Dok-Film über Bruder Klaus gewinnt unverhofft an Relevanz
Er ist einer von drei heilig gesprochenen Schweizern: Bruder Klaus. Der Luzerner Regisseur Edwin Beeler hat dem Mystiker einen Dokumentarfilm, der nach 30 Jahren wieder im Kino läuft, gewidmet. Ob das noch interessiert, weiss selbst der Filmemacher nicht.
Die Schweizer Neutralität ist derzeit in aller Munde. Wie die Schweiz auf den Krieg in der Ukraine reagiert, stösst sowohl auf Zustimmung als auch Ablehnung – je nach Lager (zentralplus berichtete). Einer, der oft mit der hochgehaltenen Schweizer Neutralität in Verbindung gebracht und zitiert wird, ist der Obwaldner Niklaus von Flüe (1417–1487). Oder vielen besser bekannt als Bruder Klaus.
«Macht den Zaun nicht zu weit», soll er gesagt haben. Worte, die ihm erst nach dem Tod in den Mund gelegt wurden, aber seinen Standpunkt in puncto Neutralität und Unabhängigkeit verdeutlichen sollen.
«Bruder Klaus wird gerne als Patriot hingestellt, der die Neutralität erfunden hat», sagt der Luzerner Regisseur Edwin Beeler gegenüber zentralplus. «Aber das stimmt natürlich nicht.» Die gegenwärtige Neutralität der Schweiz geht nämlich auf den Wiener Kongress zurück – und der fand erst 1815 statt.
Edwin Beelers «Gesellenstück»
Edwin Beeler gilt als einer der renommiertesten Filmemacher aus Luzern. Mystisches und Historisches begeistert ihn seit Jahrzehnten. Mit Dokumentarfilmen wie «Hexenkinder» (2020) und «Arme Seelen» (2011) hat er nicht nur zahlreiche Kinoeintritte verbuchen können, sondern auch schon mehrere Preise für sein Schaffen eingeheimst.
Nun kehrt er mit «Bruder Klaus» auf die Leinwand zurück. Der Dokumentarfilm rückt die Figur des besagten Niklaus von Flüe ins Zentrum. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um einen neuen Film des in Rothenthurm geborenen Regisseurs, sondern um seinen ersten Langfilm aus dem Jahr 1991. Seinem «Gesellenstück», wie er selbst sagt.
Alter Stoff in neuem Look
Den Film hat Beeler aus einem bestimmten Grund 30 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung «entstaubt»: Am 15. Mai jährt sich die Heiligsprechung des Bruder Klaus zum 75. Mal. Im Zuge dessen hat Memoriav, der Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz, die Neuerschliessung und Digitalisierung des auf 16mm-Umkehrfilm gedrehten Dokumentarfilms zusammen mit weiteren Förderstellen unterstützt.
Der Film thematisiert das Leben des Bauern, Soldaten und Politikers Niklaus von Flüe, der seine Frau samt zehn Kindern zurücklässt, um ein Einsiedlerleben im obwaldnerischen Flüeli-Ranft zu führen. Ohne jeden Komfort lebte er dort ein gottesfürchtiges Kontrastleben zur immer pompöser werdenden Kirche und Machtgefüge der Obrigkeit. Für die Bevölkerung war der Mystiker und Visionär ein beliebter Gesprächspartner und Quell des Wissens und des Rates.
Am 15. Mai 1947 wurde Bruder Klaus in Rom von Papst Pius XII. heiliggesprochen, was seinen Status als Nationalsymbol verstärkte – und zum Spielball für Politik werden liess. Konservative Kräfte sahen in ihm einen wehrhaften Landesvater, der für eine geistige Landesverteidigung stand, während die progressive Seite seinen Pazifismus für Friedensbewegungen instrumentalisierte.
«Bruder Klaus» stiess 1991 auf kritische Stimmen
Letztlich soll jeder für sich entscheiden, wofür Bruder Klaus steht. So war es auch nicht Beelers Ziel, den Landesheiligen von seinem Podest zu holen, sondern ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten – auch kritischen.
