Kultur
Events fernab der Komfortzone

Die Kastenbar mischt mit Arroganz das Luzerner Nachtleben auf

Nicola Blatter ist das Gesicht des Vereins Kastenbar. (Bild: jdi)

Nicola Blatter, bekannt von der Kastenbar, langweilt sich ob des eintönigen Nachtlebens in Luzern – und möchte dieses darum aufmischen. zentralplus hat mit ihm über Clubs in der Komfortzone, eine Technoparty im Zug und andere verrückte Eventkonzepte gesprochen.

Eigentlich sollte das Gespräch mit zentralplus schon Mitte September stattfinden. Doch damals befand sich Nicola Blatter mitten in den Vorbereitungen zum neuesten Streich seines Vereins Kastenbar: «Tschutschu Bumbum», ein Rave im fahrenden Zug – samt Coiffeursalon, Tattoo- und Zahnschmuckstudio, Bars und Essensangebot, internationalem DJ-Line-up auf mehreren Floors, einer Poetry-Slam-Künstlerin und mehr als 300 Gästen.

Die Zugfahrt sei «insane» gewesen, sagt Nicola Blatter, und sei «verdammt gut» gelaufen. Er nimmt einen Schluck von seinem Doppio im Café, das er ausgesucht habe, weil er dort am Vormittag ausschliesslich ältere Menschen habe sitzen sehen, obschon das Lokal «gottlos Charme» habe.

Bleibende Erinnerungen statt Filmriss

Aus dem 25-Jährigen sprudelt es nur so heraus, die Erinnerungen an das vergangene Wochenende mit der Zugfahrt sind noch frisch. Und genau um das Schaffen solcher Erinnerungen – anstelle des bedeutungslosen Besäufnisses im Club – gehe es ihm und seinen Freunden von der Kastenbar (zentralplus berichtete).

Angefangen hätten sie als Grüppchen von weniger als einer Handvoll Freunden. Ihr Ziel: spannendere Abende zu verbringen, als es das bestehende Angebot im Luzerner Nachtleben zulasse. Am unkonventionellen Anfang stand: der namensgebende Stromkasten an der Bruchstrasse.

«Ich fände es schön, würden solche Aktionen im juristischen Graubereich toleriert. Momentan sind sie nicht mehr als eine Utopie.»

Nicola Blatter, Kastenbar

Rund 50 Personen hätten sich im Sommer 2022 zum x-ten Mal an diesem Stromkasten, der Kastenbar, getroffen – auf Drinks gegen Kollekte und ein Konzert. «Auf den umliegenden Balkonen haben die Leute mitgeklatscht und gesungen, während Autos angehalten und staunend gefragt haben, was hier los sei», erzählt Nicola vom ersten «grösseren» Event der Kastenbar. Die Stimmung sei von Freude und Glück geprägt, ja fast schon utopisch gewesen. Weder zu laut noch betrunken seien sie gewesen – und ein Abfallkonzept hätten sie auch gehabt.

Polizei toleriert keine Graubereiche

Doch geht die vorübergehende Nutzung des öffentlichen Grundes über den schlichten Gemeingebrauch hinaus, ist eine Bewilligung einzuholen, heisst es im entsprechenden Reglement der Stadt Luzern. Die Polizei beendete den Abend vorzeitig und löste die Versammlung auf. «Obwohl wir mehr Leute glücklich als unglücklich gemacht haben», wie sich Blatter sicher ist. «Das klingt vielleicht naiv, aber ich fände es schön, würden solche Aktionen im juristischen Graubereich toleriert. Momentan sind sie nicht mehr als eine Utopie.» Gleichzeitig verstehe er, dass sich die Polizei nur an Vorschriften gehalten habe. Fakt ist: Der Standort Kastenbar war gestorben.

An sommerlichen Tagen verwandelte sich dieser Stromkasten an der Kreuzung Bruchstrasse und Kasimir-Pfyffer-Strasse zu einem gemütlichen Treffpunkt. (Bild: cbu)

Weniger Verständnis hat Blatter dafür, dass die Polizei den Abbruch der nächsten Kastenbar-Veranstaltung erzwang – denn diese fand auf privatem Grund, in einem Tattoostudio, statt. Zwei Kastenwagen seien vorgefahren, Polizisten hätten das Lokal gestürmt, alle Gäste gefilmt und fotografiert, ihn gar vorladen wollen. «Nachdem wir einen gewissen Hype erzeugen konnten, waren auch unsere privaten Events quasi-öffentlich», erklärt sich Blatter das rigorose Durchgreifen. «Kulanterweise hatte der Einsatz für uns aber keine strafrechtlichen Folgen.»

«Dass die hiesigen Behörden das Beleben der Stadt unterbinden, widerspricht dem Bedürfnis, nach aussen progressiv und modern wirken zu wollen.»

