Die Musiklandschaft verändert sich rasant – und mit ihr müssen sich die Musiklabels verändern, wenn sie überleben möchten. zentral+ hat bei drei Luzerner Musiklabels und -Agenturen nachgefragt, wie sie mit der heutigen Situation der Musikbranche umgehen. Ist die Zeit der «klassischen» Musiklabels vorbei?
«Früher haben wir uns als Label positioniert. Heute sind wir eine Künstleragentur», sagt Greg Zeder von «Little Jig Agency». Das «Records» im Namen hätten sie aufgegeben, weil das Produzieren von Platten heute nicht mehr im Vordergrund stehe. «Wir machen Promotion, Booking, Verlag und andere Projekte», so der 35-Jährige.
Fakt ist: 2013 hat Little Jig erstmals keine physischen Tonträger mehr produziert. Zeder erklärt dies so: «Die Anzahl der Verkäufe sind heutzutage für kleine Indie-Labels in finanzieller Hinsicht schlichtweg nicht mehr rentabel.» Auch die jüngst veröffentlichten Jahreszahlen 2013 des Branchenverbands der Schweizer Musiklabels IFPI stützt Zeders Feststellung. Der Gesamtumsatz ist innerhalb Jahresfrist nochmals um 12 Prozent auf 92,3 Millionen Franken gesunken. «Seit der Gründung von Little Jig im Jahr 2003 ist der Gesamtumsatz laut IFPI um zwei Drittel eingebrochen», sagt Zeder. Die IFPI schreibt in ihrer Medienmitteilung: «Massgebend geprägt wird dieser Trend durch den anhaltenden Umsatzrückgang im traditionellen CD-Geschäft.» Dabei vermöge das Digitalgeschäft diese Einbussen nicht wettzumachen, obwohl sich der Umsatz mit Streaming-Angeboten verfünffacht habe.
Auch Guido Röösli von «Goldon Records» sagt, dass es heute nicht mehr um die Album-Produktion gehe: «Ein Album, egal ob digital, CD oder Schallplatte ist heute nicht mehr als eine Initialzündung für weitere Businesses wie Booking, Merchandising oder Sponsoring.» Das Musiklabel gibt es seit 2009 und veröffentlicht rund vier Alben im Jahr.
Ein Riecher für gute Bands
Den Künstlern will Zeder jedoch nicht den Spass oder die Hoffnung auf Grosses vermiesen. «Jeder sollte es probieren, der es wirklich möchte», so Zeder. Eine Erfolgsgeschichte von Little Jig war «Heidi Happy». Little Jig durfte ihre ersten zwei Alben produzieren und hat mit ihr sogar den Schritt ins Ausland gewagt.
«Wir sind eine Agentur für lokale Künstler», erklärt Zeder. Sie seien in der Luzerner Künstlerszene verankert und wenn ihnen ein Konzert gefalle, gingen sie mit dem Künstler einen Kaffee trinken. «Es gibt aber auch Leute, die uns CDs schicken», so Zeder.
Ein neues Projekt mit Beteiligung von Little Jig ist der Besuch des amerikanischen Musikers Peter Broderick, der auch schon bei der international bekannten Band «Efterklang» mitgespielt hat. Er ist vor einer Woche in Luzern eingetroffen und wird im Studio vom Dach in Luzern gemeinsam mit drei jungen Luzerner Künstlern ein Album aufnehmen. Mit dabei ist Nick Furrer von «Alvin Zealot», Mario Hänni, Schlagzeuger der Luzerner Band «Sleepyhouse» und Roland Wäspe, Gitarrist der Bündner Sängerin «Ursina». Peter Broderick soll als Katalysator für die Luzerner funktionieren, also dieses Album und die Luzerner in die weite Welt hinaustragen. Mit ein bisschen Glück stehe sogar eine Europa-Tournee in Aussicht. Um das alles finanzieren zu können, läuft zudem eine Crowdfunding-Kampagne für das Projekt.
Goldon Records betreibt auch Live-Scouting. Ein «fine-getunter» Riecher für Bands, die mehr sind, als die Summe der einzelnen Musiker, sei wichtig. Die Genfer Band Lipka, deren Debüt sie im Juni 2014 veröffentlichen werden, hätten sie im Sommer 2013 kontaktiert. «Der Vorlauf für einen Release ist also rund ein Jahr», erklärt Röösli.
«Leben kann ich davon nicht»
Bei Michael Wider sieht die Künstlergewinnung anders aus. Der 54-Jährige hat vor über 30 Jahren sein Label «Creative Works Records» gegründet: «Ich bin einmal eines der wenigen Schweizer-Labels gewesen, dann hat es eine unglaubliche Explosion gegeben.» Das Jazz- und Klassikmusiklabel war zuerst in Luzern ansässig, bevor Wider nach Root zog. «Heute ist es so, dass die Künstler mich anschreiben. Leider muss ich 99 Prozent von ihnen abweisen», so Wider.
