Film über die Luzerner Baselstrasse kommt ins Kino

Diese Blamage kann sich sehen lassen

Die Psychologin und Domina Connie Baumgartner mit ihrem Putz-Sklaven an der Baselstrasse Luzern im Film «Rue de Blamage».

(Bild: filmstill/hugofilm)

Der Dokumentarfilm «Rue de Blamage» ist so unterhaltend, dass er glatt als Spielstreifen durchgehen könnte. Protagonisten sind sowohl schräge wie sympathische Leute, die ihre Heimat an der Baselstrasse haben. Bei manchen gibt’s ein Happyend, bei anderen nicht – davon erzählt Co-Produzentin Christina Caruso kurz vor der Premiere.

Der wohl bekannteste Strassenmusiker und Randständige Luzerns, Daniele Martin, tigert enerviert in seiner Wohnung herum. Er sucht ein Plektrum für seine Gitarre.

Der Raum ist komplett überstellt mit Kleidern, Säcken, Kisten und anderem Gerümpel. «Typisch! Kaum hat jemand aufgeräumt, findet man hier nichts mehr», schimpft Daniele und schaut in die Kamera. Das gibt schon mal den ersten Lacher in diesem Film, der die teils schrägen Figuren an der Baselstrasse liebevoll begleitet. Sogar auf einen Putzsklaven in Gummimontur treffen die Filmemacher – doch davon später, noch bleibt die Kamera draussen.

Figuren sprechen für sich selbst

Da ist zum Beispiel der Schuhmacher, der sein kleines Geschäft seit Jahrzehnten an der dichtbefahrenen Strasse hat. «Hier leben jetzt fast nur noch Ausländer, die kein Deutsch sprechen», klagt der Italiener auf Italienisch. Seine absurde Feststellung wird unkommentiert so stehengelassen wie alles andere im Film auch. Es gibt weder eine Einführung zu dieser zwei Kilometer langen Durchgangsstrasse noch eine Off-Stimme, die kommentiert oder erklärt. Das ist auch nicht nötig: Die Figuren und Szenen sprechen für sich selber. Und sie tun dies ungeschminkt  und mit einer Offenheit, die beeindruckt und berührt.

Verrucht und aufregend: Die Baselstrasse Luzern by night.

Verrucht und aufregend: Die Baselstrasse Luzern by night.

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

Im Plastikstuhl und auf dem Sockel

Die Filmemacher Aldo Gugolz und Christina Caruso richten die Scheinwerfer auf sechs Leute, die im verruchten Quartier unterwegs sind. Manche von ihnen sind Ortskundigen vertraut, so wie Strassenmusiker Daniele (zentralplus berichtete) oder «Jo», der seit 18 Jahren täglich auf seinem Plastikstuhl vor dem Haus sitzt und schaut. Auch der ehemalige Strassenwischer Heinz Gilli rückt in den Fokus, der als riesige Betonskulptur am Kreisel Kreuzstutz Berühmtheit erlangt hat (zentralplus berichtete).

Christoph Fischer im stillen Dialog mit der Skulptur von Strassenwischer Heinz Gilli.

Christoph Fischer im stillen Dialog mit der Skulptur von Strassenwischer Heinz Gilli.

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

Der Putzsklave im Gummianzug

Ins Licht gerückt werden jedoch auch Menschen, die ansonsten kaum sichtbar sind. Zum Beispiel Amal Naser, eine aus Syrien geflüchtete Frau, die viel Lebensfreude in die Strasse bringt. Und dann ist da die wohl erstaunlichste Protagonistin: Connie Baumgartner, Betreiberin der Kontaktbar «Beach Bar». Die ehemalige Sozialarbeiterin und Psychologin erzählt sehr offen über ihren Alltag und lässt die Zuschauer wortwörtlich Zuckerbrot und Peitsche spüren: In zwei Filmszenen führt sie ihren Putzsklaven vor. Ein von Kopf bis Fuss in Gummi gezwängter Mann, der nach ihrer Pfeife tanzt und den Haushalt erledigt. Oder als Hündchen an der Leine auf die Belohnung seiner Herrin wartet.

Solche und andere Sachen erfährt man in diesem grossartigen Film, der die Baselstrasse als das einfängt, was sie ist: Ein Stück Heimat für Menschen aus aller Welt, die es nicht immer einfach haben in ihrem Leben. Aber die versuchen, das Beste daraus zu machen. Frei nach dem Refrain des Blues, den Daniele im Film singt: «Es esch nid alles nume schwarzwiss.»

«08/15 – Schweizer trifft man hier nicht an»

zentralplus hat sich mit Christina Caruso unterhalten, die «Rue de Blamage» zusammen mit Aldo Gugolz realisiert hat. Sie erzählt, wie die Protagonisten aufgetrieben wurden und was sie bei den Streifzügen durch die Baselstrasse berührt hat.

Christina Caruso, Theaterpädagogin und Mit-Produzentin «Rue de Blamage».

Christina Caruso, Theaterpädagogin und Filmemacherin.

(Bild: web)

zentralplus: Christina Caruso, beim Film merkt man sofort: Da ist jemand am Werk, der die Baselstrasse gut kennt. Welchen Bezug haben Sie und Regisseur Aldo Gugolz zum Quartier?


