Kunst in der Verwaltung

Im Zuger Stadthaus läuft ein Countdown – bis zum Tod

Der Countdown läuft. Doch was passiert bei 0? (Bild: wia)

Dass die Stadt Zug nicht an Altem festhängt, sieht man nicht zuletzt an ihrer Kunstsammlung. Im Stadthaus befinden sich fünf Werke, die sonderbar, schön, aber auch schampar ungemütlich sind.

Die Stadt Zug verfügt seit den 1950ern über eine eigene Kunstsammlung. Darunter sind längst nicht nur Malereien und Fotografien, sondern auch Werke, in denen Künstlerinnen mit Neuen Medien wie etwa Videos arbeiten. Bewusst kauft die Stadt auch solche, die komplex sind und für den Betrachter womöglich unbequem. Die Werke, welche die Stadt Zug kauft, finden Zuger zu einem Teil im öffentlichen Raum. Ein weiterer Teil hängt im Stadthaus. Darunter sind insbesondere alle fünf digitalen Kunstwerke in ihrem Besitz. Zeit für einen Besuch.

Gleich im Eingangsbereich und somit für alle Besuchenden des Stadthauses sichtbar, hängt die «Astralschlaufe» des Künstlers Sandro Steudler. Es handelt sich um eine hängende, sich naturgemäss drehende Stahlplastik, die von einem Scheinwerfer beleuchtet wird und auf einer weissen Wand Schatten wirft. Dieser Schatten wirkt, je nachdem, wie die Skulptur beleuchtet wird, auffällig vertraut.

Der Kleine Grosse Wagen im Scheinwerferlicht

«Tatsächlich handelt es sich um einen 3-D-Druck des Sternbilds des Grossen Wagens, welcher der Künstler mithilfe einer wissenschaftlichen Astronomiesoftware fassbar gemacht hat», erzählt Patricia Gilliard von der Abteilung Kultur der Stadt Zug. Sie führt durch die Sammlung.

Ein weiteres Werk desselben Zuger Künstlers wird unweit davon, im Treppenhaus, sichtbar. Es handelt sich um zwei längs stehende Rahmen, in denen je ein Video zu sehen ist. Eine Figur, die einen Spiegelanzug mit mosaikhaften Teilchen trägt, steht auf dem Wurzelwerk eines Baumes, der verkehrt in der Erde steckt und bewegt sich langsam.

Wer allein im stillen Treppenhaus steht, vernimmt zudem undeutliche Laute aus den Bildschirmen. Es handle sich um Laute eines sogenannten Zwischenalphabets, indem phonetisch der Buchstabe zwischen zwei Buchstaben der herkömmlichen alphabetischen Reihenfolge gesucht werde. Der Künstler zerlegt. Er zerlegt die Sprache, ordnet neu. Dieses Element widerspiegelt sich wortwörtlich auch im Anzug des Mannes. Die Umwelt wird durch die winzigen Spiegel nur fragmentiert sichtbar. Das Element der Fragmentierung nimmt der Künstler beim gegenüberstehenden Werk von Ana Azpeitia auf. Sie «spinnt» in ihrem Werk ein Mosaik über die Wand und das Fenster des Treppenhauses.

Die Künstlerin Ana Azpeitia hat auf der blanken Wand ein Mosaik erschaffen. (Bild: wia)

Ein leises Gruseln im Treppenhaus

Ungemütlich wirds im nächsten Stockwerk. Im Treppenhaus hängen elf Smartphones horizontal aufgereiht, auf denen Zahlen sichtbar sind. Wer länger hinblickt, erkennt, dass es sich um einen Countdown handeln muss, die sich im Sekundentakt in Richtung Null bewegt. Doch Was passiert in 36 Jahren, 358 Tagen, 10 Stunden, 24 Minuten und 15, 14, 13 Sekunden? Die Antwort ist so schlicht wie morbid. Der Künstler stirbt.

