Sonja Sekula: Mitten in der New Yorker Kunst-Szene

Die Luzernerin an der Seite von Jackson Pollock, Frida Kahlo & Co.

Sonja Sekula mit ihrem Werk (ohne Titel, 1942) in André Bretons Wohnung in New York, 1945.  (Bild: zvg)

Ihr Leben wäre Stoff genug für einen Film: Die Luzernerin Sonja Sekula zieht 1936 nach New York und landet im Schmelztiegel der damaligen Avantgarde-Kunst. Sie ist schön, privilegiert, talentiert und stellt mit Kunstgrössen aus. Und doch endet ihr Leben tragisch. Das Kunstmuseum Luzern will ihr jetzt die gebührende Anerkennung verschaffen.

Wenn man die Ausstellung im Kunstmuseum betritt, sieht man als Erstes eine grossformatige, wandfüllende Schwarz-weiss-Aufnahme von 1942. Sonja Sekula inmitten von Kunstgrössen. Etwa Roberto Matta, André Breton, Marcel Duchamp, Jacqueline Mattise oder Suzanne Césaire. Es ist die Verbildlichung der «Friends» im Ausstellungstitel: «Sonja Sekula, Max Ernst, Jackson Pollock & Friends.»

Eigentlich ist es unfassbar, dass man Sonja Sekula heute kaum kennt. Das kurze Leben der Frau wäre Stoff für einen Film, für ein Buch zumindest, «ihr Gesicht gehört auf die nächste Briefmarke», sagt Kunstmuseums-Direktorin Fanni Fetzer nicht ohne Ernst.

Die anderen Namen im Titel sind hingegen weltberühmt: der Kölner Dadaist Max Ernst und der New Yorker Expressionist Jackson Pollock. Man hätte weitere prominente Namen nennen können, «aber als wir den Titel setzten, war noch nicht klar, welche Leihgaben wir bekommen», sagt Kuratorin Fanni Fetzer.

Eine der teuersten Ausstellungen

Keinen Film, keine Briefmarke, aber zumindest erhält Sonja Sekula nun die erste grosse Ausstellung in Luzern. Das Kunstmuseum Luzern widmet der beeindruckenden Frau ab 11. Juni eine seiner aufwändigsten und teuersten Ausstellungen der jüngeren Zeit – ihre Werke gemeinsam mit Bildern aus ihrem damaligen Freundeskreis.

Mitten in der Kunst-Avantgarde: Sonja Sekula in Long Island, New York, 1946.  (Bild: zvg)

Mitten in der Kunst-Avantgarde: Sonja Sekula in Long Island, New York, 1946.  (Bild: zvg)

Fanni Fetzer hat die Luzerner Ausstellung unter Mitarbeit von Dominik Müller und Heinz Stahlhut kuratiert. Wir treffen sie zum Gespräch in den Räumen, wo wenige Tage vor der Vernissage mit Hochdruck gearbeitet wird. Die Umbauzeit ist diesmal mit einer Woche ausgesprochen kurz. Einige Originale hängen bereits, an anderen Stellen markieren provisorische Ausdrucke die Position.

Aus dem Stegreif erzählt Fanni Fetzer über das Leben und Wirken von Sonja Sekula.

Mit 18 Jahren in den New Yorker Schmelztiegel

1918 geboren, wächst Sonja Sekula behütet und privilegiert in einer wohlhabenden, grossbürgerlichen Familie in der Luzerner Villa Sonnenhof auf. 1936, 18-jährig, wandert sie mit ihren Eltern nach New York aus. Nicht aus politischen Gründen, sondern aus geschäftlichen. Erst nach Long Island, später New York City. «Ihr Elternhaus war sehr kultiviert und kulturbeflissen. Sonja Sekula wurde von ihren Eltern gefördert», sagt Fetzer.

Sekula interessierte sich gleichermassen für die bildende Kunst und für das Schreiben. Sie las viel und sprach mehrere Sprachen fliessend. «Sekula war eine selbständige, gescheite, überbegabte junge Frau, aber psychisch labil», sagt Fanni Fetzer.

«Sonja Sekula war eine selbstständige, gescheite, überbegabte junge Frau, aber psychisch labil.»

Kuratorin Fanni Fetzer

Erst nach einiger Zeit in New York entschied sie sich gegen eine literarische Karriere und für die bildende Kunst. Sie nahm Malunterricht beim deutschen Künstler Georges Grosz, studierte später an der Art Students League, einer progressiven New Yorker Kunstschule. Und dort traf sie auf Künstler wie Mark Rothko, Jackson Pollock oder Barnett Newman. «Jene Künstler, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der amerikanischen Avantgarde die europäische ablösten», so Fetzer. New York City war nach Paris der neue Hotspot der Avantgarde.

