Neuer Dokumentarfilm «Tiger und Büffel»

Luzerner Filmemacher dreht acht Jahre mit Demenzkrankem

Karatemeister, Charakterkopf, Demenzkranker: Bruno Koller ist der Protagonist in Fabian Biasios Dokumentarfilm «Tiger und Büffel». (Bild: mythenfilm)

Über Jahre hat der Luzerner Filmemacher Fabian Biasio den demenzkranken Karatemeister Bruno Koller mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Dokumentarfilm, der «ein langsames Erlöschen» porträtiert. Mit zentralplus spricht Biasio über seine Beweggründe und die Herausforderung, mit einem eigenwilligen Protagonisten zu arbeiten.

Bruno Koller steht an einem Sandstrand. Ein kräftiger Mann mit kurzem, weissem Haar. Im Hintergrund rauscht das Meer. Plötzlich bricht Koller aus, schreit, schlägt in die Luft. «Ich bin kein Meister», sagt Koller. «Ich bin ein Schüler.» Mit diesem skurril anmutenden Bild beginnt der Trailer des Dokumentarfilms «Tiger und Büffel – die Reise des Bruno Sensei». Es ist der zweite Film des Luzerner Fotografen und Journalisten Fabian Biasio (45). Aber ein Projekt «das man nur ein einziges Mal in seinem Leben macht», wie er gegenüber zentralplus sagt.

Während acht Jahren hat er den Appenzeller Sanitärinstallateur und späteren Karatemeister Bruno Koller mit der Kamera begleitet. Zuhause in der Schweiz und auf seinen Reisen in den fernen Osten. Kollers Geschichte und Charakter hätte auch ohne den Kernpunkt genug Stoff für einen Film hergegeben. Aber der Karatelehrer wurde unerwartet mit einem Gegner konfrontiert, gegen den er machtlos war – Alzheimer-Demenz. Und diese Krankheit bildet nun den Dreh- und Angelpunkt in Biasios Film.

Ein «wilder Siech»

Auf den Charakterkopf Koller stiess Biasio 1999 während seiner Ausbildung an der Luzerner Journalistenschule MAZ. Im Rahmen eines Fotografie-Auftrages sollte Biasio den Karatemeister porträtieren. Der Dozent gab noch ein paar gute Tipps auf den Weg: Ein «wilder Siech» sei er, der Koller. Einer, der erwachsene Männer im Freikampf dazu brachte, nach ihrer Mutter zu schreien. Und wenn man sich nicht an seine Regeln halte, bekäme man ein Problem.

Biasios Ersteindruck von Koller war dementsprechend wenig schmeichelhaft. Wie ein «Polteri» sei er gewesen. «Keiner, mit dem ich hätte ein Bier trinken wollen.» Und trotzdem: «Bruno Koller und sein Karate gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.»

Karatemeister Bruno Koller ging auch noch mit fortgeschrittener Krankheit auf Reisen. (Bild: Screenshot «Tiger und Büffel»)

Als sich Biasio fünf Jahre nach diesem Fotoauftrag dazu entscheidet, selbst Karate zu lernen und sich dafür bei Bruno Kollers Dojo anmeldet, offenbart sich ihm ein anderes Bild. Nämlich das eines geduldigen Meisters. «Anzeichen von Altersmilde», vermutete Biasio. Später, als Koller für «Tiger und Büffel» vor Biasios Kamera stand, habe er hinter die harte Fassade gesehen und eine unbestimmte Verletzlichkeit bemerkt. Die Diagnose Alzheimer-Demenz erhält Koller in seinem 60. Lebensjahr. «Ich trainierte rund zehn Jahre bei Bruno Karate. So habe ich die Entwicklung von Brunos Demenzerkrankung unmittelbar miterlebt.»

Eine Chronik des Vergessens

2011 zeigt sich Koller, nachdem er der Mittelpunkt in einer Multimediareportage von Fabian Biasio und einem zweiten Filmemacher war, einverstanden, dass der Journalist und Fotograf ihn im Rahmen eines Filmes weiterhin begleiten darf.