Dies jedenfalls hat Matthias Moos unter Einbezug seines Lebensstils, seines Einkommens und Verhaltens sowie des allgemeinen Gemütszustands kalkuliert. Der Werktitel TTL 2019 steht für «Time to Live» und ist zweideutig. TTL, also «Time To Live» steht in der Informatik für einen Mechanismus, der die Lebensdauer von Daten in einem Netzwerk begrenzt. Damit wird verhindert, dass ein Datenpaket unendlich lange im Umlauf ist. Es handelt sich um ein ungemütliches Kunstwerk. Je nach Gefühlslage des Treppennutzers Memento Mori oder Carpe Diem.

Im Büro der Kulturabteilung der Stadt steht ein weiteres Werk des Künstlers. Eine verkabelte Plastikbanane, die ebenfalls einen Countdown anzeigt. Ein Knopf ermöglicht jedoch, diesen zu verändern. «Wofür der Countdown ist respektive, was passiert, wenn er bei null ist, ist uns nicht bekannt», sagt Gilliard. Dass dies wiederum ein ungemütliches Gefühl auslöst, dürfte ganz im Sinne des Künstlers sein.

Fröhliches, überwachendes Zwitschern

Dem Memento Mori die Stirn bietet ein lautes Zwitschern, das durchs Treppenhaus schallt. Zumindest vermeintlich. Es stammt von einem Vogelhaus, das über den Köpfen der Treppennutzer hängt. In unregelmässigen Abständen beginnt die Installation zu zwitschern. Bei jedem Zwitschern – es wird abgewechselt zwischen künstlichen und echten Vogelstimmen – verändert sich die Zahl am digitalen Zähler. Gruselig: das «Wand- und Treppenauge» registriert die Bewegungen im Treppenhaus. Doch nicht bei jeder Person, die hinauf- oder hinuntergeht, wird gezwitschert.

Das Zwitschern, das scheinbar willkürlich aus dem Kasten erklingt, sorgt für Freude, aber auch für Gruseln. (Bild: wia)

Das Thema Überwachung ist in vielen Werken Sens wiederzufinden. Mit dem Thema kennt sich der Künstler auch persönlich aus. Während der Fichenaffäre sammelte der Bund auch über ihn Informationen.

Nicht nur Mitarbeitende des Stadthauses dürfen sich ob den digitalen Kunstwerken in ihren Räumlichkeiten freuen respektive sich daran gruseln. Die Stadt Zug nimmt Interessierte, die sich voranmelden, auf Kunstführungen durchs Haus mit. Im Stadthaus finden sich neben den genannten digitalen Werken noch zig weitere. Weitere Werke der Stadt werden im Kulturgüterschutzdepot beim Parking Casino gelagert.

Nach diesen Kriterien wählt die Stadt Zug Kunstwerke aus

Der Ankauf von Werken untersteht bei der Stadt Zug klaren Kriterien. Eines davon ist die Professionalität. Dies bezüglich Ausbildung, künstlerischem Wirken als bezahlter Tätigkeit oder aber bezüglich dem Umfeld, in dem sich die Kunstschaffenden bewegen. Es bedarf also einer gewissen Anerkennung in der Branche, um anerkannt zu werden.

Weiter müsse die künstlerische Qualität gegeben sein. Dies insbesondere in den Punkten Originalität, Innovation, Eigenständigkeit und Kohärenz. Sind die Themen aktuell und relevant? Verfügen sie in der zeitgenössischen Kunstszene über Sichtbarkeit? Handelt es sich um Künstler mit lokaler oder regionaler Ausstrahlung? Last, but not Least: Gibt es nachvollziehbare Gründe, warum ein Werk oder eine Werkgruppe in den städtischen Besitz gelangen soll? Werden diese Kriterien erfüllt, kann die Stadt ein Bild, eine Installation, ein Video kaufen.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Anfrage bei der Abteilung Kultur der Stadt Zug
  • Führung durchs Stadthaus
  • Artikel in «Zug Kultur» zu städtischen Kunstsammlung
  • Dokument über die Kriterien zum städtischen Kauf von Zuger Kunstwerken

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