Luzerner Splätterlitheater goes Shakespeare

Eine Ode an das Blut und andere Körpersäfte

Auftakt des Stücks im Südpol mit Musiker Nico Feer.

(Bild: jwy)

Das Splätterlitheater ist wieder los – und damit die kindliche Freude an der derben Gewalt. Erstmals wagt sich das Trash-Puppentheater an einen Shakespeare-Klassiker. Die Mundartfassung spielt in der alles andere als heilen Bergwelt von Anusblietschwil.

Kaum zu glauben: Schon zwölf Jahre alt ist das blutrünstigste Schweizer Puppenspiel. Aber in der Pubertät war es eigentlich schon immer. Jetzt feierte die neuste Produktion des Splätterlitheaters Premiere im Luzerner Südpol: «Titus – Metzgete in Anusblietschwil».

Damit wagt sich das «Puppentheater für Hartgesottene» nach sieben abendfüllenden Produktionen und einem Kinderstück 2014 erstmals an einen Klassiker: «Eine Blut-Dramödie für Puppen und Strippenzieher» – frei nach William Shakespeares «Titus Andronicus».

Es ist die brutalste und opferreichste Tragödie des englischen Dramatikers, eine perfekte Vorlage also für das Splätterlitheater. Das Stück treibt die Gewalt auf eine neue Spitze – und setzt auch punkto Aufwand neue Massstäbe. Zugleich nützen sich die Effekte mit der Zeit etwas ab, doch dazu später.

Strategische Platzwahl

Die Premiere in der mittleren Südpol-Halle war am Dienstagabend proppenvoll. Wo soll man sich hinsetzen, um möglichst wenig des reichlich spritzenden Bluts abzubekommen? Nicht alle Plätze eignen sich diesbezüglich gleich gut: Köpfe werden eingezogen, Jacken schützend vors Gesicht gehalten. Splätterlitheater 2017: Das ist natürlich wieder eine herrlich pubertierende Ode an Gewalt, Sex und Fäkalsprache. Shakespeare hätte es gefallen.

Ja, Köpfe müssen dranglauben im Splätterlitheater.

Ja, Köpfe müssen dranglauben im Splätterlitheater.

(Bild: zvg)

Das Splätterlitheater hat das Shakespeare-Stück in ein Schweizer Bergdorf verfrachtet. Die gelungene Mundartadaption stammt vom gefragten Luzerner Theaterautoren Dominik Busch (hier unser Interview mit ihm).

Ein konstantes Live-Handyvideo beamt niedliche Miniaturen auf eine Leinwand und bietet so die wechselnde Kulisse. Als Erstes muss Chasperli himself dran glauben – er bekommt es gleich mit allen erdenklichen unappetitlichen körperlichen Säften zu tun, wird sich aber im Verlauf des Stücks noch als äusserst zäher Bursche erweisen.

Ein Diktatorenhotel in den Bergen

Auf der Bühne sitzt auch Nico Feer (u.a. Baby Jail und Admiral James T.), der auf seiner Gitarre, mit Mikrofon und vielen Effekten eindrucksvolle Sounds und Geräusche live beisteuert. Er spielt daneben einen herrlichen IS-Selbstmordattentäter mit breitestem Ostschweizer Dialekt.

Das Stück

«Titus – Metzgete in Anusblietschwil» des Splätterlitheaters ist eine Koproduktion von Südpol Luzern und Schlachthaus Theater Bern. Weitere Vorstellungen im Südpol: Do 9., Fr 10. und Sa 11. März, 20 Uhr, So 12. März 18 Uhr.

Spiel, Puppenbau, Bühne, Kostüm: Nina Steinemann, Patric Gehrig, Jürg Plüss. Spiel, Musik und Tontechnik: Nico Feer. Stücktext: Dominik Busch. Regie: Christoph Moerikofer. Technik: Onsja S. Egli, Sandro Baranzelli. Spezialeffekte: Oliver Villforth. Produktion: Michael Röhrenbach

Aber worum geht’s eigentlich? Wir sind im Schweizer Bergdorf Anusblietschwil mit dem abtretenden Gemeindepräsidenten Titus Andermatten (Patric Gehrig). Georges Göppel (Jürg Plüss) macht ihm das Amt streitig und baut das Grand Hotel Göppel: einen Wellness-Tempel mit Golfplatz für die Diktatoren und Oligarchen dieser Welt. Dafür muss er seinem Vorgänger das Ackerland abluchsen.

Doch Andermatten geht den Deal nur ein im Tausch gegen die Hand seiner überaus hässlichen Tochter Lawinia (Splätterli-Urgestein Nina Steinemann). Dieser Deal bekommt dem Göppel gar nicht gut – es folgt eine Kotzorgie. Und meine Güte, wie er kotzt – theatralisch vom Feinsten. (Essen Sie vielleicht was Leichtes vor dem Stück.) Doch Göppel ist ein Fuchs, er hintergeht den Deal und will stattdessen Tamora, eine thailändische Dorf-Nutte, an seiner Seite.

Lüge, Rache, Schändung

Das Feld ist abgesteckt für einen knapp 1,5-stündigen Schlagabtausch voller Lüge, Rache, Schändung und tja, viel Blut. Weil: «Blut ist ein besonderer Saft», erklärt das Splätterlitheater.

Köpfe rollen, Hände geraten in Häckselmaschinen, es wird geleckt, gefrönt und gedemütigt. Chasperli verliert sein Gehirn und Rehe werden zu einer leckeren Pastete verarbeitet – und leider nicht nur diese.

Von links: Jürg Plüss, Patric Gehrig und Nico Feer.

Von links: Jürg Plüss, Patric Gehrig und Nico Feer.

(Bild: jwy)

Schliesslich endet das Ganze mit der feierlichen Eröffnung des Grand Hotels – unter anderem mit einem osmanischen Fest und einer Schmäh-Einlage, die jeden diktatorisch veranlagten Staatsmann in die Weissglut treiben würde. Wenn er’s denn sehen könnte. Spätestens hier wird auch der politische Anspruch des Stücks deutlich.

Einen Tick zu lang geraten

Alles in allem überwiegt das Derbe: Wie in Splatterfilmen werden die Gewalt und die drastische Darstellung ad absurdum geführt – alles ist gewollt überzeichnet. Das Trash-Puppentheater zelebriert seine kindliche Freude am Extremen und treibt die Gewalt auf die Spitze. Schade ist: Das Stück ist einen Tick zu lang geraten, gegen Ende nützen sich die Effekte merklich ab und es verliert an Fahrt, statt anzuziehen.

Immer wieder setzt der Sound Glanzpunkte, die Live-Videokulisse sorgt für erhellende Szenen- und Perspektivenwechsel. Die Bühne, Kostüme und Effekte sind vom Feinsten. Es soll hier nicht zu viel vorweggenommen werden, aber dass es im Stück für sämtliche Beteiligten ziemlich übel endet, weiss man schliesslich seit dem 16. Jahrhundert.

Am Schluss knallt’s und raucht’s in der Südpol-Halle, man schaut auf das Gemetzel und reibt sich die Augen. Langer Schlussapplaus für diese schauspielerische Glanzleistung in der hohen Kunst des Blödsinns.

Ist der Ruhe nach dem Sturm zu trauen? Vorsichtig bahnen sich die Zuschauer danach ihren Weg zwischen Blutlachen und Erbrochenem aus dem Grand Hotel, das zu einem Moloch verkommen ist. Erst mal ein kaltes Bier an der Bar kann jetzt nicht schaden.

Und hier noch ein Probenschnappschuss auf Facebook:

 

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