Das LSO lud zu Beethoven auf dem Pilatus

Ein klassisches Höhentraining

Pianist Oliver Schnyder beim Matinée-Konzert auf dem Pilatus.  (Bild: Ingo Höhn)

Der Pianist Oliver Schnyder und das Luzerner Sinfonieorchester luden zum Gipfeltreffen auf den Pilatus. Mit einem reinen Beethoven-Programm, weit über der Zentralschweizer Wolkendecke. Eine Werkstatt mit Aussicht.

«Gipfel. Meisterwerke. Aussichten»: So verspricht es das Marketing des Luzerner Sinfonieorchesters für die kommende Saison 16/17, die offiziell am Mittwoch, mit dem Gastspiel Martha Argerichs im KKL beginnt (zentralplus wird berichten).

Meisterwerke gibt es nicht selten in Luzern zu hören, wozu unter anderem das LSO beiträgt. Die Gipfel und Aussichten hier aber wörtlich zu nehmen und fünf Streicher des Orchesters zusammen mit dem Pianisten Oliver Schnyder auf dem Pilatus auftreten zu lassen, ist ein wirklich aussergewöhnliches Projekt. Einen Vorgeschmack lieferte schon die Ankunft des Konzertflügels auf der Kulm.

In über 2000 Metern Höhe bieten sie an drei Wochenenden alle Klavierkonzerte Beethovens auf, die Schnyder im Juni 2017 auch mit dem vollen Orchester im KKL präsentieren wird. Dazu spielt Schnyder ausgewählte Sonaten. Dass die Wahl auf Beethoven gefallen ist, mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass für Schostakowitsch und Rachmaninow weniger zahlende Besucher die lange Anreise auf sich nehmen. Passend ist es jedoch – unlängst bezeichnete Sir Simon Rattle Beethovens Werk als den Mount Everest der Sinfonik.

Eine musikalische Werkstatt

Den Anfang machen die ersten beiden Klavierkonzerte. Die kleinen Konzerte dieses Jahr werden von fünf Stimmführern der Streicher des Sinfonieorchesters begleitet, die neben ihrer Führungsrolle im Orchester auch allesamt über reichlich kammermusikalische Erfahrung verfügen. Die kammermusikalische Einrichtung besorgte der Komponist Vinzenz Lachner in den 1880er-Jahren.

«Für mich ist das ein Höhentraining für die Aufnahme und die Konzerte am Ende der Saison», scherzt Schnyder in einer kleinen Ansprache vor Konzertbeginn mit den etwa 150 Gästen im fast vollen Saal. Er wolle das Publikum mit in eine musikalische Werkstatt nehmen – wobei der Queen-Victoria-Saal mit Blick auf die Voralpen wohl eine ganz extravagante Werkstatt darstellt.

Wille zur Kammermusik

Wie auch bei den Gesamteinspielungen der Klavierkonzerte üblich, folgte das 1. Klavierkonzert C-Dur auf das zweite, B-Dur. Das widerspricht nur scheinbar der richtigen Abfolge, denn Beethoven komponierte das uns heute als das zweite Konzert bekannte zuerst. Der Wiener Musikwelt war er schon bald nach seiner Ankunft 1792 als virtuoser Pianist bekannt, aber um als Komponist wahrgenommen zu werden, wollte er ein reifes und rundum gelungenes Konzert präsentieren. Freilich drängt sich der Eindruck, das zweite Konzert könne irgendwelchen Ansprüchen nicht genügen bei Schnyders Spiel zu keiner Zeit auf.

Oliver Schnyder am Flügel mit Lisa Schatzman, Jonas Erni, Alexander Besa, Heiner Reich und Petar Naydenov.  (Bild: Ingo Höhn)

Oliver Schnyder am Flügel mit Lisa Schatzman, Jonas Erni, Alexander Besa, Heiner Reich und Petar Naydenov.  (Bild: Ingo Höhn)

Im Gegenteil, denn schon im ersten Satz wird klar, mit welchem Musikverständnis die sechs Künstler auf der Bühne auftreten: Ihre Interpretation ist geprägt vom unbedingten Willen zur Kammermusik. Die Aufführung ist im besten Sinne routinefrei. Keiner lehnt sich zurück und wartet auf seinen Einsatz, jeder ist mit voller Konzentration und Anspannung dabei, egal wer den Ton angibt.

Äusserlich fällt das auf, wenn Lisa Schatzmann an der 1. Violine ganz in die Klaviermelodie versinkt oder der Bassist Peter Naydenov bei der Kadenz mitfiebert, in der sonst viele Orchestermusiker nur auf das letzte bisschen Coda warten.

Die wachen Augen von Schnyder suchen und finden den Dialog mit seinen Streichern. Es wird wirklich miteinander musiziert und das ist schon mehr, als bei vielen Konzerten passiert.

Platz für Experimente

Im ersten Satz des 2. Klavierkonzertes ist aber auch noch die Anspannung zu hören, die ein solches Experiment, ohne die leitende Dirigentenhand mit sich bringt. Minimale Unsicherheiten im Klavier werden von der trockenen Akustik rücksichtslos ins Publikum weitergegeben. Und die ständige Koordination kostet alle Musiker viel Kraft und Konzentration.

Im Rondo op. 129, das zwischen den beiden Konzerten steht, kann Schnyder die Dynamik schön ausreizen und gibt in lockerem Ton eine Anekdote zur Entstehung des kurzen Stücks zum Besten. Grade diese halsbrecherischen Läufe scheinen ihm mehr Gelassenheit für das 1. Klavierkonzert zu geben. Die Kadenz des ersten Satzes, bei der er, wie bei den anderen Kadenzen, auf die Versionen Beethovens zurückgreift, gelingt grossartig. Beethoven führt die Themen in entlegene Tonarten und Schnyder vermittelt mit viel Einfühlungsvermögen zwischen den überraschend changierenden Tongeschlechtern.

Beethovens feine musikalische Witze beim Ende der Coda werden frisch präsentiert und entlockten auch einigen Besuchern, die mit den Konzerten vertraut waren, ein Lächeln.

Das LSO möchte sein Motto dieses Jahr mit Leben füllen. Es ist erfreulich, dass auch wenn «Klassiker» gespielt werden, neue Wege möglich sind. «Schon wieder Beethoven» liegt bei einem Blick aufs Programm nah. Wenn aber Platz für Experimente geschaffen wird, ist gegen ein «klassisches» Programm nichts einzuwenden.

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