Sekula traf als ambitionierte und hochtalentierte junge Frau auf eine Stadt im Aufbruch. Einerseits auf europäische Surrealisten, die vor den Nazis nach New York geflüchtet waren, aber auch auf amerikanische Künstler.

Ausstellung mit Frida Kahlo, Meret Oppenheim und Sophie Taeuber-Arp

Sekula stellte gemeinsam mit klingenden Namen in den angesagten Galerien von Peggy Guggenheim und Betty Parsons aus. Guggenheim zeigte in ihrer Galerie «Art of This Century» Bilder Sekulas gemeinsam mit Werken von Frida Kahlo, Louise Bourgeois, Meret Oppenheim oder Sophie Taeuber-Arp. Das zeigt der Film «Peggy Guggenheim: Art Addict», der momentan im Kino läuft (siehe Box unten).

«Sie wird durch ihre eigenwillige Interpretation der surrealistischen Techniken und des abstrakten Expressionismus zu einer interessanten und wichtigen Figur der amerikanischen Avantgarde», heisst es im Begleittext.

Zwei Werke in der Ausstellung. Links: Sonja Sekula: «Chinatree», 1960. Rechts: Jackson Pollock: «Untitled (Composition with Sgraffito II)», 1944.   (Bild: Kunstmuseum Luzern/Kunsthaus Zürich)

Zwei Werke in der Ausstellung. Links: Sonja Sekula: «Chinatree», 1960. Rechts: Jackson Pollock: «Untitled (Composition with Sgraffito II)», 1944.   (Bild: Kunstmuseum Luzern/Kunsthaus Zürich)

Zu Sekulas Freunden in New York gehörte auch der Komponist John Cage, wovon eines der Werke in der Ausstellung mit dem Namen «Silence» von 1951 zeugt: Sie widmete das Gemälde ihm und seinem Stück «4′33″», in dem kein einziger Ton gespielt wird. Umgekehrt widmete Cage ihr eine Komposition.

Mit 45 Jahren nimmt sie sich das Leben

Es gibt nur wenige Quellen über Sekulas Leben, vieles basiert auf Indizien, zu Lebzeiten erschien nur ein einziges Interview mit ihr, erst posthum wurden Erinnerungen an sie gesammelt und publiziert. «Sonja Sekula erlebte das Interesse an ihrem Werk, am literarischen wie am bildnerischen, nicht mehr», schreibt Kuratorin Fanni Fetzer in ihrem Text im umfangreichen Ausstellungskatalog.

«Sonja Sekula betrachtete es als Privileg, lesbisch zu sein, aber gesellschaftlich war das in den 50ern natürlich nicht unbedingt akzeptiert.»

Fanni Fetzer

Sekula war immer psychisch labil, hatte manisch-depressive Tendenzen, durchlebte verschiedene Klinikaufenthalte und verübte schon sehr jung einen Suizidversuch. Wiederum aus wirtschaftlichen Gründen und obwohl Sonja Sekula inzwischen Amerikanerin war, musste sie mit den Eltern 1953 zurück in die Schweiz.

Die Behandlung ihrer Krankheit war langwierig, zäh und belastend. Insbesondere als homosexuelle Frau lebte Sekula, zurück in der Enge der Schweiz, unglücklich und erfolglos. «Sie betrachtete es als Privileg, lesbisch zu sein, aber gesellschaftlich war das in den 50ern natürlich nicht unbedingt akzeptiert», sagt Fetzer.

Sonja Sekula 1959 zurück in Zürich – unglücklich und erfolglos.  (Bild: zvg)

Sonja Sekula 1959 zurück in Zürich – unglücklich und erfolglos.  (Bild: zvg)

Ihre Kunst wurde kaum mehr wahrgenommen, galt als zu amerikanisch, obwohl sie in Zürich noch eine Ausstellung hatte. Sekula verkraftete es schliesslich nicht, vom pulsierenden New Yorker Leben ins prüde, protestantische Zürich der 50er-Jahre zurückzukehren. Am 23. April 1963 erhängte sich Sonja Sekula schliesslich im Alter von 45 Jahren in ihrem Zürcher Atelier.

Aus der Zeit gefallen

Weil Sekula keine Geschwister und Kinder hatte, weil es keinen Nachlass gab und weil sie jung gestorben war, ging sie für lange Zeit vergessen. «Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und wirtschaftlichen Umständen ist sie aus der Zeit gefallen», sagt Fetzer.

