Ein junger Zuger macht aus Krach Kunst

Manipulation der Sinne – von London nach Zug

Matthias Moos will mit seiner digital gesteuerten Elektronik-Kugel die Emotionen des Publikums kontrollieren.

Der Zuger Künstler Mativa spielt Gott mit der Wahrnehmung seines Publikums, lässt es krachen auf Teufel komm raus. Matthias Moos, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, ist mit Elektronik und Algorithmen der Marke «Eigenbau» auf der Suche nach den Grenzen kontrollierter Wahrnehmung. Wenn Krach zum Faszinosum wird.

Ein direkter Zugang zu den Emotionen des Publikums: Dieses Ziel verfolgt der junge Zuger Digitalkünstler Matthias Moos, alias «Mativa». Damit erhebt er durch und durch strukturierten Krach zu audio-visueller Kunst. Verrückt? Vielleicht. Sein Erfolg, in Form sprachloser Zuschauer, heiligt jedoch die künstlerischen Mittel, auch wenn er die Sinne auf Teufel komm raus und mit bizarren Instrumenten manipuliert. Mittlerweile geht das auch via Handy. Konkret generiert er Grafiken und Klänge mithilfe geometrischer Formeln, gespeichert auf von ihm selbst gebauter Elektronik. Dabei nutzt er Elemente der «Noise» Art, Englisch für Krach, Rauschen. Wie es einem Schöpfer seiner eigenen digitalen Genese in Zug so ergeht, erzählt uns Mativa im Interview.

zentralplus: Mativa, warum versetzt du dein Publikum mittels «Noise Art» in einen anderen «Mindspace», quasi in eine andere Wahrnehmung oder Fantasiewelt?

Mativa:  Ich bin nicht wirklich interessiert an Fantasiewelten. Ich bin daran interessiert, den Zuschauer oder Besucher einer Ausstellung in einen Zustand der reinen Wahrnehmung zu bringen. Ein Ort, an dem Realitätskonzepte und -wertungen in den Hintergrund treten und die Wahrnehmung dessen, was gerade passiert, direkten Zugang zu den Emotionen bekommt. Das hat für mich vielmehr mit Realität als mit Fantasie zu tun.

«The Purest Of All Sounds» führt Moos derzeit auf, auch als Live Show und Virtual Reality Applikation mit KnoR.

zentralplus: Noise als Musik gibt es schon länger, so hat Japan etwa eine bekannte Szene. Wie überträgt sich das auf deine Arbeit?

Mativa: In der Szene wird viel mit dem Überschreiten von Schmerzgrenzen und Katharsis gearbeitet. Ich persönlich gehe da subtiler vor, taste mich langsam ganz nah an Grenzen heran und überschreite diese nur in kurzen, sehr genau gewählten Momenten. Ich arbeite gerne audio-visuell, entwickle oft Prozesse, aus denen heraus Klang und Bild gleichzeitig entstehen und sich ebenbürtig sind.

zentralplus: Du hast nach einigen Jahren London verlassen, um in die Innerschweiz zurückzukehren. Was brachte dich zurück?

Mativa: Ich kam letzten Oktober nach Zug zurück und stiess beim Atelier 63 hinzu, wo ich auch für die Kunstnacht angefragt wurde. In London, wo ich studiert habe und Verbindungen knüpfen konnte, ist das Ambiente absolut international. Ich traf Menschen aus der ganzen Welt, die viel auf sich nahmen, um genau an diesen speziellen Ort zu reisen. Unmengen an Kultur erwarteten einen dort. In Zug hingegen trifft man Menschen, die eben nicht an einen Ort auswandern, an dem es schon Honigtöpfe voller Hochkultur und Subkultur gibt. Diese Künstler bleiben hier und erschaffen etwas Neues auf kargem Boden. Davor habe ich grössten Respekt.

