Gratis Gemüse für Zuger

Ist das Kunst? Nein, ein Garten

Nur ein Gemüsegarten. Doch hier passiert etwas Magisches. (Bild: pbu)

Ein Gemüsegarten inmitten der Stadt Zug. Auf einem Parkplatz für alle, gratis zur Verfügung gestellt. Mit diesem Konzept will das Künstlerduo Hoffnung+Kiwi mit der Bevölkerung einen Diskurs führen. Wer dabei aber nur an Urban Gardening denkt, ist falsch gewickelt – denn es geht um viel mehr.

Von einem Termin zum nächsten eilen. Mit dem Auto durch die Stadt schlängeln und im hektischen Trubel wirtschaftlicher Tätigkeit den Überblick nicht verlieren: eine Herausforderung der heutigen Nonstop-Gesellschaft. Es braucht Entschleunigung. Das Kunstprojekt «Ohne Rast» möchte die Ursachen und Folgen der leistungs- und konsumorientierten Gesellschaft thematisieren und den Dialog zwischen den Kunstschaffenden und den Stadtbewohnern fördern (siehe Box).

Von Ge- und Vertriebenen

«Ohne Rast»: Ein Kunstprojekt über Getriebene und Vertriebene – so lassen zumindest die Veranstalter verlauten. Nachdem die Stadt Zug letztes Jahr «Herrliche Zeiten» erleben durfte (zentral+ berichtete), wird sie dieses Jahr in einen Zustand der Rastlosigkeit versetzt. Ein Sinnbild der Globalisierung, ein Ort, an dem internationale Firmen auf kleine Gewerbe treffen und jeder sein Stück vom Kuchen haben möchte. Dem gegenüber steht die Flüchtlingsthematik. Ein globales Problem, das auch Zug nicht ruhen lässt.

Gemeinsamkeiten und Differenzen von Getriebenen und Vertriebenen thematisieren, das möchte das Projekt. «Ohne Rast» besteht aus 13 von einer externen Jury ausgewählten Positionen. Eröffnet wurde das Projekt am 22. August 2015 und enden wird es am 3. Oktober 2015.

Genau das bieten Michel Kiwic und Severin Hofer. Das als Hoffnung+Kiwi bekannte Künstlerduo schafft direkt am Bahnhof Zug, dieser Drehscheibe permanenter Strebsamkeit, einen Ort des Diskurses. Ein als Gemüsegarten zweckentfremdeter Parkplatz symbolisiert den Gegensatz zwischen Rast und Rastlosigkeit. Der Automobilist, der sein Fahrzeug auf dem Parkplatz ruhen lässt, und die Pflanzen, die wachsen und ihrerseits eine permanente Vorwärtsbewegung symbolisieren.

Vielfältiger Gesprächsstoff

«Die Tragik der Allmende», so lautet ihr Kunstprojekt. Lediglich ein Arbeitstitel, so erklären sie. Was mit dem Garten passiert, sei gewollt ungewiss. «Wir haben ihn angelegt und akzeptieren, was die Leute daraus machen und worüber sie diskutieren», sagt Severin Hofer. Ob Urban Gardening, Grundsatzdebatten über Kunst oder Tipps zum Umgang mit dem Grüngut – Gesprächsstoff ist reichlich vorhanden.

«Es hat etwas Magisches an sich.»

Michel Kiwic

Worüber geredet wird, sei nebensächlich. «Hauptsache, es regt zum Denken an», führt Hofer aus. An diesem Punkt passiere Kunst. «Wenn mich jemand fragt, ob das Kunst sei, dann verneine ich die Frage. Das ist ein Garten.» Er schnappt sich die kleine Giesskanne und tröpfelt Wasser über Fenchel, Basilikum, Schnittlauch, Peterli und das restliche Gemüse. Partizipatives Schaffen, darum geht es dem Duo. «Niemand wird ausgeschlossen. Das neugierige Mädchen, der strebsame Banker oder die redselige Rentnerin, alle können sich beteiligen», erklärt Michel Kiwic.

