Hinter den Kulissen: Besenkammer und WC-Garderobe

Luzerner Backstages – Trostlosigkeit statt Rock ’n› Roll

Im Stadion Kleinfeld in Kriens hätte es genug Stühle, selbst wenn eine 20-köpfige Band antanzen würde.

(Bild: Beat Schlatter)

Fotos von deprimierenden Räumen: Beat Schlatter hat dazu ein Buch veröffentlicht. Fotos von Backstage-Räumen, um genau zu sein. Denn diese sind meist alles andere als schick. Auch Luzerner Künstler kennen Besenkammern und Garderoben im «Einfränkler-WC» – verraten zentralplus aber auch ihre Favoriten.

Keine Spiegelwände, Blumenbouquets und schicken Designermöbel. Sondern Omas Gardinen, ein Campingtisch, ein paar Plastikblumen und das ausrangierte Sofa aus der WG  – so sehen leider ganz viele Backstage-Bereiche aus.

Das ist keine Vermutung, das ist fotografisch dokumentiert. Und zwar von Kabarettist Beat Schlatter. «Sagen wir mal, du verbringst pro Vorstellung 1,5 Stunden in der Garderobe, dann macht das in meinem Fall, bei 80 Shows pro Jahr über die letzten 30 Jahre, 3600 Stunden oder 150 Tage hinter der Bühne», erklärt Schlatter. Deshalb hat der Zürcher Schauspieler begonnen, die Räume, in welchen er diese Zeit verbringt, zu fotografieren.

Auch in Luzern stand Schlatter bereits auf fast allen Bühnen und lernte dabei die unterschiedlichsten Backstage-Räumlichkeiten kennen.

Im Südpol-Backstage in Kriens verbinden sich Tradition und Moderne.

Im Südpol-Backstage in Kriens verbinden sich Tradition und Moderne.

(Bild: Beat Allgaier Anderhub)

Langweiliges Mittelfeld

Fairerweise muss man hier sagen, dass die Luzerner Ausgaben nicht besonders spektakulär daherkommen. Sie würden wohl im Backstage-Ranking im unbeachteten Mittelfeld herumdümpeln. Lokalitäten in anderen Kantonen betören mit Rosentapete, gerahmter Kunst oder einem Schminktisch, an den sich jede italienische Filmdiva mit Handkuss setzen würde – zumindest in ganz, ganz seltenen Fällen.

«Was im Backstage passiert, bleibt im Backstage.»
Dominic Deville, Comedian

Als Bühnenkünstler findet man sich öfters in kleinen bunkerähnlichen Abstellräumen, in Kellern und heruntergekommenen Hotelzimmern. Man bereitet sich auf den Auftritt vor, zwischen Ordnern und elektrischen Schaltwänden, zwischen Schwinger-Vitrinen und Waschtürmen, leeren Kühlboxen, Wärmepumpen, zwischen Türmen von Stühlen oder ohne auch nur einen einzigen.

Hier gibt es einen kleinen Einblick in Schlatters Buch «Rock ’n› Roll Hinterland» – beziehungsweise in die Luzerner Räume. Beat Schlatters Bilder haben wir mit Backstage-Geschichten von Luzerner Bühnenkünstlern gespickt.

Im Kulturzentrum Braui in Hochdorf hat es ganz bestimmt genug Kleiderhaken.

Im Kulturzentrum Braui in Hochdorf hat es ganz bestimmt genug Kleiderhaken.

(Bild: Beat Schlatter)

Brünneli und Besenkammer

Das Willisauer «Ein-Frau-Orchester» Irene Brügger alias Frölein Da Capo freut sich über das Buch von Schlatter, in welchem auch einige ihrer Fotos veröffentlicht worden sind. «Es war spannend für mich zu sehen, dass es allen Künstlern bisweilen gleich geht – wir alle treffen auf allerlei bis allerhand», so Brügger. Die Musikerin, die ebenfalls Backstages dokumentiert, präsentiert auf ihrer Homepage eine Garderoben-Galerie. «Was übrigens clever ist. Die Veranstalter wissen das und geben sich extra Mühe», erklärt sie lachend.

Ein beliebtes Motiv

Auch einige von Beat Allgaiers Backstage-Bildern haben es in das Buch von Beat Schlatter geschafft. Er fotografiert ebenfalls seit bald 20 Jahren regelmässig die Künstlergarderoben der Künstler mit welchen er als Techniker unterwegs ist.

Die Unterschiede bei den Backstages seien gewaltig. Sie habe die Zeit bis zum Auftritt auch schon in einer Besenkammer verbracht. Oder zwischen Reservestühlen und Insektenschutzmittel.

«Manche Veranstalter verwöhnen einen im Backstage über die Massen, andere holen aus den rudimentären Begebenheiten das Beste heraus, und wieder andere bringen dich in der Knabenumkleide unter, die sie seit dem letzten Anlass von vor einem halben Jahr selbst auch nicht mehr betreten haben», so Brügger. Sie habe auch schon Veranstalter erlebt, die es anmassend fanden, dass sie etwas zu trinken verlangte. «Wo es doch ein Brünneli hat!»

Der Backstage des Gemeindesaal Meggen lässt sich gut reinigen. Ein Luzerner Splätterlitheater beispielsweise dürfte sich mit seinen Kunstblutorgien willkommen fühlen.

Der Backstage des Gemeindesaal Meggen lässt sich gut reinigen. Ein Luzerner Splätterlitheater beispielsweise dürfte sich mit seinen Kunstblutorgien willkommen fühlen.