Zuger Kunstnacht 2016

An der Zuger Kunstnacht 2016 präsentieren sich rund 18 Galerien, Kunstprojekte, Museen und Kulturhäuser am Abend vom 17. September 2016. So auch das Kunsthaus Zug: Neben einer Sammlungscollage von Cézanne bis Giacometti treffen sich bei der anschliessenden Podiumsdiskussion Sandra Winiger (Kunstvermittlung), Anna Paganini (FRW) und Gerda Schwindt (Glencore International AG) zum interkulturellen Dialogprojekt «Ship of Tolerance». In der Kunstgalerie Gmurzynska trifft man den Künstler Mel Ramos. Die Licht- und Videoinstallation der VJs von Rec.Design können nach dem Eindunkeln im Kunstkiosk Baar gesichtet werden. Das ganze Programm gibt es auf der Webseite der Zuger Kunst Nacht zum Nachlesen.

zentralplus: Du warst am Blue Balls Festival präsent und bist nun erstmals Teil des Programms der Kunstnacht. Was erwartet die Zuschauer hier?

Mativa: Beim Blue Balls Festival präsentierte ich mit meinem Freund KnoR interaktive Projektionen im Rahmen des Gesamtkunstwerks «Don’t Go». Das Publikum konnte vor einer Kamera mit den Bildern interagieren. Bei der Kunstnacht werde ich eine audiovisuelle Live Performance präsentieren. Mit geometrischen Formeln generiere ich eine Reihe von Werten. Diese werden gleichzeitig in einen Sound-Buffer geschrieben und als X- und Y-Koordinaten zum Generieren von Grafiken verwendet. Das Projekt lehnt sich konzeptuell an eine lange Vorgeschichte audiovisueller Kunst an, zum Beispiel an Arbeiten von John Whitney oder Jerobeam Fenderson. Ein zugrunde liegender Prozess ist auch die Weiterentwicklung des Oszilloskops, eines Messgeräts zur Darstellung von Spannung.

zentralplus: Wie gelingt es dir, die Spannung beim Publikum aufrechtzuerhalten?

Mativa: Ich spiele dabei viel mit Gegensätzen, mit hohen und tiefen und dunklen und hellen Eindrücken. Meine Performance ist sehr stark in der Ausstrahlung und hat ein offenes Ende. Die Leute stehen oft lange wortlos da. Ich möchte die Zuger an einen abstrakten Ort bringen und sie dort verweilen lassen. Zu Beginn der Show ist alles ruhig. Ein kurzer, hoher Klang erscheint, dann ein Punkt auf der Leinwand. Dann wiegt sich langsam alles auf zu einem Formen-Gewitter. Ein tiefer Bass bringt zum Schluss alles zum Stehen und alles dreht sich im Kreis.

zentralplus: Das hört sich schwindelerregend an.

Mativa: Ich denke eher, es ist extrem klar. Es ist strukturierter Noise, aber es hat eine ultra-reine Ästhetik, Bilder in Super-HD und mit sehr feinen Zeichnungen. Dadurch wirkt es minimalistischer und stark strukturiert. Ich mag den Moment der Verwirrung. Die Leute sind am Schluss aber meist trotzdem begeistert, wenn sie in einen anderen «Mindspace» geraten.

zentralplus: Ist das Publikum in Zug denn bereit für diese Verwirrung? Oder passt es gerade so gut hierhin, weil Zug selbst eine ähnliche, saubere bis sterile Ästhetik aufweist?

Mativa: Es ist nicht die gleiche Struktur wie die gesellschaftliche. Ich habe viele Experimente auf der Bühne gesehen, in denen es lange Teile gibt, die unspezifisch oder unstrukturiert waren. Das versuche ich zu vermeiden. Ich experimentiere grösstenteils im Studio. Die Strukturiertheit ist das Substrat für das, was ich dem Publikum präsentiere. Wobei es auch für mich live immer wieder Momente gibt, die überraschend sind. Es braucht einen Spannungsbogen. Wie ein schwarzes Loch, das die Leute reinsaugt, und saugt und saugt. Man muss sich aber darauf einlassen.

Teaser zur Ausstellung Exhibit A.

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