Früherer «Electroboy» veröffentlicht erstes Album

Luzerner Florian Burkhardt: «Ich musste wieder zu mir zurückfinden»

Seine Geschichte gleicht der einer Odysee: der Luzerner Florian Burkhardt, der durch den Dokumentarfilm «Electroboy» bekannt wurde. (Bild: Eleni Kougionis)

Er war ein gefragtes Topmodel, Partyveranstalter und wurde als «Electroboy» bekannt: Heute muss Florian Burkhardt nicht mehr laut sein, er ist nicht mehr vom Applaus anderer abhängig. Heute will Florian sich selbst sein – unperfekt und nahbar. An diesem Freitag erscheint sein erstes Musikalbum.

«Wenn d'Schinwärfer us gönd
mer im Backstage send
semmer chorz verlore
well mer nüd me spele chönd.»

Er war vieles: Snowboard-Pionier, Topmodel, Zürcher Partykönig. Bis Angststörungen fortan sein Leben bestimmten. Durch den Dokumentarfilm «Electroboy» wurde Florian Burkhardt bekannt. 2019 zog er sich von der Öffentlichkeit zurück. Heute will Florian Burkhardt nur noch Florian sein. Er wollte zurück zum Studenten, der zu Papier, Stift und Gitarre greift und sich im Lehrerseminar in eine Musikkoje verkriecht, um zu musizieren.

So wagte Burkhardt einen musikalischen Neubeginn als Singer-Songwriter (zentralplus berichtete). An diesem Freitag erscheint nun das erste Album des 46-Jährigen.

zentralplus: Florian Burkhardt, heute erscheint Ihr erstes Album. Das muss ein schönes Gefühl sein.

Florian Burkhardt: Für mich hat ein komplett neues Kapitel begonnen. Ich bin viel zufriedener mit dem, was ich heute mache. Es fühlt sich echt an, im Hier und Jetzt angekommen. Mein Leben nährt sich nicht mehr von plakativen Sachen und Superlativen wie Partykönig und Hollywood. Mein Leben wirkt auf mich jetzt natürlicher und kleiner, was ich befreiend finde.

«Ich musste wieder zu mir zurückfinden.»

zentralplus: 2019 haben Sie sich als Electroboy von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Haben Sie mit Ihrer Vergangenheit abgeschlossen?

Burkhardt: Ich habe mit der ganzen Electroboy-Geschichte und meiner Familie Frieden geschlossen. Es ist nicht so, dass ich mit meiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben möchte. Diese Kapitel haben ihre Berechtigung in meinem Leben. Sie gehören zu mir, ich durfte durch sie so viel erfahren und lernen, und dafür bin ich dankbar. Aber ich musste wieder zu mir zurückfinden. Früher habe ich mit Figuren und Narrativen gearbeitet. Ich mochte es nicht, Menschen wirklich an mich heranzulassen. Jetzt bin ich nicht mehr davon abhängig, dass ich laut genug bin. Dass ich möglichst vielen genüge, was ich ja nur kann, wenn ich die anderen nicht nahe ran lasse. Ich bin nicht auf das Klatschen der anderen angewiesen. Heute ist es mir wichtig, dass man mich spüren kann. Dass ich selber mit mir zufrieden bin.

zentralplus: Haben Sie die Öffentlichkeit vermisst?

Burkhardt: Nein, ich habe mich zuerst dagegen gewehrt, ein Album zu veröffentlichen. Musik macht mir Freude, sie lässt mich kreieren und mich lebendiger fühlen. Früher war ich für andere unnahbar, mit meiner Musik lasse ich heute Unperfektionismus und Nähe zu. Das motiviert mich auch inzwischen. Als ich 15 Songs beieinander hatte, sprach mir meine Bezugsperson Mut zu, dass dies doch ein schönes Album wäre.

Hier kannst du in Florian Burkhardts Album reinhören:

zentralplus: Warum haben Sie sich dennoch zuerst dagegen gewehrt?

Burkhardt: Zum einen, weil es online bereits eine Flut an Musik gibt. Zum anderen, weil ich nicht wieder zum Alten zurück wollte, indem ich wieder an die Öffentlichkeit gehe. Aber ich habe realisiert, dass ich deswegen nicht die Türe gleich komplett zumachen muss. Ich muss mich nicht verstellen und kann meine Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit dekonstruieren und stimmig für mich machen. Zudem habe ich alles in Eigenregie gemacht. Ich bin niemandem was schuldig. Das ist enorm befreiend.

zentralplus: Als wir uns letzten Sommer in Bern getroffen haben, sagten Sie: Ich will zurück zum einfachen Jugendlichen, der nach Papier, Stift und Gitarre greift und einfach Musik macht. Haben Sie zu sich zurückgefunden?