Entstanden ist eine Chronik einer Alzheimer-Demenzerkrankung. Ein Thema, das der diesjährige Oscar-Gewinner «The Father» mit Anthony Hopkins als Demenzkrankem auf Spielfilmebene ebenfalls behandelt hat und auch schon früher in Spiel- und Dokumentarfilmen umgesetzt wurde. Die Einmaligkeit von Biasios Film liegt aber in der Kontinuität, seinen Protagonisten und sein Umfeld über acht Jahre hinweg zu begleiten und den fortwährenden Prozess der Erkrankung mitzuverfolgen. Aber der Regisseur stellt klar: «Ich wollte nicht einen Zerfall, sondern eine Wandlung dokumentieren.»

Eine Herausforderung vor und hinter der Kamera

Die Arbeit an dem Film sei eine grosse Herausforderung gewesen. Zählen durfte er aber auf die Unterstützung von Kollers ganzen Familie. «Dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Das, was im Film zu sehen ist, ist ein Geschenk von denen, die das ermöglicht haben», sagt Biasio. Während des Drehs sind ihm viele Momente auch nahe gegangen. «Bruno war gegen Ende beinahe blind. Er hat nicht gewusst, wo ich mit der Kamera war und hat hin und wieder gefragt: ‹Wo ist Fabian?›» Hinter dem Film sei Koller aber immer gestanden. Dass eine Kamera in seiner Nähe war, war für den Karatemeister zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Auch technisch wurde der Fotograf gefordert. «Die grösste Schwäche des Filmes ist wohl auch gleichzeitig die grösste Stärke», sagt der Regisseur. Denn Biasio hat den Film im Alleingang gedreht. Mit einer Kamera und Mikrofon ausgestattet, hat er seinen Protagonisten mehrfach besucht und begleitet. «Mit einem Team wäre dieser Film nicht möglich gewesen.» Einerseits, weil das die Intimität und Spontanität nicht zugelassen hätte und andererseits, weil das auch eine Budgetfrage gewesen wäre. «Wenn ich nach einer Reise nach Taiwan auf meinen Kontostand geschaut habe, kam schon die Frage auf: Lohnt sich das alles überhaupt?»

Für Regisseur Fabian Biasio ist der Film «meine Transformation vom Fotografen zum Filmemacher». (Bild: zvg)

Ein definitiver Schlussstrich

Durch Stiftungen und Förderbeiträge konnte er den Film für knapp 200'000 Franken realisieren. «Der grösste Teil davon floss in die Post-Produktion», erklärt Biasio. Denn: «Weil ich mit bescheidenen technischen Mitteln gedreht habe, musste die Nachbearbeitung umso professioneller sein.» Darum hat er sich auch mit professionellen Tontechnikern, Cuttern und Musikern zusammengetan, um aus 80 Stunden Material einen 95 Minuten langen Film zu zimmern, der am 22. September seine Luzerner Premiere im Kino Bourbaki feiert. Ein Moment, auf den sich Fabian Biasio freut. «Seinen Film im Kino zu sehen, kommt einer Geburt gleich.» Es sei ein besonderes Gefühl, den Film nicht mehr alleine im stillen Kämmerlein, sondern mit einem Publikum auf der Grossleinwand zu sehen.

«Würde Bruno noch leben, wäre ich immer noch am Drehen.»

Fabian Biasio, Regisseur

Die Premiere «seines» Films erlebt Bruno Koller nicht mehr – der Karatemeister starb überraschend am 30. April 2018. Die Trauerzeremonie im Appenzell bedeuteten denn auch den Abschluss der acht Jahre dauernden Dreharbeiten. «Eine von Brunos Töchtern hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass Bruno gestorben ist», erinnert sich Biasio. Daraufhin habe er die Kamera geschnappt und sich auf den Weg gemacht. Die Trauerzeremonie sei der einzige der rund 50 Drehtage gewesen, für den der Filmemacher zusätzliche Kamera- und Tonleute angestellt hat. «Einen solchen Moment muss man richtig einfangen.»

Für Biasio ein spezieller Tag: «Zum einen war es ein Abschiednehmen von einem Menschen, den ich sehr gemocht habe» und zum anderen auch der Abschluss seines jahrelangen Projektes. Denn Biasio ist sich sicher: «Würde Bruno noch leben, wäre ich immer noch drehen.»

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