«Roadmovie» ist 20 Jahre alt

Mobiles Kino: Grossstadt-Feeling auf der Landschaft

Roadmovie bringt Kino dorthin, wo es eben keines gibt. (Bild: zvg Tom Wüthrich)

Die Luzernerin Claudia Schmid bringt das Kino ins Bergdorf: Das Konzept des Vereins Roadmovie – mobiles Kino, entlegene Orte, Schweizer Filme – funktioniert noch immer.

Dieses Kino ist kein «richtiges» Kino. Die Sprossenwand neben den aufgereihten Stühlen verrät es, ebenso die Turnringe, die über den Köpfen der Zuschauerinnen hängen. Doch das spielt keine Rolle. Denn das schöne am Kino ist ja, dass es eins ist, solange eine Leinwand, ein Projektor, Publikum und ein guter Film vorhanden sind. Weil all das, minus das Publikum, in ein grosses Auto passt, kann Kino irgendwo stattfinden.

Diese Erkenntnis hatten die Initianten von Roadmovie vor 20 Jahren. Und sie begannen mit ihrem mobilen Kino, Filmkultur in entlegene Orte zu bringen. Etwa ins Urner Isenthal, nach Corbeyrier im Kanton Waadt oder in die Zuger Berggemeinde Menzingen (zentralplus berichtete).

2003 ist das mobile Kino Roadmovie erstmals auf Tournee durch die Schweiz gestartet, um Filme zu zeigen. Das Konzept funktioniert bis heute.

Die Luzernerin Claudia Schmid ist ein Jahr später zum Verein gestossen. «Damals suchte man eine Operatrice zum Abspielen der 35-Millimeter-Filme. Ich hatte die Videofachklasse abgeschlossen, arbeitete im Stattkino in Luzern. Dass ich davor im Isenthal als Lehrerin gearbeitet hatte, – einem Ort, wo auch Roadmovie Halt machte – sah ich als gutes Omen.» Heute ist die 49-Jährige Co-Leiterin des Vereins, der in den letzten zwei Dekaden zünftig gewachsen ist und Standorte in Lausanne, Bellinzona und Luzern unterhält.

Kino in der Turnhalle: Ja warum denn nicht? Die Vorführung im luzernischen Ermensee zeigt, dass es geht. (Bild: zvg Beatrice Barnikol)

Der exotische Schweizer Film

Eine Besonderheit von Roadmovie: Es werden ausschliesslich aktuellere Schweizer Filme gezeigt respektive Schweizer Co-Produktionen. «Nicht, weil wir finden, es gäbe keine anderen Filme, die gut wären. Uns ist es vielmehr wichtig, Geschichten von hier zu zeigen.»

Die Luzernerin erzählt: «Ich erinnere mich, wie wir einst in einer Gemeinde waren. Einer der Kinogäste fand, es sei aber exotisch, Schweizer Filme zu zeigen.» Schmid weiter: «Das hat schon was. In den hiesigen Kinos werden in einem guten Jahr sechs bis sieben Prozent Schweizer Filme gezeigt.» Die meisten stammen aus den USA, einige aus Europa und wenige aus den restlichen Kontinenten. Auch auf den gängigen Streaming-Plattformen sind Schweizer Produktionen die grosse Ausnahme.

Claudia Schmid ist seit 19 Jahren bei Roadmovie. (Bild: wia)

Die geografische Einschränkung hat für das Roadmovie-Team einen grossen Vorteil. «Wir möchten zu jeder Filmvorführung Leute einladen, die am gezeigten Film beteiligt waren. Sei das als Regisseurin, in der Produktion oder im Bereich Musik.» Dies führe zu einer sehr besonderen Art der Begegnung zwischen der Bevölkerung und den Kulturschaffenden.

Keine Angst, sich zu blamieren

Überhaupt seien die Veranstaltungen auf dem Land anders als jene in urbanen Gebieten. «Es herrscht ein ganz anderer Groove, die Filmvorführungen sind keine Cüpli-Veranstaltungen, die Zuschauer kennen sich meist alle. In ländlichen Regionen scheut man sich vermutlich deshalb auch weniger, Fragen zu stellen, respektive hat weniger Angst, sich zu blamieren.»

In den Anfangsjahren gab es Roadmovie ausschliesslich im Tournee-Format. Heisst: «Im Herbst reisten wir zwei bis drei Monate durch die Schweiz, um Kinovorführungen in den Gemeinden zu veranstalten. In Turnhallen, Vereinslokalen oder Beizen. In den anderen Monaten bereiteten wir die Tournee vor. Das war insbesondere deshalb aufwändig, da wir das nebenberuflich gemacht haben.»

