Wie das Werk in der aktuellen Fassung sein könnte

«Ex Voto»: So muss die filmische Hommage an Zug heute aussehen

Klosterschwestern am Heuen auf dem Gubel in Menzingen.

(Bild: langjahr-film.ch)

Im Zuger Kino Seehof wurde am Dienstag ein Film von Erich Langjahr aus dem Jahr 1986 aufgeführt. Dutzende von Leuten blieben im Regen stehen, weil das Kino aus allen Nähten platzte. Wie zeitgemäss ist «Ex Voto» noch, und wie sähe denn eigentlich die aktuelle Fassung aus?

Würden Sie erst 15 Kilometer marschieren, um ins Einkaufszentrum Zugerland zu gelangen? Möchten Sie im hochgeschlossenen schwarzen Kleid Sport treiben und hart arbeiten? Nein? Doch genau dies tun die Personen in Erich Langjahrs filmischer Ode an Zug.

In seinem Dokumentarfilm «Ex Voto» schnürt die Bäuerin Trudi Hegglin auf dem Gubel bei Menzingen die Bergschuhe, bevor sie in die Lorzenebene hinabsteigt. Und die Schwestern des Klosters Maria Hilf schwitzen in ihrer Ordenstracht, während sie das Heu rechen.

Fortschritt als Fluch und Segen

Unbarmherzig fressen sich Bagger in die Moräne des Kreuzhügels und hinterlassen klaffende Wunden in der sanften Hügellandschaft von Neuheim. Sie sind das filmische Bild für Ausbeutung, aber auch für wirtschaftliches Gedeihen. Der Kiesabbau steht für die rasche Umgestaltung des Zugerlands von einer ländlichen Idylle zu einem gesichtslosen vorstädtischen Siedlungsbrei. Fortschritt und Wohlstand bedeuten Veränderung – zum Guten wie zum Schlechten.

Der in Zug aufgewachsene Dokumentarfilmer Erich Langjahr (geboren 1944) drehte das Meisterwerk in den 1980er-Jahren und hielt damit ein Stück der Welt fest, die er aus seiner Jugend noch kannte. Eine Welt, in der es Bauern gab, Gewerbler und einige wenige Industriebetriebe, wie etwa die Metallwarenfabrik in Zug, in der Langjahrs Vater Personalchef war. Oder die Stromzählerfabrik Landis & Gyr, in welcher der halbe Kanton sein Auskommen fand.

Erich Langjahr am Schneidetisch in seinem Atelier in Root.

Erich Langjahr am Schneidetisch in seinem Atelier in Root.

(Bild: zvg)

100 müssen wieder heim

Die Bäuerin aus dem Film ist mittlerweile gestorben, aus der Metallwarenfabrik entstand das Einkaufszentrum Metalli und Landis & Gyr, der industrielle Stolz einer ganzen Region, ist längst verkauft und ausgeweidet. Dennoch war am Dienstag das Kino Seehof restlos ausverkauft, als Langjahrs restaurierter und digitalisierter Film das erste Mal in Zug wiederaufgeführt wurde. Etwa 100 Leute erschienen gar umsonst und mussten wieder abziehen, weil es keine Karten mehr gab.

Zwar wird der Kreuzhügel wieder aufgefüllt wird und die Nonnen auf dem Gubel sind längst nicht mehr mit Heuen beschäftigt. Doch viele der Leute, die vor 32 Jahren im Kanton wohnten, sind immer noch da – oder mindestens ihre Nachkommen. Deshalb sei die Frage erlaubt, wie man den «Heimatfilm», wie Langjahr das filmische Denkmal für die Landschaft seiner Jugend nennt, heute drehen würde.

So viel hat sich nicht geändert

Der überraschende Befund: Wohl nicht viel anders als 1986. Weil die Landschaft, die Langjahr in langen Einstellungen feiert, eben nach wie vor die Identität prägt. Zwar ist die überbaute Fläche seither in erschreckendem Ausmass angewachsen, aber die Moränenhügel haben nichts von ihrem Reiz verloren.

Und nicht einmal der Kiesabbau als Metapher für Veränderung hat an Aktualität eingebüsst, seit im Gebiet Hatwil und Hubletzen eine neue Kiesgrube auf der grünen Wiese die Gefühle in- und ausserhalb  der Gemeinde Cham hochkochen lässt.

Kiesabbau in den 1980er Jahren: Hier in der Grube Betlehem in Neuheim. (Bild: langjahr-film)

Kiesabbau in den 1980er Jahren: Hier in der Grube Betlehem in Neuheim. (Bild: langjahr-film)

Wir können kein Blut sehen

Was indes den Kinobesuchern heutzutage kaum mehr zugemutet wird, sind Schlachtszenen. Die singende Bäuerin Trudi Hegglin prügelt im Film einen Hasen mit einem Stock zu Tode – und später wird auch noch eine Geiss mit einem Gewehr hingerichtet. «Als ich fünf Jahre alt war, musste ich das mitansehen», sagt Langjahr im Off. Und zeigt so, wie schnell sich unsere Gesellschaft vom bäuerlichen Leben entfernt hat.

