Zugs «Herrliche Zeiten» nicht für alle herrlich

Kunst von Stadtrats Gnaden

Vom Zuger Stadtrat für gut befunden: Kunstinstallation Sichtschutzwände von Nicolas Kerkisieck am Zuger Vorstadtquai. (Bild: Beat Holdener)

Mit der Ausstellung «Herrliche Zeiten» thematisiert die Stadt Zug die Suche nach einer Identität «in einer der globalisiertesten kleinen Städte». Echte Kontroversen scheinen dabei nicht erwünscht zu sein. Aus politischen Gründen hat der Stadtrat ein von der Jury ausgewähltes Projekt aus dem Programm gekippt.

Markant macht der berühmte Hollywood-Schriftzug am Guggihügel hinter der Hauptpost auf die Ausstellung «Herrliche Zeiten» aufmerksam, die am Wochenende eröffnet wurde (zentral+ berichtete). Wäscheleinen in der Unteraltstadt, eine matterhornförmige Holzskulptur beim Rehgarten oder eine tropfende Laterne am Vorstadtquai sollen zum Nachdenken und zum Schmunzeln anregen. Ähnlich heftige Diskussionen wie beim Hafenkran in Zürich sind allerdings kaum zu erwarten. Konzepte mit erhöhtem Irritationspotenzial wurden an wenig frequentierten Orten realisiert, wie der von Baugittern umzäunte leere Platz beim Stadtgarten (statt wie vorgesehen auf dem Arenaplatz) oder die klingenden Betonmischer bei den Toiletten unter dem Bahnviadukt (statt auf dem Landsgemeindeplatz). Von den Sichtschutzwände vor Bänken an der Seepromenade konnten nur drei realisiert werden, zudem möglichst wenig (ver-)störend platziert.

Die 14 Kunstwerke wurden im Rahmen eines Wettbewerbs von einer Jury ausgewählt, in welcher der Direktor des Zuger Kunsthauses, Matthias Haldemann, und andere namhafte Kunstexpertinnen und -experten vertreten waren. Obwohl in der Ausschreibung von einer politischen Zensur keine Rede war, hat der Zuger Stadtrat nachträglich sein Veto eingelegt gegen ein Projekt, das ihm zu provokant erschien. Der Zürcher Künstler Christian Vetter wäre dabei zwei Monate als Mitarbeiter zum regulären Lohn beim städtischen Werkhof angestellt worden. Im Rahmen seiner Tätigkeit hätte er «situative, ungeplante und undefinierte Handlungen» ausgeführt, nicht im Sinne von Kunst, sondern als «Wahrnehmung und Pflege des öffentlichen Raums». Was genau diese Interventionen beinhaltet hätten, darüber hatte der Künstler im Vorfeld bewusst keine Aussagen gemacht.

Unerwünschte Kapitalismuskritik

Mit seiner Aktion «Zug – Stadt nach der Kunst» wollte Vetter eine von ihm wahrgenommene Zweiklassengesellschaft und den seiner Ansicht nach eklatanten Mangel an öffentlichem Leben aufgreifen. Wohlstand, Sicherheit, Sauberkeit und Privatbesitz herrschten hier und machen Zug für Christian Vetter zu einer Realität gewordenen Utopie des freien Markes. «Wahrhaft herrliche Zeiten für diejenigen, die an der virtuellen Wertvermehrung teilnehmen können», bringt es der Projektbeschrieb auf den Punkt. «Dem Phantomschmerz, den einige Bewohner und Bewohnerinnen vielleicht dennoch zu verspüren scheinen, ist mit Kunst nicht beizukommen.»

Den Antrag, das gesellschaftskritische Projekt abzusägen, stellte der Stadtpräsident und Kulturchef Dolfi Müller (SP), der selber in der Jury mitgewirkt hatte. Begründung: Die vorgesehene Tätigkeit des Künstlers hätte bei Bevölkerung und vor allem bei den Mitarbeitern des Stadtbauamtes auf Unverständnis stossen können. «Im Stadtrat, der bei städtischen Projekten das letzte Wort hat, sind wir in diesem einzigen Fall zur Überzeugung gelangt, dass hier zwei Welten aufeinandergeprallt wären, die nicht miteinander kompatibel sind und die wir so nicht miteinander konfrontieren wollen», sagt Dolfi Müller. Werkhofmitarbeiter hätten die Aufgabe, die Stadt sauber zu halten: «Das ist ihr Stolz, und diese Aufgabe würde mit dem Kunstprojekt kollidieren.»

Provokation oder Wertschätzung?

Das Njet des Zuger Stadtrats hat den betroffenen Künstler überrascht: «Dass sich die Politik die Kompetenz herausnimmt, inhaltlich auf die Kunst einzuwirken, finde ich grundsätzlich enorm fragwürdig», sagt Christian Vetter, «und es befremdet mich, mit welcher Selbstverständlichkeit, dies in Zug gehandhabt wird.» Seine Arbeit wäre nicht als Provokation verstanden worden, ist er überzeugt. Vielmehr hätte sie die Welt des Werkhof-Mitarbeiters in einem neuen Kontext sichtbar gemacht und durch die gleiche Entlöhnung Wertschätzung ausgedrückt.

Die Absicht der Jury war, auch Projekte auszuwählen, die möglicherweise scheitern könnten, um Reaktionen auszulösen. Als Kuratorin der Ausstellung und städtische Kulturbeauftragte bedauert Jacqueline Falk die Streichung wegen den Bedenken des Stadtrats: «Das Projekt hätte sehr interessant werden können und ich bin immer noch überzeugt davon.» Ein langjähriger Werkhof-Mitarbeiter habe ihr im Gespräch versichert, dass seine Kollegen positiv reagieren würden. Bei der Installation und Produktion der Ausstellung hatte der Werkhof grossen Einsatz geleistet.

Angst vor möglichen Konflikten

Ob politische Einflussnahme auf künstlerischen Entscheide vertretbar ist, könne Jacqueline Falk als städtische Angestellte nicht kommentieren. Auch andere Jury-Experten halten sich bedeckt. Teilweise seien sie über die Entscheidung des Stadtrates gar nicht informiert gewesen oder hätten es nicht als ihre Aufgabe betrachtet, zu reagieren. Ein Jury-Mitglied äussert dagegen Verständnis, dass die – Zitat – «Interventiönli» verhindert wurden.

Eine offizielle Begründung für die Absage hat Christian Vetter nicht erhalten. Erst am Vernissage-Wochenende fand bei einer Rahmenveranstaltung ein öffentliches Gespräch statt – allerdings vor Null Publikum. Projekt-Beteiligte bedauerten gegenüber Dolfi Müller das fehlende Vertrauen der Stadtbehörden in die Kunstschaffenden und ins Kurationsteam. Zudem wurde auf den inszenierten Scheindiskurs hingewiesen. Der Stadtrat gebe vor, kritische Debatten zu erlauben, gehe aber wichtigen Diskussionen aus Angst vor möglichen Konflikten aus dem Weg.

Der Stadtpräsident verteidigte sein Vorgehen gegen den erhobenen Vorwurf des Populismus im Wahlvorfeld. Ihm sei wichtig, keine Auseinandersetzung zu provozieren, welche künftige Kunstaktionen gefährdet. Zum Schluss räumte Dolfi Müller ein, dass er sich die Umsetzung des Projekts von Christian Vetter schlicht nicht habe vorstellen können: «Schade, dass ich nicht mehr gewusst habe.»

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