Freeze aus Sursee singt jetzt im Rollstuhl

Luzerner Rapper hat sich im neuen Leben aufgerappelt

Ein Leben mit Stehbarren: Rapper Freeze im Rollstuhl, zu Hause in Sursee.

(Bild: hae)

Einst tobte Freeze als unternehmungslustiger HipHopper auf den Bühnen herum. Seit einem Jahr ist ein Rollstuhl sein steter Begleiter. Doch der Surseer Rapper hat sich aufgerappelt. Jetzt macht er Musik als Selbsttherapie: Mit «Vo gheie und flüge» spendet er für Querschnittgelähmte und MS-Forschung. 

«Es ist nicht nur, dass ich nicht mehr laufen kann», sagt Philippe Fries und rutscht auf seinem Rollstuhl herum. Er sitzt an seinem Stubentisch, vor sich ein Laptop und Wasser, im Hintergrund röhrt leise Punkrock. Wer wie Rapper Freeze querschnittgelähmt ist, hat noch viel mehr Sorgen: Schmerzen, Spastiken und Krämpfe in den gelähmten Beinen, die eingeschränkte Mobilität im Rolli, das Wasserlassen mit dem Katheter, das Kaum-mehr-auf-Augenhöhe-Sein mit den Mitmenschen. 

«Und was für mich als spontanen Menschen sehr schlimm ist: Ich kann nichts in letzter Minute unternehmen, am Konzert muss ich lange vorab die raren Rollstuhlplätze besorgen, das Restaurant muss rollstuhlgängig sein, ebenso Wohnungen von Freunden.» 

«Will ich weiterleben, und wenn ja wie?»

Rapper Freeze in seinem zweiten Leben

Zwei einschneidende Krisen erleben Querschnittgelähmte im Normalfall: die erste, wenn sie ihre Unterkörper nicht mehr spüren; die zweite, wenn sie aus dem Paraplegikerzentrum zurück in die Welt der «Fussgänger» entlassen werden, wo sie nicht mehr eine Rundumbetreuung erleben. 

Intensive Erfahrung

«Auf meinem Weg zurück ins Leben musste ich mit mir viel Grundsätzliches klären. Will ich weiterleben, und wenn ja wie? Was kann ich noch machen und was geht nicht mehr? Gehe ich raus und zeige mich oder verstecke ich mich zu Hause?» Und darüber reflektiert er in seinem neuen Lied, «Vo gheie und flüge». Musik ist heute nicht mehr nur Leidenschaft und Ventil von Freeze, sie ist vor allem auch zur Selbsttherapie geworden.

«Am Anfang sieht man nur, was man alles verliert.» 

Vor einem Jahr hat ihn seine Autoimmunerkrankung aus dem bisherigen Leben gerissen. Vom Bauch abwärts gelähmt, war er auf fremde Hilfe angewiesen. «Ich war am Anfang ein kompletter Pflegefall, ich konnte nichts mehr alleine machen, es war ein harter Prozess, denn am Anfang sieht man nur, was man alles verliert.» 

Philippe Fries war einen Monat lang im Kantonsspital, wurde dann ins Paraplegikerzentrum Nottwil überwiesen, wo er ein auf ein selbständiges Leben nach der Rehabilitation hin trainiert wurde. «Was für eine intensive Erfahrung», sagt der Mann mit starken Händen, einem dunklen Bart und stahlblauen Augen, die funkeln.

Nicht, dass Philippe Fries frustriert wäre, nein, ganz im Gegenteil. Er ist ein Mann, der anpackt. Und die Musik hilft ihm in schweren Momenten sehr. Früher machte sie ihn ganz stark: Als MC – Master of Ceremony nennt man den singenden Frontmann von HipHop-Combos – hat er jahrelang die Bühnen der Schweiz auf Trab gehalten, in rund 250 Konzerten mit diversen Bands. «Das war toll.»

Hip-Hop-Sendung «Reimstunde» auf Radio 3fach

Dazu hat Philippe Fries bei Radio 3fach, das 1998 in Luzern auf Sendung ging, als Moderator der ersten Stunde mit seiner Hip-Hop-Sendung «Reimstunde» mitgewirkt: Seine Sendung setzt sich heute noch aktiv dafür ein, dass Schweizer Rap eine Plattform erhält und endlich auch Airplay bei den Radios.

