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«Lehman Brothers»: Die Pleite der Bank löste 2008 die Finanzkrise aus. Jetzt erzählt das Luzerner Theater die Geschichte der Lehman-Dynastie, von Rimpar bei Bayern bis an die Wall Street. Es ist ein Familiendrama ohne Intrigen – und mit Längen.
Die Geschichte der Lehman Brothers ist relativ schnell erzählt: Drei Brüder aus Rimpar bei Bayern arbeiten sich in typisch amerikanischer Tellerwäscher-wird-Millionär-Manier von einfachen Textilhändlern zu den Besitzern einer der grössten Banken der Welt hoch. Ihre Erben verlieren alles wieder und sind Mitauslöser der Finanzkrise von 2008.
Dass der Italiener Stefano Massini daraus ein fünfstündiges Epos macht, ist gewagt. Vor allem, da er sich bewusst nicht in die reisserischen Gefilde à la «Wolf of Wallstreet» begibt. Der eigentliche Untergang der Bank ist dem Autor gerade mal eine kurze Szene wert, ohne Dialoge, Erklärungen oder Lösungen.
Die Inszenierung unter der Leitung des Regisseurs Matthias Kaschig, die am Freitag am Luzerner Theater Premiere feierte, ist eine gekürzte Fassung. In knapp dreieinhalb Stunden erzählen die Schauspieler auf der Bühne die Geschichte der Lehmans.
Die Geschichte einer Dynastie
Angefangen mit Hayum «Henry» Lehmann (Gastspieler Felix Knopp), der 1844 nach Amerika, genauer Alabama, übersiedelt. Gefolgt von Emanuel Lehman (Jörg Dathe) und Mayer Lehman (Bettina Riebesel), die Lehman Brothers gründen und inmitten inniger Zankereien schnell dem Ruf des Geldes erliegen. Es folgen Hochzeiten, Geschäftsexpansionen, der Amerikanische Bürgerkrieg, auf den hin Mayer Lehman die Bank «Lehman Brothers» gründet.
Er investiert in Baumwolle, Kaffee, die Eisenbahn und dann rückt die nächste Generation nach: Robert Lehman (Gastspieler Marcus Signer), der seinem alt gewordenen Vater erzählen muss, dass man Anfang 20. Jahrhundert besser in Flugzeuge investiert, und sein Cousin Herbert Lehman (Hans-Caspar Gattiker), der lieber in der Politik Karriere macht. Unaufhaltsam vergeht die Zeit, lösen sich Patriarchen als Oberhaupt der «Lehman Brothers» ab und gleichzeitig rückt das Ende, das wir alle kennen, näher.
Keine Seifenoper
Anstatt nun wie eine Soap-Opera mit Intrigen und Machtkämpfen um sich zu werfen, wählt die Inszenierung einen anderen Weg. Die Schauspieler erzählen fast öfter, als dass sie spielen, chronologisch diese Geschichte. Untermalt wird ihre Erzählung von der Musik Michael Freis, der mit seiner Weissenborn-Gitarre das Südstaatenflair Alabamas heraufbeschwört.
Die Spieler kommentieren ihr eben Gesagtes in der dritten Person und wechseln dann in Windeseile die Rollen – mal sind sie Lehmans, dann sind sie Sklaven, dann potenzielle Bräute, dann ein Rabbi. Dann wird getanzt, einer beerdigt, und zwei Sätze später steht er wieder da, nur diesmal als ein anderer, unterstützt durch spärlich eingesetzte Kostüme (Stefani Klie), und die Geschichte beginnt wieder von vorn.
Trickkiste hält uns bei Laune
Das Stück lebt von seiner Länge. Würde man dieselbe Geschichte in eineinhalb Stunden abhandeln, wäre das Ergebnis wohl mässig interessant. Erst durch das fast schon repetitive Scheitern einer jeden Generation der Lehmans, die von ihren eigenen Kindern in den Ruhestand geschickt werden, entfaltet sich die volle Wirkung dieses Stückes. Und jede Generation scheint noch ein wenig grössenwahnsinniger und gieriger zu sein als die vorherige. Das gipfelt in einem psychedelisch-grotesken Todestanz des letzten Lehmans, der live und in Farbe über die ganze Bühne wirbelt (Video: Sebastian Pircher/Roman Kuskowski).
Um die Zuschauer aber bis dahin bei Laune zu halten, musste Kaschig mit seinem Team in die Trickkiste greifen. So durchziehen komödiantische Einlagen, Wortgefechte, türknallende Hochzeitskleider und tote Ehefrauen, die live an die hintere Bühnenwand projiziert werden, den ersten Akt.
Solche Spielereien zogen leider nicht immer. So freute ich mich richtig, wenn das aus Kartonschachteln gebaute Bühnenbild (Michael Böhler), angelehnt an die Bilder der entlassenen Lehman-Angestellten, die 2008 unter Blitzlichtgewitter ihr Büro an der Wallstreet räumten, weiterwuchs und so die nächste Ära einläutete.
Es ist eine Leistung, ein solch langes und eigentlich unspektakuläres Stück zu spielen. So verwundert es nicht, dass nicht nur das Publikum, sondern auch das Ensemble manchmal mit der Konzentration zu kämpfen hatte und der dringend notwendige Schwung verloren ging. In solchen Momenten konnte der Zuschauer sich in sich selbst zurückziehen und, wie es sich für ein Epos gehört, sich und seine Haltung hinterfragen.
Aufführungen: 17./21./23. April, 4./7./28./29. Mai, 13. Juni im Luzerner Theater.