Zweiter Spielfilm von Michael Koch

Luzerner Kinofilm «Drii Winter» ist auf Oscar-Kurs

Der Luzerner Michael Koch hat sich in den vergangenen Jahren öfter hinter als vor die Kamera gestellt. (Bild: Frenetic Films) (Bild: Frenetic Films)

Ein Schweizer Spielfilm auf Oscar-Kurs? Das eindringliche Alpendrama des Luzerner Filmemachers Michael Koch könnte der Schweiz eines der begehrten Goldmännchen einbringen.

Vernebelte Berghänge. In der Ferne eine kaum befahrene Passstrasse. Im Vordergrund ein massiger Felsblock. Chorgesang. Szenenwechsel. Wir sehen einen breitschultrigen Mann. Mit kräftigen Schlägen hämmert er einen Zaunpfosten ins Erdreich. Der neue Schweizer Spielfilm «Drii Winter» beginnt mit eindrücklichen Bildern.

«Bilder haben mich schon immer interessiert», sagt uns der gebürtige Luzerner Regisseur Michael Koch am Telefon. «Mir war schon früh klar, dass ich Bilder gestalten wollte, wusste damals aber noch nicht, in welcher Form.» Heute hat er seine Form gefunden.

Der Landwirt Simon Wisler spielt die Figur des Marco. (Bild: Frenetic Films)

Ein kurzer Blick zurück. 2003 schnupperte Michael Koch zum ersten Mal Filmluft. In der Schweizer Militärkomödie «Achtung, fertig, Charlie!» verkörperte er die Hauptrolle. Nach der Matura studierte er in Köln an der Kunsthochschule für Medien, spielte parallel auf den Bühnen diverser deutschsprachiger Theater.

Dann folgte der Wechsel hinter die Kamera und er schrieb eigene Drehbücher. 2016 legte er mit «Marija» seinen ersten Spielfilm als Regisseur und Autor vor.

Die Schweiz schickt «Drii Winter» ins Oscar-Rennen

Jetzt steht mit «Drii Winter» sein nächster Kinofilm in den Startlöchern. Schweizweiter Kinostart ist der 1. September. Das Werk feierte an der diesjährigen Berlinale Premiere – es ist der erste schweizerdeutsche Film in über dreissig Jahren, der es in den Wettbewerb geschafft hat. Auch am Locarno Film Festival wird «Drii Winter» gezeigt.

Und jüngst folgte der wohl grösste Adelsschlag: Das Bundesamt für Kultur schickt «Drii Winter» als offiziellen Beitrag ins Oscar-Rennen. «Das hat mich natürlich sehr gefreut», sagt der Filmemacher. «Es ist eine Bestätigung dafür, dass es sich auch bei ungewöhnlichen Projekten lohnt, seiner Vision zu folgen.»

Denn Michael Koch hat mit «Drii Winter» keinen konventionellen Spielfilm gedreht. Mit Laiendarstellern, einer reduzierten Crew und einem dokumentarisch angehauchten Stil hat Koch ein Familiendrama vor alpiner Kulisse produziert. «Der Chor Luzern» begleitet die Handlung mit stilisierten Gesangseinlagen.

Rund 70 Tage haben Koch und sein Team in den Urner Alpen gefilmt. «Die Berge haben mich schon immer fasziniert». Die Region Isental war für ihn denn auch die ideale Location, «weil sie noch nicht so touristisch ist wie andere Bergregionen.» Koch und sein Kameramann Armin Dierolf setzen in ihrer Bildsprache auf Realität statt Postkartenidylle. «Ich wollte weniger die überwältigende Schönheit, mehr die raue Kraft und die Unwägbarkeiten der Bergwelt einfangen.»

Der Film wurde in den Urner Alpen gedreht. (Bild: Frenetic Films)

Der Dreh selbst sei ein Kraftakt gewesen und fand teils unter widrigsten Umständen statt. Corona-Unterbrüche, die gefährliche Arbeit an Steilhängen, rasche Wetterumschwünge. «Das hat mir einige graue Haare beschert», so der Regisseur gut gelaunt.

Koch setzt auf Laiendarstellerinnen

Hinzu kam die Arbeit mit den Laiendarstellern. Ein «Mehraufwand», wie Koch sagt. Jedoch einer, den er bewusst wollte und auch heute noch für absolut richtig hält. «Der Film sollte authentisch sein. Deswegen wollte ich mit Laien arbeiten, deren Gesichter und Körper von der harten Arbeit in den Bergen gezeichnet sind.» Eine Authentizität, die mit ausgebildeten Schauspielern kaum möglich gewesen wäre.

Drei Jahre hat die Suche nach den passenden Protagonisten gedauert. Als Hauptdarstellerin Anna trat schliesslich die Altdorfer Architektin Michèle Brand zum ersten Mal überhaupt vor eine Filmkamera. Selbiges gilt auch für ihren Filmpartner Simon Wisler, einen Landwirt aus Graubünden, den Michael Koch auf einem Schwingfest entdeckte und mit dem er über ein Jahr lang in Kontakt blieb, ehe Wisler seine Zusage gab.