Ausserdem wird im Film oft gebetet. Bildstöckli und Kirchen kommen dauernd vor. Langjahr lässt einen grossen Teil des Films am und um den Gubel herum spielen – nicht nur, weil dort die wunderbare Trudi Hegglin lebt. Sondern, weil dort auch das Kloster der ewigen Anbetung steht.

Gubel: Bollwerk der Katholiken

Errichtet wurde es im 19. Jahrhundert, als anderswo Klöster aufgehoben wurden – ein Bollwerk gegen den Fortschritt und die Protestanten. Ein Sieg der Katholiken über die reformierten Zürcher in den Religionskriegen wird auf dem Gubel in einem Deckengemälde ebenfalls zelebriert.

Langjahr selbst stammt aus reformiertem Haus und hat «katholisch Zug» in seiner Kindheit noch voll mitbekommen. «Ich war so neidisch, in einem katholischen Kanton aufzuwachsen, ohne selbst katholisch zu sein», sagt er im Film.

Das Defilee von Emmen

Dies hat sich gründlich geändert. Zwar sind die Reformierten immer noch eine kleine Minderheit, doch es ist herzlich egal geworden, welcher Konfession man angehört. Volksfrömmigkeit ist kaum mehr sichtbar. Langjahr nimmt den Umbruch in seinem Film voraus, als er den Abbruch einer barocken Kapelle im luzernischen Sankt Erhard ins Bild rückt.

 

Ebenfalls aus dem Bild der Öffentlichkeit verschwunden ist das Militär. In «Ex Voto» zeigt Langjahr marschierende Füsiliere und kampfbereite Panzerhaubitzen – Bilder von einer Militärparade der Schweizer Armee in Emmen im Jahre 1981. Es war das letzte grosse Defilee der eidgenössischen Streitkräfte.

Neue Embleme sind unbeständig und unsichtbar

Man könnte sich nun fragen, ob ein zeitgemässer Zuger Heimatfilm nicht die Embleme der neuen Zeit zeigen sollte – den neuen Mammon, das Geld. In seiner jüngsten Ausprägung vielleicht am besten im Crypto Valley zu sehen mit seinen ICOs, wo Dutzende von Millionen Franken gescheffelt werden.

Doch Hand aufs Herz: Was sind Envion oder Tezos mehr als ein Namen auf einem Briefkasten, auf Aktenbündeln, ausserdem viele Dateien und ein paar Server? Sie prägen die Landschaft ebenso wenig wie die Heerscharen von Expats an den Hängen des Zugerbergs, die nach einigen Jahren wieder weiterziehen.

Originale gibt es auch heute noch

Die Bildstöckli und Klöster stehen indes stehen immer noch, auch wenn die betagten Schwestern im Gubel bei der ewigen Anbetung auf fremde Hilfe angewiesen sind und nicht mehr mit der Heugabel über die Wiesen ziehen.

Wie einst Langjahr träumen auch heute junge Männer davon, Offizier in der Armee zu werden. Für die Mehrheit der andern ist der bewaffnete Dienst fürs Vaterland immer noch Realität. Und auch Leute wie die singende Bäuerin gibt es noch. Man trifft sie in den Zuger Besenbeizen und den Jausestationen – wenn man für einen Spaziergang und einen Schwatz rausgeht aus der Stadt.

Trudy Hegglin.

Trudi Hegglin.

(Bild: langjahr-film.ch)

Schön und hässlich zugleich

Deswegen kann ein moderner Zuger Heimatfilm gut wieder so werden, wie vor 32 Jahren «Ex Voto». Ein filmisches Gedicht über ein Land im Umbruch. Wo das Stangengewirr der Baugespanne eine Blumenwiese verunziert, ein Bauer in der Idylle Chemikalien gegen Pilzbefall spritzt und Leute auf Baustellen starren, aus denen neue Häuser in den Himmel wachsen. Schön und hässlich zugleich – aber eben so, wie es war und wie es immer noch ist.

So erklärt sich auch der Titel von Langjahrs Film: «Ex Voto». Der Ausdruck bezeichnet den Dank für ein erfülltes Gelübde: Wenn man eine höhere Macht um etwas bittet, und dies eintrifft. «Ich wohne hier und ich bleibe hier», sagt Langjahr zum Schluss. «Ich habe nur den Vater, den ich habe. Und ich habe nur das Vaterland, das ich habe. Für diese Einsicht danke ich meiner Heimat.»

«Ex Voto» – wo schauen?

Zur der digitalisierten Fassung von «Ex Voto» gibts verschiedene Film-Premieren: Kino Rex Bern, Mittwoch, 5. Dez., oder in Einsiedeln: Cineboxx, Sonntag, 9. Dez., 11 Uhr. Ausserdem läuft der Film am Donnerstag und kommende Woche im Zuger Kino Seeehof 2, jeweils um 15 Uhr, am Wochenende auch im Kino Bourbaki, Luzern, oder verschiedentlich im Mythenforum, Schwyz.

Der Gubel.

Der Gubel.

(Bild: langjahr-film.ch)

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