Öffentliche Gelder und Workshops

Irgendwann begann der Wunsch zu gären, mit dem Projekt «bescheiden leben zu können», sagt Schmid. Der Wunsch ging in Erfüllung. Das Team vergrösserte sich, Roadmovie wurde präsenter. Heute finanziert sich der Verein insbesondere durch die Unterstützung des Bundesamtes für Kultur (BAK), die Kantone und verschiedene Stiftungen. Dennoch bleibt das Konstrukt fragil. «Wir erhalten fast keine Strukturbeiträge, sondern Projektbeiträge. Dahinter steckt viel Arbeit. Abgesehen davon kann man nie sicher sein, ob eine Leistungsvereinbarung, wie wir sie mit dem BAK haben, wieder verlängert wird.»

On the Road seit 20 Jahren

Roadmovie wurde 2003 von John Wäfler gegründet. Ein Jahr später kam Claudia Schmid dazu. Mittlerweile arbeiten ungefähr 20 Leute für den Verein. Das Wanderkino macht an jenen Orten halt, wo es kein Kino (mehr) gibt, um dort Schweizer Filme zu zeigen. Dies sowohl für Erwachsene als auch für Schulkinder. Diese erhalten ausserdem mittels Trickfilm-Workshops einen Einblick in die Filmkultur.

Zu besagten Unterstützungsgeldern kommen Einnahmen aus eigenen Projekten. «Wir vermieten unsere Kinotechnik für Openairs und führen Filmworkshops mit Schulklassen durch. Bei diesen erarbeiten Kinder klassenübergreifend während einer ganzen Woche einen kurzen Trickfilm selbst», sagt sie. «Dadurch erhalten Kinder spielerisch einen Zugang zum Thema Film. Ausserdem freuen sie sich, auf ein fertiges Projekt hinzuarbeiten, das man am Kinotag gemeinsam, auch mit Eltern und Grosseltern, auf der grossen Leinwand anschauen kann.»

Durch die Workshops würden Kinder das Kino nicht nur als Zuschauer kennenlernen, sondern als aktive Teilnehmerinnen. Für solche Projekte arbeitet Roadmovie jeweils mit lokalen Behörden und Vereinen.

Roadmovie fokussiert sich mitunter auf Trickfilm-Workshops. (Bild: Roadmovie)

Kinderfilme werden analog abgespielt

20 Jahre! In dieser Zeit hat sich viel verändert. Und Roadmovie zog mit, wechselte etwa vom analogen zum digitalen Film. «Doch einzelne kurze Kinderfilme zeigen wir nach wie vor auf 35-Millimeter-Film. So sehen sie, wie das funktioniert mit den bewegten Bildern. Digital ist dieser Ablauf ja nur sehr schwer nachvollziehbar», sagt Schmid. «Ausserdem ist der Filmprojektor für die Kinder ein spannendes Objekt, der ‹tschäderet› richtig.»

Roadmovie hat es sich zum Vorsatz gemacht, in allen Schweizer Sprachregionen vertreten zu sein. Mit gutem Grund: «Die Schweiz mit ihren unterschiedlichen Sprachen hat das Problem, dass Filme nur in der jeweiligen Sprachregion wahrgenommen werden», sagt Schmid. Diese Hürden versuche man zu überwinden. «Unser Team arbeitet an unterschiedlichen Orten. Im Tessin, in der Westschweiz und hier in Luzern, wo sich die Geschäftsstelle für die Deutschschweiz befindet.»

Einen Fokus legt Roadmovie ausserdem darauf, dass im Filmangebot ein grösseres Gleichgewicht zwischen Regisseurinnen und Regisseuren besteht. «Aktuell ist die Quote der weiblichen Filmemacherinnen deutlich tiefer. Wir möchten unser Augenmerk darauf legen, dass wir zumindest 40 Prozent Frauenanteil haben.»

Gastgeber und Gast zugleich

Claudia Schmid sagt: «Das Besondere an unserer Arbeit ist, dass wir sowohl Gastgeber als auch Gast sind in den Gemeinden, die wir besuchen. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in Vättis. Die Leute waren begeistert und wollten, dass wir nach dem Anlass noch etwas trinken mit ihnen.» Die Beiz sei an diesem Tag eigentlich geschlossen gewesen. «Doch da der Gemeindepräsident mit dabei war, wurde das Restaurant extra aufgemacht. Es ist schön, wenn sich beide Seiten mit Respekt und Neugierde begegnen. So wird es möglich, in andere Leben einzutauchen.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Claudia Schmid
  • Website Roadmovie
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1 Kommentar
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    Myriam, 12.02.2023, 12:45 Uhr

    Danke für diesen tollen Bericht über ein spannendes Projekt, das mit viel Engagement und Herzblut geleitet wird!

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