Nina Hagen verwirrte in Cham

Fremde Lieder sind der neue Punk

Nina Hagen am Samstag in Cham – während einer ihrer Brecht-Ausführungen.

(Bild: lli)

Die «Godmother of Punk», die skandalverursachende Aktivistin, die durch und durch schräge Persönlichkeit Nina Hagen spielte am Samstagabend im Lorzensaal in Cham. Und zeigte, dass Punk heute nicht mehr dasselbe ist.

Die Veranstaltungsreihe «Live in Cham» ist bei Einheimischen längst ein Fixpunkt im Jahreskalender. Zwischen sechs und acht Konzertabenden programmiert die Leitung übers Jahr. Obwohl musikalisch meist in der Blues-Rock-Ecke zu verorten, gab es an diesem Samstagabend einen ganz besonderen Leckerbissen: die Vorreiterin der NDW und Mutter des Deutsch-Punk Nina Hagen.

Alleine die Ankündigung ihres bevorstehenden Auftritts liess die Herzen einer ganzen Generation höher schlagen. Mit knapp 800 verkauften Tickets war der Lorzensaal ausverkauft und im Publikum reihten sich Stepp-Jacken an Lederjacken, elegante Schals an Strickpullis, Bikerboots, Stögelischuhe, Sneakers und Sandalen, ergraute Köpfe, trendige Frisuren und ein paar vereinzelte buntgefärbte Strähnen. Jung und alt, Bünzli und Freigeister versammelten sich im Saal und warteten gespannt auf das Phänomen Nina Hagen.

Warten brauchte man allerdings nicht. Bereits zehn Minuten vor dem offiziellen Konzertbeginn stationierte sich die Sängerin mit ihrer vierköpfigen Band auf der Bühne und begann «Das Lied vom Weib des Nazisoldaten» (Hanns Eisler) zu spielen.

«Die Besucher waren ganz offensichtlich nicht aus Gründen der Horizonterweiterung anwesend, sondern um in Nostalgie zu schwelgen.»

Hommage an Brecht

Die Stimme so rauchig und tief wie eh und je, die schwarzen Haare hochtoupiert, bunte Leggins und Blümchenumhang – Nina Hagen präsentierte sich genau so, wie man sie seit Jahrzehnten in Erinnerung hat. Manchmal mit Gitarre in der Hand, leicht freitonal und ungewollt polyrhythmisch, sperrte sie ihre Augen auf, rollte das «R» wie in vergangenen Zeiten und gestikulierte die dramatischen Texte.

Eher überraschend waren die anekdotischen Einlagen zwischen den Liedern. Zwischen jedem Song erzählte die Berlinerin aus ihrer Biografie, von ihrer Jugend, ihren Reisen und landete jedes Mal unweigerlich bei Berthold Brecht. Dass die 62-Jährige ein bewegtes Leben und darum viel zu erzählen hat, stiess beim Publikum auf viel Verständnis. Ihre ausschweifenden Brecht-Ausführungen eher wenig.

Nina Hagens Auftritt war dramatisch wie eh und je.

Nina Hagens Auftritt war dramatisch wie eh und je.

(Bild: lli)

Während einer durchaus poetischen, wenn auch langgezogenen, Einlage aus Brechts Hörspiel «Das Verhör des Lukullus» wurden im Publikum Rufe nach Musik laut, andere holten Getränke an der Bar oder begannen zu schwatzen.

Die Besucher waren ganz offensichtlich nicht aus Gründen der Horizonterweiterung anwesend, sondern um in Nostalgie zu schwelgen und sich wieder jung zu fühlen. Sobald dann aber die Musik wieder erklang, begannen die Köpfe und Knie zu wippen als wäre nichts gewesen.

«Sie kann von mir aus auch ‹blabliblu› singen – Sie ist Nina Hagen, für mich reicht das vollkommen.»

Besucherin während des Konzerts zur Autorin

Mit fremden Federn geschmückt?

Nach knapp einer Stunde Musik und einem Blick auf die Notizen fällt auf, dass bis anhin zwar gefühlt alle grossen Dichter der deutschen Vergangenheit zitiert und gesungen wurden, was aber fehlte, war das, wofür man eigentlich gekommen ist: die Musik von Nina Hagen. Kein «African Reggae», kein «Farbfilm», kein «Universelles Radio». Stattdessen Eisler, Weil, Claudius und Beethoven, frei interpretiert und doch klassisch geblieben.

Zwischendurch erzählte Hagen auf der Bühne noch von Rosetta Tharpe und Janis Martin, den «Erfinderinnen des Rock’n’Roll», wie sie sie nennt. Und sie versuchte sich an eher holprigen Coverversionen. Holprig vorallem, weil Hagen sich anscheinend weder an Abmachungen von den Proben noch die gängigen Stilmittel der Songs hielt.

Den Blick starr auf die Sängerin fixiert, versuchten die Musiker innert Sekunden rauszufinden, was sie vorhatte. Sie versuchen zu folgen und den Liedern Leben einzuhauchen, bis Hagen den Song abbrach. «Spielt doch nicht so laut, da hört man ja gar nicht was ich singe», warf sie den Musikern an den Kopf und begann das Lied von vorne.

Das war eben Punk

Nach knapp zwei Stunden war das Konzert vorbei, Hagen ging mit ihren Musikern unter grossem Applaus von der Bühne, und das Licht ging an. Scheinbar leicht verwirrt strömten die Besucher aus dem Lorzensaal und fragten sich, was das denn nun gerade war.

Unweigerlich drängte sich die Vermutung auf: Das war nun eben «Punk». Jenseits von Konventionen und Erwartungen des Publikums, spielte Hagen Lieder, die ihr am Herzen liegen, sprach über Krieg und Frieden (und UFOs), egal ob das Publikum Interesse zeigte. Und sie verschwand in dem Moment von der Bühne, als sie genug hatte.

Ganz wie es sich für die «Godmother of Punk» ziemt. Oder wie eine Besucherin sagte: «Sie kann von mir aus auch ‹blabliblu› singen – Sie ist Nina Hagen, für mich reicht das vollkommen.»

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