Zwischennutzung, Umnutzung, Neubau

Kultureller Freiraum in Luzern?

Die Luzerner Kulturszene entwickelt sich weiter – es ist unklar, wie viel Freiraum der alternativen Szene in Zukunft darin noch eingestanden wird. (Bild: Emanuel Ammon/ AURA)

Mit der Einigung um die Millionen für ein neues Theatergebäude in Luzern stellt sich nicht nur die Frage nach dem zukünftigen Standort. Ebenfalls offen ist, was darin alles stattfinden darf. Daneben wird Kritik laut. Und sieben Jahre nach der Schliessung der Boa erneut die Forderung nach einem «echten» kulturellen Freiraum – vielleicht gar im Luzerner Stadttheater.

«Boa», «Werkhof» und «Frigorex» sind für viele bereits Geschichte und abgehakt. Mit den Neubauten «Südpol» und «Treibhaus» und den Zwischennutzungen im «Neubad» sowie dem «Tatort Bernstrasse» müsste doch eigentlich genug Platz für die nicht-etablierte Kultur vorhanden sein. Das sehen deren Vertreter jedoch anders.

2008 hiess es bereits: Die Schliessung der Boa ist der Anfang vom Ende des Kulturkompromisses. Die Alternativkultur hat keinen Platz mehr.

Finanzpolitik als Problem

Ruedi Meier, ehemaliger Sozialdirektor, sagt heute dazu: «Wenn der Kulturkompromiss zu Ende ist, dann wegen der Finanzpolitik. Die extreme Finanznot bedroht sehr vieles, und es gibt Verteilungskämpfe, die die traditionelle und die alternative Kulturszene gleichermassen bedrohen und diese gegeneinander aufbringen können.»

Nun ist nach Jahren wieder Geld in Aussicht. Geld für den Neubau einer Salle Modulable, beziehungweise einer «Neuen Theater Infrastruktur» (NTI).

Was soll aus dem Theater werden?

Die Kulturlandschaft Luzern soll sich im Rahmen des «Theater Werk Luzern» und des NTI in den nächsten Jahren massiv verändern: Eine Salle Modulable, ein neues, flexibles Theater soll her. Dabei kommt nun auch ein Grundlagenpapier der «Interessensgemeinschaft Kulturraum Boa» (IKU Boa) von 2010 wieder auf den Tisch. Der Verein fordert darin eine Umnutzung des derzeitigen Theatergebäudes an der Reuss in ein Luzerner «Volkshaus». Mit einem Volkshaus, einem neuen kulturellen Freiraum, soll das Gleichgewicht zwischen etablierter und alternativer Kunst wieder austariert werden.

«Indem man der alternativen Bewegung ein Haus gab, konnte man sich ein Ja fürs KKL sichern.»
Boris Rossi, Sedel-Wirt und Koordinator

Doch der Standort des jetzigen Luzerner Theaters steht auch für das neue Theatergebäude zur Debatte. Dafür müsste das Gebäude jedoch abgerissen werden.

Boa fürs KKL, Volkshaus für eine Salle Modulable?

Boris Rossi, langjähriger Boa-Aktivist, Sedel-Wirt und Koordinator, erklärt: «Die Boa war 1988 ein willkommenes Ventil für die Stadt: Indem man der alternativen Bewegung ein Haus gab, konnte man sich ein Ja fürs KKL sichern, einen Teil der Wut von der Strasse wegnehmen.» Nun sei dieses Ventil seit sechs Jahren weg.

Braucht es nun eine neue «Boa» für die Sicherung einer Salle Modulable in einem Kulturkompromiss? Tom Burri von der IKU Boa sieht hier die Chance. «Wenn die Planung bezüglich Salle Modulable konkreter wird, werden wir unsere Forderung wieder geltend machen.»

Doch er bleibt realistisch. «Bezüglich TWL und NTI haben Stadt, Vertreter der etablierten Kultur und Geldgeber auf jeden Fall ganz unterschiedliche Vorstellungen.» Da werde sicher noch viel diskutiert und gerungen werden müssen. «Der Ausgang ist offen und vor allem der Standort wird noch viel zu reden geben», ist Burri überzeugt.

Sedel-Wirt Rossi sieht das Projekt jedoch kritisch: «Ich bin kein Fan der ‹Salle Modulable›, das ist für mich wieder so ein grössenwahnsinniges Projekt der Stadt Luzern.»

Schulterschluss statt Neidkultur

Meier betont, die Verhinderung einer neuen Theaterinfrastruktur bringe niemandem etwas, denn das Geld sei klar für dieses spezielle Projekt einer Salle Modulable gespendet worden. «Was es braucht, ist ein Schulterschluss über alle Kulturszenen hinweg und eine Zusammenarbeit und Integration der verschiedenen Szenen. Sonst enden wir womöglich als bünzliges Gastspieltheater in der Mehrzweckhalle.» Dafür brauche es einen breiten Kulturbegriff, gegenseitiges Verständnis und keine Neidkultur. «Dies wird aber nicht mit Abgrenzung und allenfalls Gewalt erreicht. Dies gilt für alle», so der ehemalige Sozialdirektor Meier.