Weit über die Region Sursee hinaus wurde auch Freezes Musik wahrgenommen, sei es seit 1995 mit der Liveband Onan, mit der er fünf Platten aufnahm. Mit 3-Sächser sind parallel dazu zwischen 2002 und 2005 zwei weitere CDs erschienen. «Wievill?» wird 2002 zum Szenehit und ist bis heute einer der bekanntesten Songs von Freeze.

«Goodbye» rappte Freeze 2002, in einem anderen Leben in einem Club in Sursee:  


Nachdem sich Onan Anfang 2010 getrennt hat, fand Freeze mit Skilluminati seine neue musikalische Heimat. Das MC- und Produzententeam besteht zusätzlich aus Steven Egal, Zoro MC und DJ Crazy Cut.

Und jetzt macht Philippe Fries sein Soloding. Da ist er froh, dass er sich in seiner grossen Wohnung, die er mit seiner Partnerin teilt, ein Heimstudio eingerichtet hat. Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Skilluminati-Kollegen. Und auch auf einen loyalen Arbeitgeber, die Surseer Unternehmungsberatung IOZ,kann er zählen. «Das war schon eigenartig: Bei den Einstellungsgesprächen kam ich zu Fuss – meine ersten Arbeitstage hatte ich dann im Rollstuhl. Aber ich wurde von Anfang an grossartig aufgenommen und unterstützt.»

Der 40-Jährige, der seinen runden Geburtstag im Spital feiern musste, hatte alles neu zu erarbeiten. «Es ist auch eine neue Perspektive für meinen 15-jährigen Sohn.» Immerhin geht das Leben weiter, Papa im Rollstuhl und Sohnemann waren zusammen an FCL-Matches und am Bieler Royal-Arena-Festival. «Und im Sommer schauen wir uns am Blue-Balls-Festival den Rapper Samy Deluxe unplugged an. Ich freue mich tierisch!»

Nirvana hat ihn umgehauen

Musik war schon immer in Freezes Leben wichtig: In der Primarschule hörte er die Lederrocker mit den Föhnfrisuren, Europe und Bon Jovi. Dann entdeckte er Metal, Punk und Bands wie Sepultura oder Pantera. «Nirvana mit dem charismatischen Frontmann Kurt Cobain hat mich umgehauen.»

Später dann entdeckte Philippe Fries Rap dazu: dank Crossover-Bands wie Rage against the Machine oder seinem Lieblings-Soundtrack zu «Jugdement Day». Ab Mitte 90er-Jahre dann die deutschen HipHopper von Fettes Brot, Freundeskreis, Beginner, und bald schon machte Freeze selber Rap in der eigenen Sprache.

«Onan ist eine Figur aus der Bibel.»

Seine erste Band Onan war in Sursee in der Aussenseiterrolle, denn sein Städtchen war eine bekannte Metal- und Rockstadt, bekannt als «Sursee Metal City» mit Bands wie Silver, Manifest oder Babylon Sad. Doch der neue Sound hielt sich wacker, nicht zuletzt dank seines charismatischen MCs. Und der sagt: «Onan ist eine Figur aus der Bibel, der liess seinen Samen zu Boden fallen. Das fanden wir lustig … Heute würden wir uns wahrscheinlich aber nicht mehr so nennen» Dann lacht Philippe Fries, seine blauen Augen leuchten.

Und Freeze kann trotz seines Unglücks auch von Glück sprechen, etwa dem, dass sein Sohn ebenso leidenschaftlich Musik hört. Zwischen den beiden findet ein reger Austausch statt: «Ich füttere ihn mit dem Besten von früher und er zeigt mir die aktuellen Rapper.» Der musikalische Horizont von Freeze geht aber auch ausserhalb von HipHop weiter. «Ich entdecke zusehends Soul und Blues, je länger je mehr. Alles, was echt und erdig ist, was Seele und Kraft hat.» 

Spendenaktion mit neuem Song

Seele und Kraft, das hat auch sein neuer Song. «Vo gheie und flüge», damit will Freeze zur Spendenaktion aufrufen, für die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung und die MS-Forschung von Dr. Terry Wahls. Denn die leisten wirklich Wichtiges. Fürs Leben im Rollstuhl, um Krisen zu meistern und um Krankheiten heilbar zu machen. 

Musik als Lebenshilfe, ein schöner Gedanke.

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