(Bild: Beat Schlatter)

Braunes Wasser – ein Zeichen

Brügger weiss, woran man erkennt, wie oft an einem Ort veranstaltet wird: wenn man den Wasserhahn in der Garderobe aufdreht. Komme erst Luft oder braunes Wasser, dann sei’s länger her. «Kein Wunder, macht Beat ein Buch drüber», so die Musikerin.

Die ungewöhnlichste Garderobe, die Irene Brügger jemals erleben «durfte», war ein «Einfränkler-WC» auf der kleinen Schanze in Bern. «Weil es mich nicht nur platztechnisch beschränkte, sondern auch in der Zeit. So ein Einfränkler hält für zehn Minuten, da es aber so viele Leute am Anlass hatte, fingen die schon nach fünf Minuten an, von aussen an die Tür zu klopfen, ob’s denn eigentlich noch lange dauert …»

Im Hotel Seeburg in Luzern will man offenbar verhindern, dass der Künstler vor dem Konzert noch die Biege macht.

Im Hotel Seeburg in Luzern will man offenbar verhindern, dass der Künstler vor dem Konzert noch die Biege macht.

(Bild: Frölein Da Capo)

No comment!

Der Luzerner Komiker und Punk-Rocker Dominic Deville gibt sich erst mal mysteriös: «Was im Backstage passiert, bleibt im Backstage.»

Er verrät nur seinen Favoriten: «Der schönste, bequemste und luxuriöseste Backstage befindet sich ganz klar im Sedel Luzern direkt hinter der Bühne. Voller Kühlschrank, beste Aussicht und man kann sich nach dem Auftritt einfach nur nach hinten fallen lassen, um dort zu landen.» Das habe er oft in Anspruch genommen.

Im KKL gibt man sich auch backstage äusserst seriös.

Im KKL gibt man sich auch backstage äusserst seriös.

(Bild: Beat Allgaier Anderhub)

Ruheraum und Partykeller

Die Luzerner Sängerin und diesjährige «Swiss Music Award»-Gewinnerin Eliane Müller bleibt selten alleine nach dem Auftritt. «Ich geniesse es besonders, wenn wir nach dem Konzert noch alle Zeit haben für ein Bierli in der Garderobe. Mit Band, Manager, und wenn manchmal sogar noch Freundinnnen oder Familie dabei sind, umso gemütlicher.»

Am liebsten seien ihr die Backstages, die ein Bett oder Sofa im Raum stehen haben. «Für ein kurzes Powernap nach der Ankunft.» Doch auch Müller musste sich schon mit einem Putzraum begnügen. «Dieser diente gleichzeitig als Abstellraum und als Technikraum. Es war eine totale Katastrophe.» Doch als sie sich beschwerte, sei sie vom Eventmanager angezischt worden, es gehe hier nicht um die Musiker, sondern um die Gäste. «Da hat er natürlich Recht, aber höflich kommt man trotzdem einfacher durchs Leben», findet Müller.

An diesem Tisch in der Schüür wird nach Konzerten gefeiert.

An diesem Tisch in der Schüür wird nach Konzerten gefeiert.

(Bild: Beat Schlatter)

Beleidigungen und Lobgesänge

Jakob Felix aka Spooman hat in der Hiphop-Szene jahrelang wilde Backstage-Partys gefeiert und unzählige Geschichten darüber zu erzählen (zentralplus berichtete). Was aber immer besonders gewesen sei: wenn der Backstage mit amerikanischen Rappern geteilt werden musste. «Zuerst wurde man behandelt, als sei man der Aushilfs-Clown, und wurde nicht selten aus dem Bereich verbannt.» Wurde der Aufforderung nicht Folge geleistet, sei es dann jeweils zu verbalen «Schwanzvergleichen» mit vielen Beleidigungen gekommen. «Nach dem Auftritt wurde dann gemeinsam Party gemacht und man war plötzlich der hoffnungsvollste Protagonist des Landes», so Felix lachend.

Hässlich gibt’s nicht

Spoomans Favorit hinter den Kulissen ist der Backstage-Bereich des Café Mokka in Thun. «Mit viel Liebe, Leidenschaft und Herzblut eingerichtet, wie ein wunderschönes Wohnzimmer, in dem man Freunde empfängt, um mit ihnen die beste Zeit des Lebens zu verbringen», schwärmt er. Persönlich sei ihm auch der Backstage der Schüür in sehr guter Erinnerung: «Da hatten wir zum Teil die grösseren Partys, als dies vor der Bühne der Fall war.»

Hässliche Backstage-Bereiche gebe es keine, findet der Rapper, es gebe nur manchmal: keine.

Eine ganz seltsame Erfahrung machte der Rapper in den unterschiedlichsten Backstage-Bereichen über die Jahre hinweg immer wieder. «Im Backstage befindet sich immer mindestens eine Person, die man nicht kennt, die aber mitfeiert, gratis isst und trinkt, das Konzert kostenfrei besucht und danach wieder mitfeiert. Und bei der nächsten Bandprobe fällt dann jeweils auf, dass diese Person keiner kannte, und auch keiner nachgefragt hatte.» Weil man gedacht habe, dass es sich wohl um einen Bekannten eines anderen Bandmitgliedes handle.

Zwei Ausschnitte aus der Galerie von Frölein Da Capo: Einmal das Kulturforum Hitzkirch (links) und einmal tiefere Einblicke aus dem Luzerner Kleintheater-Backstage.

Zwei Ausschnitte aus der Galerie von Frölein Da Capo: Einmal das Kulturforum Hitzkirch (links) und einmal tiefere Einblicke aus dem Luzerner Kleintheater-Backstage.

(Bild: Irene Brügger)

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