Gelungenes Abschlusskonzert am Lucerne Festival

Liebeslied und Hexentanz

Gustavo Dudamel führte das Orchester mit klarer Linie durch das zehnsätzige Stück des französischen Komponisten Olivier Messiaen. (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival)

Die diesjährige Ausgabe des Lucerne Festivals ist mit einem überzeugenden Auftritt des Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela zu Ende gegangen. Mit Messiaens Turangulîla-Sinfonie wurde eine Ode an die Themen des Festivals gespielt: Leben und Tod, Liebe und Zeit.

Musik, sagt man, ist Kunst in der Zeit. Beweglich und vergänglich. Wie die Zeit gestaltet wird, in der allein diese flüchtige Kunst existiert, ist deshalb von zentraler Bedeutung. Olivier Messiaen, geboren 1908 und gestorben 1992, war ein Komponist, der sich dessen bewusst war. Musiker und Komponist zu sein, hiess für ihn in erster Linie, Rhythmiker zu sein, die wertvolle Zeit der Musik richtig einzuteilen.

Turangulîla – Spiel um Liebe, Leben und Tod

Um Zeit geht es auch in der Turangalîla-Sinfonie, mit der am Sonntag eine andere kostbare Zeit, jene der diesjährigen Sommerfestspiele des Lucerne Festivals, zu Ende ging. Schon der Name dieses Stücks klingt rätselhaft – und es lohnt sich, einen Moment bei ihm innezuhalten.

Aus dem Sanskrit – dem Alt-Indischen – stammend, ist er aus den Wortteilen Turanga und Lîla zusammengesetzt. Turanga verweist auf den flüchtigen Stoff, aus dem alle Musik geschneidert ist: «Das ist die Zeit, die davoneilt wie das galoppierende Pferd, die Zeit also, die fliessend zerrinnt wie der Sand einer Sanduhr», wird Messiaen im Programmheft zitiert.

Das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela interpretierte die anspruchsvolle Turangalîla-Sinfonie gekonnt. (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival)

Das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela interpretierte die anspruchsvolle Turangalîla-Sinfonie gekonnt. (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival)

Lîla ist das göttliche Spiel von Leben und Tod, und auch die Liebe. Die Liebe, der sich diese Ausgabe des Lucerne Festivals auch verschrieben hatte, als sie mit dem Thema «Prima Donna» die Frauen in den Mittelpunkt des Sommerprogramms rückte.

Klare Interpretation

Bei so viel Gewicht auf die Bedeutung von Zeit und Rhythmus war es ein Glück, dass das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela unter der Leitung ihres langjährigen Dirigenten Gustavo Dudamel die Turangalîla-Sinfonie im Konzertsaal des KKL interpretierte. Die ausgeklügelte und oft wilde Rhythmik des Werks schien diesem Orchester keine ernsthaften Schwierigkeiten zu bereiten.

Gerade in den mit «Turangalîla» überschriebenen Sätzen, in denen der Fluss der Zeit thematisiert wird, kam dies dem Hörerlebnis zugute. Darin gibt es einige Stellen, die bei unsorgfältiger Interpretation ins Chaos abgleiten können. Messiaens Vision von Zeit war nämlich nicht eine von ruhig und gleichmässig tickenden Uhren, sondern geprägt von der Überlagerung von unterschiedlichen Zeitverläufen, von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Die klare und sichere Interpretation des Orchesters unter Dudamel ermöglichte es, diese unheimlich dichten Passagen hörend zu durchdringen. Messiaens Zeitvorstellung wurde deutlich als eine hochkomplexe wahrnehmbar – ohne Fall ins Chaos.

Das mysteriöse «Ondes Martenot»

Überhaupt ist dem Vorzeigeorchester aus Venezuela mitsamt Chefdirigenten ein Kränzchen zu winden. Die Turangalîla-Sinfonie ist nicht leicht zu spielen – und auch nicht leicht zu hören, gerade für Konzertbesucher, die wenig Erfahrung mit zeitgenössischer Musik haben.

Die Zuschauer im Konzertsaal des KKL bedankten sich am Ende des Konzerts mit stehenden Ovationen. (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival)

Die Zuschauer im Konzertsaal des KKL bedankten sich am Ende des Konzerts mit stehenden Ovationen. (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival)

Das Werk besteht aus zehn Sätzen, und eine Aufführung dauert mehr als eine Stunde. Neben dem vor allem im Schlagzeug stark erweiterten Sinfonieorchester braucht es einen Konzertflügel sowie ein mysteriöses elektronisches Tasteninstrument namens «Ondes Martenot».

Den Musikern gelang es an diesem Abend, das umfangreiche und moderne Werk zusammenzuhalten und die Hörer mitzunehmen; so sehr, dass sich diese zum Schluss mit stehenden Ovationen bedankten.

Eine Liebe, die ihre Kraft bewahrt hat

Es hat sich gelohnt, sich auf das Abenteuer einzulassen. Denn abenteuerlich ist diese Musik. Schlagende Rhythmen jagen sich wie in einem archaischen Hexentanz, die Partitur entlockt dem Orchester ungekannte Klänge und Farben; innige Liebesumarmung und schriller Wahnsinn liegen nur Sekundenbruchteile auseinander. Denn das ist es eigentlich nach Messiaen: ein grosses Liebeslied.

Wer das Werk gehört hat, den mag diese Bezeichnung stutzig machen. Man muss nochmals hinhören, und nochmals. Weit weg von Hollywood-Kitsch ist diese Liebe, bedrohlich bisweilen, angsteinflössend, ungeduldig und ekstatisch, aber auch facettenreich und zärtlich in sich verschlossen.

Vielleicht ist dies die Liebe, die sich zum Zeitpunkt der Uraufführung 1949, kurz nach Kriegsende, noch unverfälscht ausdrücken liess. Und die, noch nicht plattgedrückt von hohlen Floskeln, wie sie uns in der Alltagskultur allzu oft begegnen, bis heute ihre Kraft bewahrt.

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