Nicola Blatter, Kastenbar

Das Vorgehen der Luzerner Polizei erinnert an die Repressalien, welche die Betreiber des Refugiums, des inzwischen geschlossenen Kulturlokals unter der Langensandbrücke, über sich ergehen lassen mussten (zentralplus berichtete). Frust und Groll waren die Folge – und schliesslich die Einsicht, dass der Verein Kastenbar für seine ursprünglich sehr spontanen Anlässe bereits Wochen im Voraus Bewilligungen einholen muss.

Stadt Luzern weder progressiv noch modern

«Dass die hiesigen Behörden das Beleben der Stadt unterbinden, widerspricht dem Bedürfnis, nach aussen progressiv und modern wirken zu wollen», findet Blatter. «Darum bezeichnen uns die Zürcher, Berner und Basler auch als ‹Buure›.» Doch der Widerstand von oben nahm dem Verein, zusammengesetzt aus jungen Menschen mit verschiedensten Qualifikationen aus verschiedensten «Bubbles», nur kurzfristig den Wind aus den Segeln.

So haben die Kreativköpfe mit dem Mut, auch Verrücktes und Aussergewöhnliches umzusetzen, eine «unglaublich schöne und ‹huere› geile» Veranstaltung auf dem Vierwaldstättersee organisiert. Mit einem gemieteten Saunaboot (zentralplus berichtete), Livemusik und einer Bar für geladene und spontane Gäste, die sich mit ihren eigenen Booten rund um die schwimmende Konzertbühne platzierten. Auch einen Spendenlauf und eine Velotour vom Südpol zum Nordpol stellten sie auf die Beine.

Kommt bald der Zeppelin-Rave?

Blatter verrät zentralplus die Hauptprämisse bei der Konzeption neuer Anlässe des Vereins Kastenbar: «Sie dürfen so noch nie stattgefunden haben.» Er habe beinahe heulen müssen, als er während der Vorbereitungen zur «Tschutschu Bumbum»-Zugfahrt mitbekommen habe, dass die Stanser Musiktage zusammen mit dem Neubad ebenfalls eine Party auf Geleisen organisieren würden (zentralplus berichtete) – und sich dann «us Gwonder» ein Ticket gekauft.

Dennoch habe er kein Problem damit, öffentlich über die neuesten und verworfenen Pläne aus dem Kastenbar-Kosmos zu sprechen. «Weil sich eh niemand traut, so was Verrücktes umzusetzen.» Vorerst in der Schublade verstaut worden sei die Idee, bei wildfremden Menschen mit grossen Villen klingeln zu gehen und um Zugang zur Dachterrasse zu bitten.

Gestorben sei die Kastenbar-Tour – von einem Stromkasten zum anderen –, weil die Polizei die Tour wohl nicht zulassen würde. Hingegen stehe die Idee eines Raves mitten im Supermarkt noch auf der Liste. Verrückt genug? Mitnichten: «Die Technoparty im Zug hatten wir schon, ein Boot mieten kann jeder, und ein Flugzeug will ich wegen des Kerosins nicht. Aber wie wäre es mit einem Zeppelin?»

Luzerner Nachtleben schläft

Hoch oben in den Lüften feiern – davon seien die meisten Luzernerinnen weit entfernt, findet Nicola Blatter. «Das Luzerner Nachtleben hat sich in der Komfortzone verschanzt.» Viele Mainstream-Clubs seien Woche für Woche prall gefüllt. Und würden dennoch kaum je Neues wagen. Es liege viel Potenzial brach. Mit den Kastenbar-Events wolle er vorangehen – und Veranstalter aus ebendieser Komfortzone herauslocken.

Ausserhalb der Komfortzone: Das trifft nicht nur auf die Anlässe, sondern auch die T-Shirts der Kastenbar zu. (Bild: Dision Agency)

Von seiner Kritik ausgenommen sind Orte wie das Neubad, von dessen Neujahrsparty Blatter schwärmt. Oder das «Echolot Festival», wo Konzerte auch mal in der Kirche oder im Weinladen stattfinden (zentralplus berichtete).

Gegen andere Veranstalter «schiessen» möchte Nicola Blatter nicht. Ist aber einverstanden mit einer Aussage, die er einst aufgeschnappt hat: «Ihr von der Kastenbar, ihr seid ein Grüppchen ahnungsloser, unerfahrener Veranstalter – und dennoch betretet ihr mit euren verrückten Events immer wieder kulturelles Neuland.» Oder in Blatters eigenen Worten: «Als Kastenbar musst du mit einer gewissen Arroganz durch die Stadt marschieren.»

Das Augenzwinkern, es zieht sich durch seine Aussagen durch. Doch dass die Kulturszene Luzerns mutiger agieren dürfte, meint er todernst.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit Nicolas Blatter vom Verein Kastenbar
  • Reglement über die Nutzung des öffentlichen Grundes der Stadt Luzern
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