Er lässt Roger Köppel ein Velo zeichnen, wird von der Polizei festgenommen und durchquert im weissen Cabrio die USA. Die neue Dokumentation eines Luzerner Filmemachers hat es in sich.
Fabian Biasio zielt mit einer Flinte auf den wütenden Fahrer hinter dem Seitenfenster. Dann drückt er ab und die Scheibe zerspringt. Mit einem Schlüssel zerkratzt er ein Auto. Und sticht mit einem Klappmesser in die Reifen eines Jeeps. Diese Szenen stehen für einen einfachen Gedanken:
«Jedes Mal, wenn ich mit dem Velo durch die Stadt fahre, werde ich wütend.» Das sagt Fabian Biasio aus dem Off. Die Kamera ist auf ihn gerichtet, mit Helm und Warnweste auf seinem Velo. Sein Gesicht ist wie versteinert. «Ich bin ein Autohasser», konstatiert er, umringt von Autos auf der Seebrücke in der Stadt Luzern.
Dokfilm «Automania» thematisiert einen inneren Konflikt
Doch schnell wird dem Zuschauer klar, dass da mehr ist. Denn der Filmemacher und Hauptprotagonist in seinem Dokumentarfilm «Automania. Von A nach B» liebt auch das Autofahren. «Schaurig gern» sitze er am Steuer, lasse seine Musik laufen, während die Landschaft vorüberzieht, schwelgt der Luzerner. Doch wie passt das zusammen: Autos hassen und Autofahren lieben?
Diese Frage ist der Startpunkt einer 77-minütigen filmischen Reise voller Gefühle. Wut, Liebe, Begehren, Sehnsucht, Nostalgie, Trauer, Versöhnung. In jeder Einstellung und an jedem neuen Ort keimt eine Emotion. Zum Beispiel auf der deutschen Rennstrecke am Nürburgring, wo Männer in Trainerhosen Autos und Sex gleichsetzen, während im Film Gestöhne eingespielt wird.
«Automania» ist der dritte Dokumentarfilm des Filmemachers und Fotografen Fabian Biasio. Für die Abschlussarbeit seines Masterstudiums Film an der Hochschule Luzern, ein Relikt der Coronazeit, habe er sich weit aus dem Fenster gelehnt, erzählt der 49-Jährige Luzerner auf einem Sessel in seinem Atelier im Bruchquartier. Dort finden sich erste Indizien für seinen Konflikt.
Auf einem stylischen Metallschrank liegt ein teurer Velohelm. Mit einem Magneten hängt das Bild eines roten Volvo 240 an der Tür. Die Limousine sei das erste und letzte Auto, dass Biasio je besessen hat, steht auf dem Textchen auf der Rückseite. Es handelt sich um Biasios letzte Weihnachtskarte an Bekannte und Familie. Das Thema: Sein neuster Film als «Herzensprojekt» – für das er vorübergehend ein Auto brauchte.
Fabian Biasio reist um die Welt und ins Zentrum der Schweizer Politik
«Auto» sei sein erstes Wort gewesen, sagt er im Film. Fast gleich alt sei allerdings sein Autohass. Einen Mittelfinger zeigte Fabian als Bub auf dem Velo einem vorbeirasenden Autofahrer. Dieser hielt an und drohte mit Schlägen. Eine von mehreren Erinnerungen, die es in «Automania» geschafft haben, mit seinem Sohn als Hauptdarsteller.
Freiheit und Sehnsucht findet Biasio in den USA, die er drei Wochen bereiste, um das «Autofahren in seiner vollen Obszönität zu erleben», wie er heute sagt. 2500 Kilometer fährt er in einem weissen Cabrio durch ein Land, das für «Autos gebaut» sei, ein Land ohne «Autoscham». Dort trifft er Menschen, die ihm aufrichtiges Mitleid zeigen, wenn er erzählt, in seiner Heimatstadt Luzern kein Auto zu besitzen.