Die Rentnerin ist entzückt

Und das tun sie auch, wie Severin Hofer erzählt: «Eine ältere Dame, die gleich hier um die Ecke wohnt, war dermassen begeistert von unserem Stadtgarten, dass sie tags darauf ein paar Setzlinge Wintersalat vorbeibrachte. Das finden wir so richtig klasse.» Denn genau das zeichne ihre Projekte aus: «Dass wir partizipativ sind und mit den Leuten zu tun haben», betont Kiwic. Es gebe da diesen Moment, in dem etwas ganz Besonderes passiere. «Ich kann beobachten, wie die Leute aus ihrem Alltagstrott gerissen werden, wenn sie an uns vorbeilaufen. Auch wenn dieser Moment nur ein paar Sekunden währt, hat er dennoch etwas Magisches an sich.»

Wasser, der Ursprung allen Lebens. Das Künstlerduo Hoffnung+Kiwi: Severin Hofer (links) und Michel Kiwic.

Wasser, der Ursprung allen Lebens. Das Künstlerduo Hoffnung+Kiwi: Severin Hofer (links) und Michel Kiwic.

(Bild: pbu)

 

Nein, es gehe dabei nicht um Esoterik. «Wir sind unverbesserliche Optimisten», sagt Kiwic, «unsere Projekte drücken Lebensfreude aus, und das spüren die Leute. Die Menschen spüren unsere Projekte. Das ist der Moment, in dem die Kunst einsetzt.» Das sei absolut losgelöst von jeglichem Materialismus. Michel Kiwic bedient sich einer auf der Hand liegenden Metapher, um diesen Gedanken zu illustrieren: «Wir pflanzen einen Samen in die Köpfe der Menschen und lassen Ideen gedeihen.»

«Ich bin etwas gelangweilt von der Kunst.»

Michel Kiwic

Aufruf zum Mitmachen

Hoffnung+Kiwi wollen keine exklusive Kunst konzipieren. Jeder könne an ihren Projekten teilhaben, von A bis Z, es brauche keinen akademischen Titel, um Kunst zu machen. «Ich bin etwas gelangweilt von der Kunst», erzählt Kiwic. Sie sei oftmals anstrengend, weil zu viel hineininterpretiert werde. «Viele Werke wollen Aufmerksamkeit erhaschen. Schöner ist es aber, wenn man sich hinein legen kann.» Man solle nicht nur darüber reden, sondern das Projekt spüren, fügt Hofer an.

Das Schönste sei es, die Fantasie der Menschen anzuregen, sagt Kiwic und startet zugleich einen Aufruf: «Leute, kommt vorbei, bringt Pflanzen mit, legt euch auf die Rasenfläche oder macht, was auch immer euch gerade in den Sinn kommt.» Denn das zeichne interaktive Kunst aus: «Es ist einfach geiler, je mehr Leute daran teilnehmen. Wo, wenn nicht in der Kunst, kann man Neues machen?» Invention, das sei das Stichwort, führt Kiwic aus.

«Kunst ist einfach mächtiger.»

Michel Kiwic

Die Macht der Kunst

Während Severin Hofer abermals mit der Giesskanne hantiert und sich immer wieder in Gespräche mit interessierten Passanten verwickeln lässt, erzählt Michel Kiwic, wie die Idee vom temporären Stadtgarten entstanden ist. «Der öffentliche Raum ist uns wichtig, nicht nur in künstlerischer, sondern auch in persönlicher Hinsicht.» Für einen Neustadt-Nomaden, der in einem umgebauten Bus wohnt, sind Parkplätze ein stets wiederkehrendes Thema. «Letztlich war es diese Idee, bei welcher wir unsere Begeisterung kaum im Zaun halten konnten. Da wussten wir, dass wir das machen wollen.»

Der Gemüsegarten blieb bisher als Parkplatz ungenutzt. Woran das liegen könnte?

Der Gemüsegarten blieb bisher als Parkplatz ungenutzt. Woran das liegen könnte?

(Bild: Hoffnung+Kiwi)

Bis jetzt habe sich noch keiner getraut, sein Fahrzeug auf dem Gemüsegarten-Parkplatz abzustellen, sagt Kiwic abschliessend. Daran werde sich wohl auch nichts ändern, obwohl klar beschildert ist, dass dieser gratis zur Verfügung steht. Woran das liegen könnte? «Ich denke, dass die Kunst einfach mächtiger ist», sagt er. Währenddessen bildet sich vor der Parkuhr eine kleine Schlange aus Leuten, welche diese beflissentlich mit Kleingeld füttern. Der Garten bleibt autofrei.

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