«Für mich ist sie die neue Meret Oppenheim oder die nächste Sophie Taeuber-Arp.»

Fanni Fetzer

Wieso Sekula heute nicht berühmter ist, darüber kann auch Fanni Fetzer nur spekulieren: «Waren es gesellschaftliche Gründe? Weil sie eine Frau war? Oder weil sie sich nie auf einen Stil festlegen wollte?» Für die Kuratorin ist aber klar: «Für mich ist sie die neue Meret Oppenheim oder die nächste Sophie Taeuber-Arp.»

Erst Jahrzehnte später wird ihr Werk in der Schweiz rehabilitiert: 1996 mit einer grossen Soloausstellung im Kunstmuseum Winterthur. Der Katalog von damals ist vergriffen, Kurator Dieter Schwarz recherchierte damals ihr ganzes Leben minutiös.

2008 gab es eine Ausstellung mit Sekula und Annemarie von Matt im Kunsthaus Aarau – «dort nahm ich ihr Werk erstmals richtig wahr», sagt Fetzer. Und seit sie 2011 in Luzern begonnen hat, ist sie immer wieder in der Kunstmuseum-Sammlung auf Werke von Sekula gestossen.

Eine Detektivarbeit

So entstand die Idee, sie in Luzern zu zeigen. Aber nicht als Retrospektive wie in Winterthur, sondern im damaligen Kontext, mit den «Friends» eben.

Eine derartig aufwändige Ausstellung hat das Kunstmuseum schon lange nicht mehr gesehen: «Sonja Sekula» sei dreimal so teuer und aufwändig wie eine durchschittliche Ausstellung. Das sei letztlich nur möglich gewesen, weil ein lokaler Geldgeber eine einjährige Recherche finanzierte – eine «Detektivarbeit», wie es Fetzer ausdrückt.

Um Fragen auf Antworten zu finden: Wer hat zu ihrem Umfeld gehört? Wer besitzt heute diese Werke? Und wäre es möglich, diese als Leihgabe zu bekommen? Es handelt sich um Werke mit teils hohen Versicherungssummen, die in amerikanischen Sammlungen hängen.

Sonja Sekula: «Animal Without Subject of War», 1944.  (Bild: Kunstmuseum Luzern)

Sonja Sekula: «Animal Without Subject of War», 1944.  (Bild: Kunstmuseum Luzern)

Als mittelgrosses Museum, wie es Luzern ist, war es nicht einfach, an die grossen Museen wie etwa das Museum of Modern Art in New York heranzukommen. «Wenn wir denen ein Konzept schicken, weisst du nicht, ob sie es überhaupt anschauen. Wir mussten sie überzeugen.» Über Beziehungen ergaben sich Türöffner und schliesslich persönliche Kontakte. «Unser Konzept war ja nicht, einfach grosse Namen zu zeigen, sondern es ist in sich stimmig, und darum hat es letztlich auch funktioniert», sagt Fanni Fetzer.

Geht’s bald zurück nach New York?

Was erwartet die Kuratorin von der kommenden Ausstellung? Natürlich hofft Fetzer auf mehr Besucher als normal. Und dass Sonja Sekula nun die gebührende Aufmerksamkeit erhält: «Es gibt nicht viele Schweizerinnen, die es in New York geschafft haben und Teil davon waren – und es ist eine Luzernerin, die diese Geschichte erlebt hat. Und alle, denen ich diese Geschichte erzähle, sagen: Wow, krass, das wollen wir sehen!»

Und einen Traum hat Fanni Fetzer: «Sonja Sekula in irgendeiner Form wieder zurück nach New York zu bringen.» Dafür sehe es gar nicht schlecht aus – Gespräche dazu laufen.

Die Ausstellung: «Sonja Sekula, Jackson Pollock & Friends»

Die Ausstellung «Sonja Sekula, Max Ernst, Jackson Pollock & Friends» ist vom 11. Juni bis 25. September im Kunstmuseum Luzern zu sehen. Vernissage: Freitag, 10. Juni, 18:30 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein sehr sehenswerter und äusserst gut lesbarer Katalog, u.a. mit Texten von Fanni Fetzer, Dominik Müller und der südafrikanisch-britischen Kunsthistorikerin Giselda Pollock.

Die Ausstellung ist in mehrere Bereiche unterteilt, etwa «All-over Malerei», «Surrealistische Tendenzen», «Papierarbeiten» und «Indian Space». In jedem dieser Räume wird eine neue Geschichte von Sonja Sekula erzählt. Die meisten der gezeigten Werke stammen von Sonja Sekula selbst, der Fokus der Ausstellung liegt auf der Entwicklung der jungen Künstlerin in der pulsierenden Grossstadt New York und ihrem Umfeld.