Humor wartet in der Galerie des Alpes, der Wandelhalle im Bundeshaus, in der rechte Nationalräte für den Filmemacher Velos zeichnen müssen. Die SVP-Politiker Mauro Tuena und Roger Köppel unterbieten sich in der Quadratur des Kreises. Mit einem funktionstüchtigen Velo haben ihre Bilder wenig gemeinsam. Was viel sagt über ihre Prioritäten. Als Zuschauer von «Automania» lacht man herzhaft.
Aktivismus auf der Pilatusstrasse sorgt für Aufregung
Dann folgt die Angst. Fabian Biasio läuft bei einem Guerilla-Dreh in die Hände der Polizei. In Wien hat sich der Suchende von Hermann Knoflacher, einem der kreativsten Verkehrsplaner seiner Zeit, das «Gehzeug» erklären lassen. Ein Holzgestell, getragen auf den Schultern eines Fussgängers, als Symbol für den Platzverbrauch eines Autos. Biasio nimmt die Idee mit nach Luzern.
Nun kramt der Filmemacher hinter seinem Schreibtisch nach einem Polizeibericht. 520 Franken Busse und Gebühren, weil er im Mai 2023 vom Pilatusplatz zum Bahnhof lief, das «Gehzeug» umgeschnallt als Akt des Aktivismus gegen das Autoregime der Städte. Es habe ihn Mut gekostet, sagt der Vater im Atelier. «Ich bin auch keine 20 mehr, ich habe zwei Kinder.»
Es ist die ikonischste Szene des Films und sie zeigt, wie ehrgeizig der Filmemacher sein Projekt vorangetrieben hat. Ein 300'000-Franken-Projekt, das nur etwa zur Hälfte extern finanziert und gefördert wurde, für das er jahrelang kostenlos arbeitete und viel Gratishilfe von Mitstudenten erhielt. «Jetzt ist mein Leck-mich-am-Arsch-Konto aufgebraucht», sagt Fabian Biasio ehrlich und hofft, die Kino-Vorstellungen werden zum Erfolg. Primär gehe es ihm aber um eines: Die Zuschauer unterhalten.
Das erwartet die Zuschauer von «Automania»
Und die werden unterhalten: Von Autoposern, die hinter dem Gütsch-Hotel über der Stadt Luzern «Donuts» fahren, von einer Fahrt mit Mauro Tuenas Limousine durch Zürich, von Monstertrucks und endlosen Weiten in einem Cabrio wie aus der Autowerbung. Und auch von einem Besuch bei einer verdutzten Verkehrspsychologin, die nicht fassen kann, warum der Filmemacher bei ihr aufkreuzt.
Wo kann man den Film sehen?
«Automania» wird erstmals am 3. November im Rahmen von «Sneaky Sunday» im Riffraff in Zürich als Vorpremiere gezeigt. Die offizielle Premiere ist am 13. November im Bourbaki in Luzern. Der Film läuft ab 14. November im Tagesprogramm der Neugasskinos Riffraff/Houdini in Zürich und Bourbaki in Luzern. Dazu gibt es eine Roadshow mit zahlreichen Filmvorführungen in verschiedenen Schweizer Städten.
Doch auch die traurige Wahrheit thematisiert «Automania». Dass nämlich der Konflikt zwischen Velos und Autos für eine Seite regelmässig tödlich endet. Hier soll der «Trip» zum «Horrortrip» werden, erklärt der Filmemacher. Die filmische Lösung bieten ihm Experten von Paris bis Wien mit ihren Visionen einer Stadt der Zukunft. Als Lebensraum für Lebewesen und nicht für Maschinen.
Seine Anfangsfrage – warum liebt ein Autohasser Autofahren? – kann Fabian Biasio am Ende nicht beantworten. Muss er vielleicht aber auch nicht: Denn den Konflikt zwischen Gewohnheit und Gefühl, zwischen gesund und bequem kennen viele Menschen. Und manche Widersprüche bleiben eben Widersprüche.
- Gespräch mit Fabian Biasio
- Website des Films «Automania»