Beelers Herangehensweise an das Thema stiess Anfang der 90er-Jahre nicht überall auf Gegenliebe. «Der damalige Bruder-Klaus-Kaplan und einzelne Persönlichkeiten aus Obwalden waren nicht begeistert», erinnert sich Beeler. Einerseits wegen der Inszenierung, andererseits, weil sich ein «Auswärtiger», ein Luzerner, dem Thema angenommen hat. In deren Augen ein Frevel. Der damalige Obwaldner Baudirektor und Filmmitwirkende Adalbert Durrer hingegen hat den Film im Rohschnitt abgenommen und geschätzt, wie Beeler erzählt.
«Vielleicht ist der Film exotisch genug, um auf Interesse zu stossen.»
Trotz allem: Beeler ist zufrieden mit dem Film – «unter den gegebenen Umständen», wie er ergänzt. Heute würde er vieles anders machen, sagt der 64-Jährige. Die damalige Art des Filmemachens sei sehr teuer gewesen und habe viele Einschränkungen auferlegt.
So hatte Beeler auch Pläne, den Film vor der Neuveröffentlichung Mitte Mai noch einmal zu überarbeiten. Das ging aber nicht. Es war eine Auflage von Memoriav und dessen Richtlinien, das Werk in seiner ursprünglichen Form zu belassen. «Vielleicht mache ich später mal einen Director's Cut», sagt der Regisseur.
Vermag «Bruder Klaus» noch zu interessieren?
Wird ein 30 Jahre alter Dokumentarfilm über einen Heiligen bei der Neuveröffentlichung im Mai Säle füllen, nachdem er bei seinem ursprünglichen Release «nicht schlecht» lief? «Ich weiss es nicht», antwortet Beeler. «Die Sehgewohnheiten haben sich seither geändert.»
«Die Kirche scheint sich selber abzuschaffen – leider.»
Auch die Kirche habe nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher. Klöstern fehlt es an Nachwuchs und jährlich steigt die Zahl jener, die aus der katholischen Kirche austreten. Oder um die Worte von Edwin Beeler – selber aus katholischem Milieu stammend – zu verwenden: «Die Kirche scheint sich selber abzuschaffen – leider.»
Der Filmemacher ist sich bewusst, dass das Thema ein eher älteres Publikum ansprechen wird. Er fragte sich damals bei den Dreharbeiten als 32-jähriger Filmemacher ja selbst: «Was hat mich geritten, einen Film über einen Mann zu drehen, der seit 500 Jahren tot ist?» Trotzdem hat Bruder Klaus und der gesellschaftliche Umgang mit ihm bis heute Relevanz.
Neues Projekt bereits in Arbeit
Die Hoffnung, dass sich trotzdem jüngere Leute für die historisch interessante und relevante Figur des Bruder Klaus und den Film begeistern, bleibt indes bestehen. «Vielleicht ist der Film exotisch genug, um auf Interesse zu stossen», sagt Beeler schmunzelnd.
Ungeachtet dessen ist Beeler bereits mit dem nächsten Projekt beschäftigt. Unter dem Arbeitstitel «Die Kirche im Dorf» befindet sich der Regisseur in der Entwicklung eines neuen Dokumentarfilms fürs Kino. In diesem richtet er die Kamera auf seine eigene Herkunft.
Neuveröffentlichung «Bruder Klaus»
Der 1991 auf 16mm-Film gedrehte Dokumentarfilm wurde mittels des Vereins Memoriav und weiterer Förderstellen digitalisiert und neu erschlossen. Ab Sonntag, 15. Mai, läuft der Film im Kino Stans.
In Luzern ist «Bruder Klaus» am Sonntag, 15. Mai, um 11 Uhr in der Sonntagsmatinée im Kino Bourbaki 2 zu sehen. Und am selben Tag um 14.30 Uhr im Kino Gotthard in Zug. Jeweils in Anwesenheit des Regisseurs. Weitere Vorstellungen sind in Planung.
- Persönliches Gespräch mit Edwin Beeler
- Film «Bruder Klaus»
- Kino Bourbaki Kinoprogramm
- Statistik der Kirchenaustritte gemäss des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI)
- Bericht über die Neutralität der Schweiz auf Swissinfo.ch