Die gelernte Architektin Michèle Brand spielt die Hauptfigur Anna. (Bild: Frenetic Films)

«Mein Job ist es, den Laiendarstellern beim Dreh eine Bühne zu bieten, damit diese sich entfalten können», sagt Michael Koch. Dank der langen Drehzeit seien so auch Szenen entstanden, die er sich am heimischen Schreibtisch nicht hätte ausdenken können.

Ob ein «Heimatfilm» ins Kino lockt, bleibt offen

Entstanden ist ein intimes Drama über ein junges Älplerpaar, das durch eine Tumordiagnose auseinanderzubrechen droht. In die Handlung sind auch Themen wie Missbrauch, Angst und Fremdenfeindlichkeit verwoben. Erzählt wird der Film in ruhigen, oft statischen und ungeschönten Bildern.

Das «Filmbulletin» nennt «Drii Winter» einen Heimatfilm ohne Kitsch. Vergleiche zu Fredi M. Murers Klassiker «Höhenfeuer» werden gezogen. Auch die deutsche Presse ist voll des Lobes. Ob das Werk allerdings beim Kinopublikum Anklang findet, weiss Koch nicht.

«Ein Film ist wie ein Kind. Man muss es ab einem bestimmten Punkt loslassen und seinen eigenen Weg gehen lassen.»

Michael Koch, Regisseur

«Einfach wird es nicht», ist sich der heute in Berlin und Basel lebende Künstler bewusst. Das hat nebst der Art des Filmes auch mit der Kinobranche selbst zu tun (zentralplus berichtete). Während eine Flut an Superheldenfilmen regelmässig die grosse Kasse macht, haben es kleinere Produktionen – und besonders speziellere Filme – an den Kinokassen schwer. Immer mehr Kinos schliessen ihre Tore. Das jüngste Opfer in der Luzerner Kinolandschaft ist das traditionsreiche Kino Moderne (zentralplus berichtete).

Ein Film muss seinen Weg gehen

Michael Koch glaubt aber an das Kinoerlebnis, das Bedürfnis, sich in einem dunklen Raum einzig auf das Geschehen auf der Leinwand zu konzentrieren. «Dieses Bedürfnis wird wohl nie verschwinden, selbst wenn es die breite Masse im Moment nicht mehr so interessiert.» Sein Film sei ein Angebot für eine «entschleunigende Erfahrung, die noch lange nachhallt».

Letztlich liegt der Erfolg oder Misserfolg an den Kinokassen nicht in seinen Händen. Und damit kann Koch gut umgehen. «Ein Film ist wie ein Kind. Man muss es ab einem bestimmtem Punkt loslassen und seinen eigenen Weg gehen lassen.» Und diesen Punkt hat Koch, selbst Vater, nach fast sieben Jahren Produktionszeit erreicht. «Drii Winter» geht seinen Weg trotz – oder gerade wegen – seiner Eigenwilligkeit mit sicheren Schritten.

Nächstes Filmprojekt ist in Arbeit

Ob sich «Drii Winter» eine Oscar-Nominierung ergattern kann, wird voraussichtlich am 24. Januar 2023 bekannt gegeben. Die Oscar-Verleihung selbst wird am 12. März wie gehabt in Los Angeles stattfinden. Würde der Film gewinnen, wäre es der erste Schweizer Oscar für den besten fremdländischen Film seit Xavier Kollers «Reise der Hoffnung» im Jahr 1991.

Aber unabhängig davon, ob «Drii Winter» das Goldmännchen nach Hause nehmen kann, ist Koch bereits mit seinem nächsten Projekt beschäftigt.

Viel kann er dazu noch nicht sagen, denn er hat erst mit dem Drehbuch angefangen. Klar ist aber, dass er auch bei seinem dritten Langfilm nicht selbst mitspielen wird. Denn obwohl er die prägenden Erfahrungen aus «Achtung, fertig, Charlie!» und zahlreichen Bühnenauftritten nicht missen möchte, und die Momente davon noch heute nachhallen, scheint diese Zeit vorbei zu sein: «Vor die Kamera zu treten, könnte ich mir heute nicht mehr vorstellen.»

Über «Drii Winter»

Der Spielfilm «Drii Winter» ist in einem entlegenen Bergdorf, hoch in den Urner Alpen, angesiedelt. Im Zentrum steht die noch junge Liebe zwischen Anna und Marco. Anna ist im Dorf aufgewachsen, Marco kam als Aussenseiter ins Tal und hilft den Bauern bei der Arbeit.

Doch als Marco aufgrund einer Erkrankung plötzlich die Kontrolle über seine Impulse verliert und sein Verhalten immer unberechenbarer wird, brechen alte Spannungen in der Dorfgemeinschaft wieder auf – und gefährden auch die Beziehung zu Anna.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Michael Koch, Regisseur
  • Film «Drii Winter»
  • Kinostatistik «ProCinema»
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