Die kleine Literaturbühne Loge lud zum Saisonabschluss in die Luzerner Seebadi. Acht Literaten traten zum Wettkampf unter freiem Himmel und über Wasser an. Der Abend zog sich in die Länge, aber zum Glück gab’s Rock’n’Roll, Hazel Brugger als Moderatorin und den fast richtigen Sieger.
Ein prächtiger Sommerabend, die Seebadi ist ausverkauft. Wer einen Sitzplatz ergattert hat, hockt ums Wasserbecken herum. Der Rest platziert sich auf dem Dach und schaut auf das Geschehen hinunter. Dicht an dicht, denn der Andrang ist gross.
Es ist augenscheinlich, dass sich zu diesem Open-Air-Poetry-Slam viele Besucher einfinden, die sonst nicht zum Logen-Publikum gehören. Kein klassisches Kultur-, sondern ein Apéro-Publikum: gut gelaunt, die schönen Sandalen zu den weissen Chinos montiert und man «pläuderlet» zum Weissen im Eiskübel.
«Mega nicht schlimm»
Wo Hazel Brugger draufsteht, da ist die Hütte voll, oder in diesem Fall: die Badi. Es ist erstaunlich, wie die junge Dame momentan wie eine Rakete abgeht. Dabei war sie am Mittwochabend nicht mal die Protagonistin, sondern moderierte den Abend. Und sie tat das gut, keine Frage.
Folgerichtig erinnerte sie am Schluss des Abends, nach zweieinhalb Stunden und zwölf kurzen Darbietungen, das Publikum: «Weil Sie schon da sind und Sie sonst nicht an Kulturanlässe gehen: Das hier ist auch Kultur, und das passiert auch sonst, zum Beispiel in der Loge, und es ist mega nicht schlimm.»
Kampf um einen Whiskey
Doch jetzt der Reihe nach: Es ist bereits das zweite Mal, dass die Loge zum Saisonabschluss ins Seebad expandiert, schon letztes Jahr war Hazel Brugger dabei. Dieses Mal waren acht Autoren zu einem Poetry Slam eingeladen. Zum literarischen Wettkampf also, bei dem am Schluss ein Sieger feststeht und eine Flasche Whiskey gewinnt. Oder in den Worten von Hazel Brugger: «Das ist wie Paralympics: Man kann gewinnen, aber keine Sau interessiert’s.»
In der ersten Runde traten in vier Duellen jeweils zwei Slammer aufeinander: Fünf Minuten Darbietung, danach bestimmte das Publikum per Applaus, wer in den Final kommt. Nirgends sonst haben die Autoren einen solch grossen Sicherheitsabstand zum Publikum: ein ganzes Wasserbecken, was kann da schon passieren?
Rock in Glitzeranzügen
Die Musik kam vom wunderbaren Luzerner Rock’n’Roll-Duo Blind Butcher in den Glitzeranzügen: Christian Aregger an der Gitarre und Roland Bucher am Schlagzeug. Hazel Brugger am Schluss über sie: «Ich war noch nie so sexuell verwirrt wie jetzt.»
Das Los entschied über die Paarungen – und es traten an:
Laurin Buser (Basel) gegen Lisa Brunner (Luzern):
Buser berichtete, dass er Dirigent werden wollte, aber null Talent besitzt. Ein Text über ein eskalierendes Orchesterkonzert. Der Vortrag ist rhythmisch, mit Sog, wie gemacht für einen Poetry Slam.
Brunner folgte mit einer charmanten Aufzählung, was sie glücklich macht – und was hässig. Etwa: die Unterhosen aus dem Spalt ziehen oder ein «Nasenböög», der härter als alle anderen ist (beides glücklich). Das klare Verdikt: Buser gewann, nicht unverdient, und kam in den Final.