Christina Caruso: Die Mutter von Aldo wohnte an der Bernstrasse, er kennt das Quartier schon lange und gut. Ich bin hauptberuflich Theaterpädagogin und arbeite in einem Kinder- und Jugendtreff beim St. Karli. Dabei erhalte ich viel Einblick in die Lebensumstände von Leuten, die hier wohnen. Einen Film über diese Strasse zu machen, war für uns ein Herzblutprojekt. 

zentralplus: In 80 Minuten werden viele Geschichten erzählt und Atmosphären festgehalten. Wie lange haben Sie von der Recherche bis zum fertigen Film daran gearbeitet?


Caruso: Die ersten Ideen habe ich 2012 notiert. Danach haben wir erste Kontakte geknüpft. Es war nicht ganz einfach, die «richtigen» Protagonisten zu finden. Manche sind leider wieder abgesprungen, dafür konnten wir andere wie die Syrerin Amal an Bord holen. Das Quartier ist schnelllebig und es gab in den letzten vier Jahren viele Veränderungen. So ist heute die Beach-Bar geschlossen, sowohl Jo wie Daniele wohnen nicht mehr hier. Aber alles verrate ich hier nicht …

Filmpremiere im Kino Bourbaki

«Rue de Blamage» von Aldo Gugolz und Christina Caruso ist ab dem 6. April im Kino Bourbaki zu sehen.

Produziert wurde der Dokumentarfilm von Hugofilm & Revolumenfilm, in Koproduktion mit SRF und 3Sat. Die Kinoversion ist 80 Minuten lang. Eine kürzere Version wird voraussichtlich diesen Herbst im Fernsehen gezeigt.


zentralplus: Die Kamera geht nahe an die einzelnen Protagonisten, die sehr persönliche Einblicke in ihr Leben geben. Wie haben Sie das Vertrauen gewonnen? 


Caruso: Es brauchte viel Zeit, manche der Protagonisten haben wir über vier Jahre begleitet. Die Leute reagierten sehr unterschiedlich auf uns und die Kamera: Connie lernten wir zum Beispiel auf einem Streifzug kennen, als wir die Bar besuchten. Sie sagte spontan zu und war sofort sehr offen. Andere reagierten misstrauischer, bis sie dann Vertrauen fassten.

«Die Geschichten der Menschen, die wir porträtieren, sind mir schon sehr nahe gegangen.»
Christina Caruso, Co-Produzentin «Rue de Blamage»

zentralplus: Manche Szenen berühren extrem. Andere sind lustig, jedenfalls auf den ersten Blick. Ist Ihnen auch mal das Lachen im Hals stecken geblieben?


Caruso: Die Geschichten der Menschen, die wir porträtieren, sind mir schon sehr nahe gegangen. Man erfährt von ihren Träumen und wie sie ihr teils sehr schwieriges Leben meistern. Für alle ist dieses Stück Strasse eine Heimat – teils eine neue und ungewollte, aber oft eine vertraute und geschätzte. Manche Kontakte bleiben bestehen. So ist zum Beispiel zwischen mir und der Syrerin Amal eine Freundschaft entstanden.

zentralplus: Dokumentiert wird auch die Entstehung der Betonfigur des Strassenfegers Heinz Gilli, gefertigt vom Künstler Christoph Fischer. Welches ist seine Rolle? 


Caruso: Auch ihn haben wir bei einem Streifzug durch das Quartier kennengelernt. Seine Beobachtungen und Arbeiten haben uns fasziniert. Und so wurde die Geschichte rund um die Kreisel-Skulptur und Heinz Gilli zu einem roten Faden, der sich durch den Film zieht. Zudem konnten wir  Filmsequenzen, die Fischer während seinen jahrelangen Beobachtungen beim Kreuzstutz gemacht hat, in «Rue de Blamage» einbauen. Das hat unser Material wunderbar ergänzt.

«Das Leben und die Leute hier sind so vielfältig, da gäbe es tausend Geschichten zu erzählen …»
Christina Caruso

zentralplus: Im Film fehlen ganz «normale» Leute und Szenen-Orte wie Kegelbahn oder Gewerbehalle tauchen nicht auf. Wird da das Klischee der verruchten Baselstrasse etwas zelebriert?


Caruso: Das Leben und die Leute hier sind so vielfältig, da gäbe es tausend Geschichten zu erzählen … Die etwas speziellen Leute haben uns natürlich schon interessiert, aber ehrlich gesagt: 08/15–Schweizer trifft man hier schlicht nicht an – ausser an den Shop & Food-Führungen, die es durch das Quartier gibt (lacht).

zentralplus: «Rue de Blamage» ist fixfertig, am 2. April ist Vorpremiere, ab dem 6. April läuft er in den Kinos an. Sind Sie zufrieden mit dem Resultat?


Caruso: Irgendwann habe ich die Distanz verloren und mochte den Film gar nicht mehr sehen. Als er dann an den Solothurner Filmtagen gezeigt wurde, war das sehr schön. Ich habe die Reaktionen aus dem etwa 650-köpfigen Publikum extrem genossen. Es wurde viel gelacht und ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen. Selber sieht man beim fertigen Film immer Sequenzen, die vielleicht auch anders hätten gemacht werden können – aber jetzt ist er fertig und auf die Premiere in Luzern freue ich mich riesig.

Multikulti ist in der Baselstrasse an der Tagesordnung.

Multikulti ist in der Baselstrasse an der Tagesordnung.

(Bild: Filmstill/Hugofilm)

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