Burkhardt: Ja, ich fühle mich gerade während der Coronapandemie komplett auf mich zurückgeworfen. Der ganze Reiz, der ganze Lärm und alle Gewohnheiten, die mein Denken und mein Handeln im Alltag definierten, fielen auf einmal weg. Ich reduzierte meine sozialen Kontakte, war oft alleine. Für mich hatte Corona etwas Entschleunigendes und Intensivierendes: Ich habe mich mit mir auseinandergesetzt, bin in mich gekehrt. Ich wusste, dass ich ganz zurück will, möglichst viel dekonstruieren will, zurück zur Basis. Zu dem Studenten, der damals nur Gitarre, Papier und Stift hatte. Und das habe ich im kreativen Sinne gemacht.

«Es ist ein bisschen, als hätte sich aus dem Charakter ‹Electroboy› der Mensch Florian herausgeschält.»

zentralplus: Auf Ihrem Album sind Ihre nackte Stimme und Gitarrenklänge zu hören. Das ist unglaublich intim. Fühlen Sie sich damit wohl?

Burkhardt: Es fühlt sich wirklich sehr intim an. Sehr ungewohnt, habe ich mich doch vorher immer hinter Kunstfiguren und Konzepten versteckt. Wohl auch, weil ich mich so sicherer und weniger angreifbar fühlte. Für mich war das ein nötiger, wichtiger und auch befreiender Schritt, dass ich jetzt emotionelle Nähe zulassen kann, spürbar und fühlbar werden darf. Es ist ein bisschen, als hätte sich aus dem Charakter «Electroboy» der Mensch Florian herausgeschält.

zentralplus: Haben Sie manchmal heute noch das Gefühl, sich verstellen zu müssen?

Burkhardt: Ich bin nicht mehr wirklich fähig dazu. Als hätte sich in den Jahren so viel angesammelt, dass in mir eine Sicherung durchgebrannt ist. So dass ich mich gar nicht mehr verstellen kann. Integrität und die gefühlte eigene Wahrheit sind mir inzwischen wichtiger, als dass ich anderen gefalle.

zentralplus: Woher kommt der Albumname «Backstage»?

Burkhardt: Es ist das Bild eines Schauspielers, der nach einem langen Theaterstück von der Bühne steigt. Das Bühnenlicht geht aus, er wischt sich das Make-up vom Gesicht, sein Spiel ist vorbei. Der Schauspieler betrachtet sich im Spiegel, reflektiert, wer er wirklich ist, wenn die Darstellung vorbei ist.

zentralplus: Welcher Song bedeutet Ihnen besonders viel?

Burkhardt: Der Liebe widme ich eine ganze Trilogie. «De schwarzi Panther» hat eine starke Symbolik. Er wandelt eigene Fehler und Schwächen in etwas Positives um, versucht Negativität aufzulösen. Im Song «We de Fochs» thematisiere ich das Bild des Fuchses von Antoine de Saint-Exupérys Erzählung «Der kleine Prinz», als der Fuchs den kleinen Prinzen bittet, dass er ihn zähmt …

zentralplus: … wenn er einen Freund will.

Burkhardt: Und dass man geduldig sein muss, wenn man miteinander vertraut werden will. Jeden Tag kommen sich die beiden einen Schritt näher.

«Ich hoffe, dass die Menschen mutiger werden und ihre Einzigartigkeit mehr zu schätzen lernen.»

zentralplus: Was wollen Sie uns mit Ihrem Album mit auf den Weg geben?

Burkhardt: Ich hoffe, dass ich andere damit inspiriere. Dass sich ein Mensch mit dem Grundlegenden, das er mit sich bringt, als genügend betrachtet. Ohne sich permanent optimieren zu wollen, um perfekter zu sein. Etwas darstellen will, sich immer mehr anpasst, seine wunderschönen Eigenheiten verliert. Immer wieder frage ich meine Bekannten, was sie denken, wenn sie sich auf der Toilette die Hände waschen und sich dabei im Spiegel betrachten. Die meisten sagen: Furchtbar. Das muss doch nicht sein. Wir müssen nicht Dutzende Fotos von uns im richtigen Winkel machen, mit Photoshop bearbeiten, bis wir eine Darstellung von uns erreichen, mit der wir zufrieden sein können. Wenn wir perfekt sein wollen, verlieren wir viel an Individualität und an Charakter. Ich hoffe, dass die Menschen mutiger werden und ihre Einzigartigkeit mehr zu schätzen lernen. Das bedeutet automatisch: unperfekt zu sein. Und in dieser Imperfektion fühlbar und auf die ganz eigene Art schön.

Mehr über Florian Burkhardt liest du hier:

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