Zum fünften Mal bei der Kunstpause dabei

Mit blosser Muskelkraft gegen die Glencore

Ihr Gesicht zeigt sie in ihren Werken oft. Doch das macht Julia Schicker nichts aus.

Julia Schicker plant kaum. Macht Kunst über Themen, die ihr offensichtlich scheinen, die sie aber noch stärker ins Bewusstsein der Leute rücken möchte. Als Mittel zum Zweck dient ihr oft ihr eigenes Gesicht. Und ihr Körper. Etwa, wenn sie versucht, das Glencore-Gebäude wegzudrücken.

Da sitzt sie mit roten Lippen vor dem Steak. Rechts Messer, links Gabel in der Hand. Ein paar Sekunden vergehen, das Besteck fällt, mit beiden Händen greift sie zum Stück Fleisch, beisst rein, blickt dabei in die Kamera. Innert weniger Minuten verschwindet das Steak, ist verschlungen. Genuss ist das nicht.

Zum fünften Mal eine Kunstpause einlegen

Die Künstlerin hinter dieser Videoperformance heisst Julia Schicker, ist 23 Jahre alt und kommt aus Steinhausen. Zum fünften Mal ist sie dieses Jahr Teilnehmerin bei der Zuger Kunstpause. Dieses Mal knöpft sie sich jedoch nicht den unbewussten, übermässigen Konsum vor, sondern passend zur Zuger Ausstellung, den Konzern Glencore.

In «Code of Conduct» liest sie die Richtlinien der Baarer Firma vor. Klingt etwas öd? Nicht, wenn dahinter Bilder und Videos eingeblendet werden, die immer das genaue Gegenteil des gelesenen Inhalts wiedergeben. Daneben ist noch ein weiteres Werk von Schicker zu sehen. Eine Videoaufnahme, in der die Steinhauserin versucht, das Glencore-Gebäude mit schierer Körperkraft zu verschieben.

 

Pushing Glencore from Julia Schicker on Vimeo.

Sie will die Leute aufmerksam machen auf ihr unbewusstes Konsumverhalten und auf die ethischen Schwachstellen eines Grosskonzerns. Will Schicker die Menschen denn erziehen?

«Nein, sicher nicht. Mein Ziel ist es viel eher, die Leute aufmerksam zu machen. Ich greife Problematiken auf, die bereits klar sind. Alle wissen, dass die Arbeitsbedingungen für Minenarbeiter schlecht sind.» Ziel sei es, dass ein Diskussion entsteht und dass das Bewusstsein für gewisse Themen wachse.

Von Kunst auf Informatik geschwenkt

Schicker hat gerade ihren Bachelor-Studiengang an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen, hat sich dabei auf Media Arts spezialisiert.  Allein dieses Jahr hat sie in Zürich, Lenzburg, Basel und Zug ausgestellt. Klingt nach Vollblut-Künstlerin. Schon, findet sie. Aber da soll noch mehr kommen. «Ich fange im September an der ETH an, Informatik zu studieren», sagt sie, lacht verschmitzt. Sie habe gerade Lust dazu.

Geplant gewesen sei das so nicht. «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es, wenn ich zuviel plane, immer in die Hosen geht. Darum habe ich damit aufgehört.» Ausserdem gebe es wohl neben der Kunst auch noch andere Dinge, die sie glücklich machen könnten, so Schicker. Möglicherweise Informatik.

«Insbesondere das Thema Datenschutz reizt mich, oder aber, der Fakt, dass die Informatik überall ist und immer tiefer in unser Leben eindringt.»

Julia Schicker, Zuger Kunstschaffende

Sie habe in den letzten paar Jahren angefangen, Webseiten zu schreiben und gemerkt, dass sie sich ein solches Studium vorstellen könnte. «Insbesondere das Thema Datenschutz reizt mich, oder aber der Fakt, dass die Informatik überall ist und immer tiefer in unser Leben eindringt. Wenn ich dieses Gebiet studiere, lerne ich auch dessen Grenzen kennen.» Dennoch schmerze es, zu wissen, dass sie nun zu 120 Prozent absorbiert sein werde «und die Kunst nun eine Weile schlafen muss.»

Drei Minuten für ein grosses Steak. Ein etwas verstörender Anblick.

Drei Minuten für ein grosses Steak. Ein etwas verstörender Anblick.

(Bild: Video «Meat» von Julia Schicker)

Kunstpause: Das Sommer-Highlight

Doch immerhin ist nun vor dem Studium noch Kunstpause angesagt. Und darauf freut sich Schicker. «Der Anlass ist für mich immer das Highlight des Sommers. Hier konnte ich vor vier Jahren zum ersten Mal ausstellen. Ich wüsste nicht, wo ich sonst angefangen hätte. Ausserdem treffen hier erfahrenere und junge Künstler aufeinander, die Arbeiten sind immer sehr durchmischt, weil es keine Vorgaben gibt. Die Ausstellung widerspiegelt alle Aspekte der Kunst.»

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sich Schicker freut. «Ich wollte die Glencore-Arbeit unbedingt auch in Zug zeigen, wo die Firma ihren Sitz hat.»

Die Kunst-Fassade schützt

Wenn Schicker Kunst macht, dann exponiert sie sich stark. Meist ist ihr Gesicht, häufig ihr Körper Teil ihrer Werke. Geht ihr das nicht zu nah? «Ich bin mit Youtube und Vlogs aufgewachsen. Bei meinen Arbeiten habe ich nun halt mich, also die Hülle, in der ich wohne, quasi als Stereotyp einer Person genommen, die sich die Fragen stellt, die ich mir stelle.» Ausserdem sei ihr Auftreten bei den Performances stets eine Fassade, wohinter sie sich selber schützen könne.

«Zeitweise hing in der ganzen Stadt Zug ein Plakat von meiner Fleisch-Arbeit. Irgendwann ist einem das komplett egal. Und ja, vielleicht steckt auch ein narzisstischer Trieb dahinter.» Ach wirklich? «Naja. Ich komme aus einer Generation kompletter Selbstdarsteller. Dafür ziehe ich mich beispielsweise aus Plattformen wie Facebook zurück.»

Die Zuger Kolonie in Zürich

Schickers Kunst ist gesellschaftskritisch. «Was ja Kunst eigentlich immer ist.» Wenn man sich jedoch mit so viel Negativem befasst, braucht es bestimmt auch einen positiven Ausgleich. «Dafür habe ich meinen Freundeskreis. Ursprünglich sind wir fast alle Zuger, die nun in Zürich eine eigene Kolonie bilden. Da sind Ethnologie-Studenten dabei, Automechaniker, Primarlehrerinnen und angehende Mediziner. Diese Kontakte, fernab der Kunstwelt, tun mir gut.»

«Wer weiss, vielleicht programmiere ich nächstes Jahr meine Kunstarbeit.»

Julia Schicker, Zuger Kunstschaffende

Fernab dieser Welt wird Schicker künftig mit ihrem neuen Studium sowieso sein. Dennoch kann es sein, dass sie auch nächstes Jahr an der Kunstpause anzutreffen sein wird. «Wer weiss, vielleicht programmiere ich nächstes Jahr meine Kunstarbeit.»

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