Rhea Seleger (Zürich) gegen Amina Abdulkadir (Basel):
Zuerst ein ernster, sentimentaler Text über «wahre Liebe, die weh tut». Und fast hatte man Angst, Seleger würde anfangen zu schluchzen. Das tat sie nicht, aber sie zog den Kürzeren gegen Abdulkadir. Diese punktete beim Publikum mit einer gnadenlosen Selbstoffenbarung über Masturbation, Sex und ihre Unsicherheit aufgrund all der «-ismen»: Sexismus, Feminismus, Rassismus. Das zog und Abdulkadir war im Final.
Micha de Roo (Basel respektive Holland) gegen Jens Nielsen (Zürich):
Micha de Roo versuchte es mit einem Text über das Aussenseitertum: über die uncoole Kombination von Politologiestudium und dem Nichtbesitz der Autoprüfung. Doch Jens Nielsen reüssierte mit einer stillen Darbietung, wo der Schalk zwischen den Zeilen lag und nicht herausposaunt wurde, Titel: «Flusspferd im Frauenbad». Der Schauspieler machte das meisterhaft, mit absurden Texten über Gras in einer Bank und seine Schwester, so gross wie ein Telefonmast, die sich unter Giraffen am wohlsten fühlt. Nielsen gewann unter Protest meiner Sitznachbarn, die das «gar nicht lustig» fanden. Doch der Entscheid war richtig, mein Glaube an die demokratische Mitbestimmung wurde gestärkt.
Schliesslich Daniela Dill (Basel) gegen Jan Rutishauser (Güttingen, Thurgau):
Dill mit einem zeitgemässen Text namens «Event Langweile»: Protokollartig und mit Hashtags durchsetzt lieferte sie den Beitrag zum Social-Media-Zeitalter. Das hätte mehr Bestätigung verdient, hob sich ihr Text doch wohltuend ab vom Rest.
Aber die Crowd klatschte lauter für Rutishauser, der mehr den Humor der Masse bediente. Er erzählte über Stimmen im Kopf, die über Nacht auftauchten, die er aber leider nicht versteht. Zudem zog er die Thurgauer-Dialekt-Karte, die immer trumpft. Ich hätte Dill in den Final geschickt.
Fledermäuse und das Finale
Es war inzwischen dunkel, Fledermäuse flatterten durchs Holzbad und nach der Pause um 22.40 Uhr drückte Hazel Brugger aufs Gaspedal und Blind Butcher heizten nochmals ein.
Und das tönte so:
Die vier Finalisten hatten nochmals je fünf Minuten Zeit, um das Publikum von ihrem Sieg zu überzeugen. Laurin Buser nahm das digitale Zeitalter gehörig auf die Schippe, es ging um unterbrochene Gespräche wegen Handys und um den unmöglichsten Zeitpunkt, seine E-Mails zu checken.
Amina Abdulkadir hasst Ineffizienz und zu wenig Zeit. Ihr Text geriet schön politisch und sie tat ihren Ärger über die Politik in der Schweiz kund.
Jung setzt sich durch
Die grösste Überraschung: Der zuvor so leise Jens Nielsen drehte auf, zeigte sein schauspielerisches Können und lieferte einen grandios witzigen Ausschnitt aus seinem Text, was alles schiefgehen kann. Vieles kann schiefgehen, vor allem beim Tanzkurs: «stampfen, treten, brechen». Die Zuhörer kugelten sich reihenweise vor Lachen. Und als Letzter trat nochmals Jan Rutishauser auf und sprach über Haare, seine geringe Körpergrösse und unmögliche Coiffeurnamen («Hair Force One»). Witzig, aber auch etwas banal.
Als Höhepunkt folgte die Schlussabstimmung und es ging immerhin um sieben Deziliter Whiskey. Hazel Brugger: «Es geht darum, Alkoholismus als Kultur zu tarnen.» Im Stichentscheid setzte sich der erst 25-jährige Laurin Buser gegen Jens Nielsen durch. Der junge Wilde gegen den Erfahrenen. Ein Entscheid, mit dem niemand unglücklich war.
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