«Sonst enden wir womöglich als bünzliges Gastspieltheater in der Mehrzweckhalle.»
Ruedi Meier, ehemaliger Sozialdirektor Luzerns

Doch das Vertrauen in die Stadt ist bei einigen Akteuren noch nicht wieder da – besonders bei den Aktivisten der Boa. «Tatsache ist, dass die Aktion Freiraum nach ihren Aktionen von der Stadt an Gespräche eingeladen wurde und der Bewegung nahegelegt wurde, dass sie bald ein Gebäude erhalten würde. Und was wurde daraus? Rein gar nichts, die Gespräche waren nur eine Strategie um der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen», ärgert sich Rossi. «Ich bin zugegebenerweise immer noch sauer.»

Umnutzung statt Zwischennutzung

Ruedi Meier hingegen glaubt an eine Entwicklung durch die damaligen Gespräche: «Die Aktion Freiraum hat klar gezeigt, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen. Konkret hat dieser Dialog die Akzeptanz und Bedeutung von kulturell-kreativen Zwischennutzungen erhöht.» Das Neubad zählt er als vorbildliches Beispiel auf. Trotzdem handelt es sich dabei um eine Zwischennutzung, bei welcher nun bereits die ersten grossen finanziellen Schwierigkeiten Schlagzeilen machen (zentral+ berichtete).

Kein Freiraum da?

Vor sieben Jahren wurde die Boa geschlossen. Der Werkhof und das Frigorex-Areal sind mittlerweile ebenfalls Geschichte. Jedes Mal war der Ärger gross.

Der Südpol wurde als Ersatz für die Boa nicht angenommen. Ein «erzwungener Freiraum» wurde er genannt. Die Aktivisten der «Aktion Freiraum» akzeptierten nicht. Burri: «Es gibt kein alternatives, selbstverwaltetes Kulturhaus in Luzern, in dem gesellschaftspolitische Fragen und eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Wirtschaftsordnung ernsthaft Platz haben.» Als Beispiel nennt er die Reitschule in Bern.

«Der Südpol kann wegen seiner Bindung zur Stadt und seinem institutionellen Charakter nicht als Freiraum bezeichnet werden. Auch das Angewiesensein auf grössere Subventionen ist für mich ein Widerspruch zu einem Freiraum», findet auch Rossi.


Entpolitisierte Kulturszene

Gibt es unter dieser Definition denn tatsächlich kulturellen Freiraum in der Stadt Luzern? «Begrenzt im Neubad, Tatort, in der Industriestrasse, beim Wagenplatz», zählt Burri auf. Rossi ergänzt mit dem Sedel, der einem Freiraum nahe komme. «Viele Veranstalter, die in der Boa aktiv waren, wechselten nach der Schliessung zum Sedel. Und damit auch Teile des Publikums», so Rossi.

Im Südpol ist zwar eine Freie Szene heimisch geworden – jedoch nicht unbedingt die alternative Szene. «Der Südpol wurde politisch als Ersatz für die Boa und somit als Zeichen der Fortführung des Kulturkompromisses präsentiert. Raum für Theater und Konzerte wurde zwar zur Verfügung gestellt, viele Kulturschaffende konnten sich aber bisher mit dem Südpol nicht identifizieren», so Burri.

Burri ist überzeugt: «In den letzten Jahren fand in Luzern eine Entpolitisierung der Kulturszene statt. Früher bewegte sich die Alternativkultur entlang von sozialen Bewegungen wie der Frauenbewegung oder der Antiglobalisierungsbewegung. Zurzeit ist Alternativkultur eher geprägt von individuellen Bedürfnissen wie der Realisierung eines Ateliers oder eines Partyraumes. Hier muss ein neues Bewusstsein geschaffen werden.» Und ein neuer kultureller Freiraum?

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Pirelli
    Pirelli, 23.12.2014, 21:51 Uhr

    Wie viel wird die KKL-Sanierung kosten? Ist es wirklich schlau, jetzt ein neues grössenwahnsinniges Frankengrab zu planen? Vielleicht wacht die Luzerner Bevölkerung endlich auf, wenn sie – gebeutelt durch x Sparpakete in Folge und die Erhöhung der Steuern als logischen Nachgang zur von den Bürgerlichen durchgestierten Senkung der Unternehmenssteuern – endlich eine Vollkostenrechnung zum KKL sieht? Wenn sie merkt, dass man jetzt kaltschnäuzig noch den letzten grossen zentralen Freiraum am See, das Inseli, einer eindimensionalen, kommerziellen Zweckbestimmung unterziehen will – so es denn nicht komplett überbaut wird? Und wie gross ist der Anteil der etablierten Kultur KKL, Luzerner Theater, Orchester) am Kulturförderungskuchen – sind es 90 oder 95 Prozent? Bei welchem Besucheranteil? Ich habe die Befreiung in den Achtzigern erlebt und die wilden, offenen Neunzigern genossen. Was seit ein paar Jahren in dieser Stadt abgeht, ist nur noch widerwärtig. Man hat sich mit dem KKL ein Denkmal gesetzt, das schon beim Bau die Hälfte teurer war als geplant und nun noch nicht absehbare Folgekosten nach sich zieht – und alles, was den Gutverdienern in den Sinn kommt, ist ein weiterer Tempel für die Pelz-undCüpli-Fraktion? Wie viel kulturelle Innovation da wohl stattfinden kann?

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