Junge Zuger stellen aus: Wilde Kunst zum Streicheln
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Sam Heller vor einem der Ausstellungsstücke. Alles, was gezeigt wird, hat sie selbst ausgesucht.
(Bild: wom)Eine Kunstausstellung in der Shedhalle aus der Hand junger Zuger – das klingt irgendwie vertraut. Aber was ist «Wild!»? Worin grenzt sich die Ausstellung von der Kunstpause ab? Und: Braucht es so was?
Knochenschmuck hängt an den Säulen, falsche Skalps mit Zöpfen zieren die Wände und übermannsgrosse Tauros-Skulpturen dinieren um eine Guillotine. Im Hintergrund hört man jemanden schreien und aus dem Fenster führt eine Rutschbahn ins Freie. «Wild!» ist eine Kunstausstellung zwischen Villa Kunterbunt und Tim Burton.
Sam Hellers Liebe zum Skurrilen und Morbiden ist es, die in der Shedhalle in Zug dieser Tage die Werke von 27 Künstlern vereint. Die Künstlerin und Kuratorin stellt aus, was ihr gefällt. «Bei mir kann man sich nicht bewerben und kriegt einen Förderplatz auf der Stellwand. Jedes dieser Kunstwerke hier wollte ich unbedingt in meiner Ausstellung haben», sagt sie. Die gelernte Schreinerin und Produktdesignerin macht keine Jugendförderung, sondern eine Kunstausstellung nach ihrem Geschmack. «Wer mich kennt, sieht hier überall meine Handschrift.»
(Bild: wom)
Übersexualisierung von Mädchenspielzeug
Heller ist Präsidentin des Atelier63, das Tür an Tür mit der Shedhalle liegt, und arbeitet für das Kunsthaus Zug als Ausstellungstechnikerin. Dort hat sie gelernt, wie man eine Ausstellung gliedert und wie man verschiedene Künstler zueinander in Beziehung setzt. Auch ihre eigenen Werke stellt sie aus: Arbeiten, in denen sie die Übersexualisierung von Mädchenspielzeug thematisiert. Etwa, indem sie die glatten Barbie-Gesichter gekonnt auf klassische Porträts ausladend barocker Frauenkörper setzt.
(Bild: wom)
Bilder von der Grossmutter
Die Neigung zum Morbiden verbucht Heller als letztes Überbleibsel einer schweren Jugend. «Meine Eltern waren drogenabhängig und sind früh gestorben. Ich selbst bin bei meiner Grossmutter aufgewachsen.» So gibt es keinen Platz für Hochglanzkunst und seichte Bildchen.
(Bild: wom)
Einen Platz gibt es aber für die Kunst ihrer eigenen Grossmutter. Inspiriert von ihren Söhnen, die stets gegen Atomkraft, Fleischkonsum und die Macht der Grossen rebellierten, malte sie ausdrucksstarke Szenen in markantem Schwarz-Weiss. Die Botschaft ist klar. Der Ursprung von Hellers Vorliebe fürs Düstere wohl auch.
Kampf der Unterkühlung
Durch die Ausstellung sind mehrere rote Knöpfe verteilt, die man tunlichst nicht betätigen soll. Trotzdem hört man immer wieder die schrillende Sirene von Knopf Nummer 2 durch die Halle tönen. «Kunst, die lebt, muss erlebt werden», findet Heller. Deswegen auch die Rutschbahn. «Ich will die allgemeine Unterkühlung von Kunstausstellungen aufbrechen.» Zu diesem Zweck hat sie alles gesammelt, was ihr irgendwie wild genug erschien, und mit viel Energie und Sinn fürs Detail in Szene gesetzt.
(Bild: wom)
So etwa die Bilder von Sussi Hodel, die Mitglieder des Atelier63 dabei gefilmt hat, wie sie aus vollem Halse schreien, um die ausdrucksstärksten Momente in Öl zu fangen. Dabei sind kräftige Bilder entstanden, die den Mensch am nervlichen Limit zeigen. Das Video mit den schreienden Künstlern, das im Gang zur Toilette auf Endlosschleife läuft, wirkt leicht verstörend.
Die vielleicht souligste Stimme Zugs
Bespielt wird die Ausstellung allabendlich von Musikern und Slampoeten. Gestern war die Zuger Musikerin Jazzmin zu Gast. Mit ihrer atemberaubend souligen Stimme tanzt sie irgendwo zwischen Fräulein Da Capo, Zaz und Corinne Bailey Rae virtuos über die sorgsam live eingespielten Beats ihres Loopgeräts.
Wild und Pause passen gut
Heller ist selbst auch bei der Kunstpause im Organisationskomitee. Dass sich die «Wild!» und Kunstpause nicht ins Gehege kommen, ist für sie kein Thema. «Die Kunstpause macht vor allem Jugendförderung. Hier stellen Künstler zwischen 21 und 89 aus.» Ausserdem hat die alteingesessene Kunstpause ein viel grösseres Budget. «Ich bin schon stolz darauf, was wir hier mit dem wenigen Geld zustande bringen.»
(Bild: wom)
Erlebbare Kunst, wie sie hier vermittelt wird, erachtet Heller als essenziell. Man könne Dinge anfassen, in sie hineingehen oder in der virtuellen Realität erkunden. «Das bringt Kunst von ihrem entrückten gläsernen Thron zurück zum Betrachter.» Wilde Kunst zum Streicheln, oder so.
Morgen ist leider schon wieder Schluss mit Wild. Ein kurzentschlossener Besuch ist sehr zu empfehlen. An der Finissage spielen Mativa, Eisentanz und Luca Koch. Ausserdem lockt eine Kunstversteigerung.
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