Einen weiteren Unterschied zu Goldon Records oder Little Jig ist, dass Wider vor allem Musik von ausländischen Künstlern vertreibt. Pro Jahr mache er rund zwei bis drei Produktionen und er versuche die Künstler über Jahre zu behalten. Diese langjährige Beziehung zwischen Label und Künstler sei heute leider nicht mehr so häufig anzutreffen.
Der hauptberufliche Wohnheimleiter sagt: «Meine Arbeitsbelastung für das Label ist rund 30 Prozent.» Das Label sei auch eher als Musikliebhaber-Projekt zu verstehen, denn Gewinn mache er nicht. Im Jahr verkaufe er rund 800 CDs und 50 Schallplatten in alle Welt. «Downloads machen nur etwa einen Viertel meines Umsatzes aus», erklärt Wider. Die gesamten Verkäufe würden pro Jahr einen Umsatz von rund 20’000 Franken abwerfen. «Ich mache das, weil ich Freude daran habe. Leben kann ich davon nicht.»
Das «Giesskannen-Prinzip»
Obwohl Little Jig letztes Jahr zum 10-jährigen Jubiläum einen Beitrag von der Stadt, dem Kanton und der RKK (Regionalkonferenz Kultur) erhalten hat, mussten vor kurzem Lohnkürzungen vorgenommen werden. Zeder sagt, er wolle jedoch nicht so wirken, als ob er mit der hohlen Hand dastehe. «Die Idee der städtischen Förderung ist, dass die Künstler das Geld bekommen», erklärt Zeder. Als Musiklabel bekomme man eigentlich kein Geld.
Auch Röösli ist der Meinung, dass weder Stadt noch Kanton Luzern Strukturförderung betreiben: «Um das Bestehen nationaler Labelstrukturen zu sichern, sind staatliche Förderer dringend dazu aufgerufen, ihre Förderpolitik zu überdenken, das Giesskannen-Prinzip endlich ad acta zu legen und die Spitze nachhaltig und grosszügig zu fördern.» Viele Labels seien nicht mehr in der Lage, professionell zu arbeiten und die Leidtragenden seien letztlich die Musiker.
Goldon Records betreibt deshalb einen schweizweit einzigartigen Gönnerclub: 99 Verleger erhalten innerhalb eines Jahres vier CDs des Musiklabels vor der Veröffentlichung. Doch: «Um mittelfristig bestehen zu können, müssen wir unseren Umsatz auf rund 100’000 Franken steigern. Noch fehlen uns hierzu einige Prozentpunkte», erklärt Röösli.
Wie sieht die Zukunft aus?
«Wir fördern Labels eigentlich nicht, da sie kommerzielle Kunstvermittler sind», erklärt die Chefin Kultur und Sport der Stadt Luzern, Rosie Bitterli. Den Vorwurf, dass die Stadt und der Kanton Luzern ein «Giesskannen-Prinzip» betreibe, habe sie auch schon gehört. «Diesen Vorwurf kann ich nachvollziehen. Aber es gibt auch gegenteilige Meinungen, die diese breite Förderung gut finden», sagt Bitterli. Im Rahmen der Kulturagenda schaue die Stadt jedoch, welche Verbesserungen gemacht werden können.
Damit spricht sie auch den geplanten Musikkredit an. Der Kredit wird dem FUKA-Fonds die Möglichkeit geben, junge Musiker oder Labels gezielt und langfristig entwickeln zu können. Auch der Kanton will sich mit einem neuen auf Ausschreibung basierenden Fördermodell vermehrt auf die Qualität und Professionalität konzentrieren. Die beiden Kulturberichte von Stadt und Kanton sollen noch dieses Jahr den Parlamenten vorgelegt werden (zentral+ berichtete).
Luzerner Musik in Ami-Serien
Little Jig suchte in der Zwischenzeit nach neuen Einnahmequellen. Eine Strategie ist der Verkauf von Lizenzen für Film und Fernsehen. «Eine Band, die bei Indie-Filmen sehr gut ankommt, ist ‹Les Yeux Sans Visage›», erzählt Zeder. «Kunz und Knobel» hätten ihre Musik schon einmal an eine amerikanische TV-Serie ausleihen können. «Es ist sehr lukrativ, da du fast keinen Aufwand hast», so Zeder. Die Preise seien jedoch auch da gesunken, da auch andere Labels auf diese Idee gekommen seien. Trotzdem wolle er nicht aufgeben: «Ich habe den Antrieb, weil ich selber ein Riesenmusikfan bin.» Das müsse man einfach sein, um in diesem Business arbeiten zu können und zu wollen.