«lauter luisen» im Kulturhof Hinter Musegg

Ein Gute-Laune-Abend mit drei fröhlich-verkaterten Luisen

Gerade die theatralische Inszenierung gibt den schwer verdaulichen Brocken Leichtigkeit. (Bild: Delf Bucher)

Dada lässt grüssen. Bei der Premiere ihres dritten Bühnenprogramms schafften es die drei Musikerinnen von «lauter luisen» im Luzerner Kulturhof Hinter Musegg, der Lyrik den Rhythmus abzulauschen und das Ganze unter dem Programmtitel «Katertage» in eine surreale Szenerie zu verwandeln.

Freitagabend. Luzern vibriert. Erstmals Sommer, erstmals Temperaturen zum Flanieren und Amüsieren. Eigentlich eine Zeit, um mit hochgekrempelten Ärmeln in der coronakonformen Freiluftgastronomie die lange vermisste Geselligkeit einzuüben.

Trotzdem drängen sich fünfzig Menschen ins Dunkel der Heubühne auf dem Kulturhof Hinter Musegg. Premiere der «lauten luisen» steht auf dem Programm und der Titel «Katertage» lässt Kopfweh nach einer durchzechten Nacht erahnen. Indes kommen die drei Luisen ganz fröhlich-verkatert daher. Ziemlich viel Restalkohol strömt durch die Blutbahnen. Die drei Musikerinnen gackern, glucksen und lachen. Dann geht es furios zur Sache. Ein grooviges Musikstück verspricht einen Gute-Laune-Abend.

Schnell geht aber dem Trio die Luft aus. Nur noch Shirley Hofmanns Euphonium, die kleine Schwester der Tuba, röchelt. Und hin und wieder zuckt die Hand der Perkussionistin Karin Schulthess. Will sie mit ihrem Schlagbesen die Fliegen vertreiben? Das Akkordeon von Katrin Wüthrich schnarcht vor sich hin.

Durchs Löcherbecki gefallen

Plötzlich schwirren Zahlen durch den Raum. Sechs, Sieben. Ruft der Wecker zur werktäglichen Pflicht? Nein. Zahlen reihen sich aneinander, schieben sich in den Milliardenbereich und dann setzt eine monoton getaktete Musik ein. Berndeutsch erklingt der Vers: «Zyt isch nid Zahl, nid Schtrecki, Zyt isch es Löcherbecki.» Mehrstimmig versetztes Sprachstakkato zerteilt den Zahlenkosmos der Zeiten, in dessen Unendlichkeit der Mensch zur Unzeit durchs Löcherbecken fällt.

So wie es dem Berner Poeten Kurt Marti gelingt, einen banalen Alltagsgegenstand – hier das Küchensieb – zu einem sinnlich-einschlagenden Sprachbild umzugestalten, so schaffen es die «lauten luisen» die Klang- und Rhythmuslinien des Gedichts freizulegen. Aus Kurt Martis in den 1960er-Jahren begeistert aufgenommenem Gedichtband «rosa loui. vierzg gedicht ir bärner umgangssprach», das damals die Mundart aus ihrem Heimatschutzreservat befreite, werden auch noch andere Gedichte entnommen. In der Bearbeitung des Trios zeigen die Gedichte allesamt, was für eine Musikalität in ihnen lebt.

Nach langer Nacht beginnt der Katertag. Zigaretten werden geschmaucht, Kaffee getrunken und dann wird ein lyrisches Paradoxon von Hilde Domin musikalisch entschlüsselt. Das Trio hat dem Zweizeiler der Dichterin ein ganzes Hörstück abgelauscht. Blätter rascheln. Unter der Laubdecke richten sich die Knospen auf. Der erste Satz wird sprachrhythmisch variiert: «Es knospt unter den Blättern.» Dann wird druckvoll Tempo gemacht, um am Schluss nach wildem Spiel zu deklamieren: «Das nennen sie Herbst.»

Die Pointe sitzt. Das Publikum lacht und auch hier haben die drei Luisen bewiesen: Musik schafft einen Mehrwert zum Wort, lauscht der lyrischen Sprache die Melodie ab. Und es ist ein Trio, das die Balance von laut und leise gefunden hat. Selbst die riesige Tuba von Shirley Hofmann, die mit ihrem Blech alles übertönen könnte, schleicht sich an die Melodien des Glockenspiels einfühlsam an.

Dadaistische Zaubersprüche

Etwas sperrig kommt anfangs das Hören der Anagramme daher, also dieses Spiel, Buchstaben rotieren zu lassen, bis ein neuer Wortsinn auftaucht. Ohne die Definition aus Wikipedia vorzutragen, gelingt es den dreien mit dem Changieren von grossen Buchstabenlettern auf Kartons zu erklären, was ein Anagramm ist: Nach einem Hin und Her verwandelt sich die L-A-M-P-E zu einer P-A-L-M-E. Aber dieser sich neu zusammensetzende Buchstabensalat ist nicht Wort für Wort zu verstehen. Dennoch wirken die Wortschöpfungen wie dadaistische Zaubersprüche, wenn die Lyrikerin Anna Isenschmid mit ihrem aus Anagrammen zusammengesetzten Gedicht «Katertage» die Buchstabengitter der Wörter «Meine Alltagswerkstatt» zersägt. Durch den Raum schwirren surreale Sprachfetzen zu grooviger Musik: «Wellen statt Karmageist. … Angst malt eiskalt Werte.» Wenn auch nur Sprachschnipsel ans Ohr dringen, die Wucht und Energie, die von der Musik ausgeht, die szenische Einbettung in ein dadaistisches Theater machen das Ganze zu einem Gesamtkunstwerk.

Gerade die theatralische Inszenierung (Regie Nicole Davie) gibt den manchmal intellektuell nur schwer verdaulichen Brocken eine Leichtigkeit, die sich immer wieder im Lachen des Publikums bestätigt. So sind die «lauten luisen» auch in manchem Stück ganz leise und der melancholischen Todessehnsucht steht oft das karnevaleske Blödeln gegenüber. Der nicht enden wollende Schlussapplaus zeigt es: Der Mix aus Schwerem und Leichten der kontrastreich schwarz-weiss gekleideten Frauen kommt gut an.

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