Sie war damals Teil der jungen Avantgarde und in Kontakt mit bedeutenden Surrealisten und Künstlern dieser Zeit. Klingende Namen wie André Breton, Marcel Duchamp, Mark Rothko, Barnett Newman, Jackson Pollock, Sophie Taeuber-Arp oder Louise Bourgeois – darum sind auch Werke dieser Künstler neben jenen von Sekula zu sehen.

Gemalt, gezeichnet, gekratzt

Es beginnt mit abstrakten, dichten, sehr architektonisch geprägten Gemälden – gekrazt, gemalt, gezeichnet und sichtlich inspiriert von der Grossstadt New York. «Aber Sekula war keine extrovertierte Malerin, die rausging und ihre Sujets suchte. Ihre Kunst war introspektiv, sie hat alles aus sich selbst herausgeschöpft», sagt Fanni Fetzer.

Dann betritt man einen surrealistisch geprägten Ausstellungsraum – eine neue Welt mit figurativer Malerei, experimenteller, farbiger und mit Tieren als Motiven, die an Joan Miró erinnern.

Im gedämpften Licht werden Zeichnungen Sekulas gezeigt, kombiniert mit Schrift, Skizzen, Collagen. In Sekula steckte nicht nur eine Künstlerin, sondern auch eine Schriftstellerin, was hier gut zum Ausdruck kommt. «Ich arbeite bewusst in verschiedene Richtungen dick und dünn», steht auf einem Blatt – denn gerade die Vielfalt, die Mischung, ist heute für Sekula charakteristisch. «Sie war sich bewusst, dass sie es nicht schafft, sich auf eine Handschrift zu beschränken», sagt Fetzer. «Sie sah dies allerdings selbst nicht als Problem.» Aber daher sei Sekulas Werk schwer einzuordnen.

Indianer-Riten und Zündholzschachteln

Eine lose Künstler-Gruppe befasste sich in New York mit der Kunst der indianischen Kultur – das thematisiert der Bereich «Indian Space». «Weil sich der Dadaismus und Surrealismus in Europa stark auf die afrikanische Kunst bezog, entstand in Amerika die Idee, sich mit der Kunst der Indianer auseinanderzusetzen.» Inspiriert von indianischen Textilien, Mandalas, Mustern, Keramiken.

Auch Sekula interessierte sich stark dafür und reiste mehrmals nach New Mexiko und Mexiko, um indianische Riten und Kulte zu studieren.

Einige Werke hängen nicht an der Wand, sondern stehen in Vitrinen: Kleine, spielerisch und liebevoll umgestaltete Streichholzschachteln: bemalte Zündhölzer, gefaltete Gedichte auf Zettelchen. «Da ist auch der Dadaismus spürbar, Sachen gegen den Strich zu denken», sagt die Kuratorin. «Das hat etwas Heiteres, aber gleichzeitig auch eine wahnsinnig traurige Seite.»

Veranstaltungen in der Ausstellung:

  • Rundgang mit Kuratorin Fanni Fetzer: Sonntag, 12. Juni, 11 Uhr
  • «Will mit Worten Farbe taufen»: Schauspielerin Michaela Wendt liest Lyrik von Sonja Sekula: Mittwoch, 22. Juni, 18 Uhr
  • Werkbetrachtung mit Sammlungskonservator Heinz Stahlhut: Sonntag, 3. Juli, 11 Uhr
  • «Silence»: Jazzerin Irène Schweizer spielt Kompositionen zu Sonja Sekula: Mittwoch, 31. August, 18 Uhr
  • Passend zur Ausstellung läuft im Kino Bourbaki derzeit der Film «Peggy Guggenheim: Art Addict» über die New Yorker Bohemian, Galeristin und Mäzenin, die auch Sonja Sekula ausgestellt hatte.

Weitere Bilder von Sonja Sekula und Friends in der Bildgalerie:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Christina Laubi
    Christina Laubi, 30.10.2023, 17:13 Uhr

    Freue mich sehr, einen weiteren Artikel über die Cousine Sonia Sekula zu finden. Eigentlich ist sie die Cousine meiner Mutte Alie und Tante Suzanne Huguenin….wir haben Sonia sehr geschätzt und waren auch stolz auf die Luzerner Ausstellung, unter anderem. Ich habe noch ein kleines Bld von ihr, eine schöne, stolze Erinnerung.

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