein Naegeli war, wurde nie verifiziert. Wir wissen es bis heute nicht.» Trotzdem habe die Stadt Zug das Graffiti stehen gelassen. Dies im Hinblick darauf, dass es sich um einen echten «Naegeli» handeln könnte.

Nur, so Kobelt weiter: «Die gesprayte Illustration ist in der Tat von der Stadtverwaltung entfernt worden. Dies ist im Unwissen darüber erfolgt, dass es ein echter Naegeli gewesen sein könnte.» Er betont sogleich: «Deshalb kann den zuständigen Leuten der Verwaltung kein Vorwurf gemacht werden.»

«Naegelis ephemere Kunst lebte schon immer davon, dass sie wieder verschwinden kann respektive muss.»

Carole Kambli, Kulturvermittlerin

Der Stadtrat sei über diesen Umstand aufgeklärt worden. «Aufgrund dieses Ereignisses nimmt die Abteilung Kultur die nötige Sensibilisierung nun laufend vor, dass auf Kunstwerke im öffentlichen Raum noch vermehrt Rücksicht genommen werden soll und bei Fragen und Unklarheiten Kontakt mit der Abteilung Kultur aufgenommen wird», so der Präsident der Kulturkommission abschliessend.

Naegeli oder nicht Naegeli, das ist hier die Frage

Eine Anfrage bei der Harald-Naegeli-Stiftung in Zürich erweist: Es handelte sich tatsächlich um ein Originalwerk des Künstlers. Anna-Barbara Neumann, die Geschäftsleiterin der Stiftung, habe die Figur gar selber Anfang 2022 besichtigen wollen, «da war sie schon weg». Sie bedauert diesen Umstand sehr.

Tatsächlich ist für ungeübte Augen nicht immer leicht, Kunst von Schmiererei zu unterscheiden. Ungewollte Kunstzerstörung ist nicht selten und passiert in den besten Museen. So etwa wurde im London Tate Museum ein Werk des Künstlers Gustav Metzger von den Reinigungskräften entsorgt. Auch Banksys und Joseph Beuys' Kunstwerke mussten schon dran glauben.

Naegelis «Totentanz» bei der Zürcher Schifflände. (Bild: zvg Wikipedia CC)

Zerstörung von öffentlicher Kunst ist «Part of the Game»

Dass der Naegeli in Zug in aller Pragmatik «entsorgt» wurde, findet Carole Kambli aus kunsthistorischer Sicht zwar sehr schade, aber gleichzeitig auch passend. Die Kulturvermittlerin dazu: «Naegelis ephemere Kunst lebte schon immer davon, dass sie wieder verschwinden kann respektive muss. Denn Graffitis an öffentlichen Gebäuden und Orten sind illegal.» Naegelis Sprayereien seien ab den späten 1970er-Jahren massenhaft wieder entfernt worden. «Das Auftauchen und wieder Verschwinden gehörte einfach dazu.»

«Die Empörung entsteht nur, weil Naegeli bekannt ist.»

Carole Kambli

Dass Harald Naegeli als Künstler gefeiert werde und seine Arbeiten teilweise unter Denkmalschutz gestellt würden und er auch Kunstpreise erhalte, sei erst seit kürzerer Zeit der Fall. Dass jedoch, gerade auch mit dem Übermalen des Graffitis in Zug, eine erneute Diskussion um die Kunst im öffentlichen Raum stattfindet, kann Kambli nur begrüssen. Sie fragt: «Was für Kunst braucht der öffentliche Raum? Was wird stillschweigend toleriert, was prägt die Stadt und die Identifikation der Bewohnenden mit ihr, und was sollte besser ‹entsorgt› werden?»

Sie fährt fort: «Die Empörung entsteht nur, weil Naegeli bekannt ist. Werden die Graffitis jüngerer, wenig bekannter Künstler übermalt, kümmert das niemanden.»

Letztlich gehe es ums Thema der Kulturvermittlung, und diese an ein möglichst breites und diverses Publikum. «Je aufgeklärter die Leute sind, desto weniger passieren solche versehentlichen Kunst-Zerstörungen», so Kambli. Seit vielen Jahren bietet die Stadt Zug jeweils am letzten Samstag des Monats gratis Führungen zu Kunstwerken im öffentlichen Raum an – «der Zuger Naegeli wurde da auch vorgestellt.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 12.11.2022, 18:26 Uhr

    Was Nägeli gemacht hat, hat keine „Signifikanz“. Es hat auch nichts mit Kunst zu tun. Und in Zürich gelten ja sogar das Schauspielhaus oder die Gessneralle mit ihren platten woken Volkserziehungs- und Lehrstücken als signifikante Kulturinstitutionen.

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    • Profilfoto von Hugo Ball
      Hugo Ball, 15.11.2022, 09:35 Uhr

      Umerziehung – heute auch nur allzu gerne als «Nudging» gepriesen – sehen gewisse Kreise gerne als Kulturleistung. Darum auch diese Fülle an ideologieproduzierenden Institutionen. Nicht umsonst heisst es ja auch Kulturrevolution (nach Mao). Offenbar befinden wir uns bereits seit Längerem im Auge des Sturms!

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