Luzerner Schauspieler über die Coronakrise

«Die junge Künstlergeneration will nicht chillen und abwarten»

Michael Fuchs hat sich zwei Standbeine aufgebaut – und beide sind unter Corona weggebrochen. (Bild: Christian Felber MIGN)

Kulturschaffende haben in der Coronakrise besonders hart zu kämpfen. Theateraufführungen, Lesungen, Drehs und Auftritte sind bis auf Weiteres abgesagt. Aber wie gehen die Leute hinter dem Begriff «Kulturschaffende» damit um? Ein betroffener Luzerner erzählt.

Wir treffen den Luzerner Schauspieler und Jungunternehmer Michael Fuchs (34) im Neubad in Luzern auf einen Kaffee. Morgens um zehn. Corona sei Dank. «Ich habe jetzt ja Zeit», sagt Fuchs lachend. In gewissen Situationen hilft nur noch Humor.

Michael Fuchs tanzt gerne auf vielen Hochzeiten. Wenn er nicht gerade auf der Bühne oder vor der Kamera steht, arbeitet er als Theaterpädagoge und Workshopleiter an verschiedenen Schulen. Zusätzlich hat er vor rund fünf Jahren mit den Kolleginnen Claudia von Grünigen und Lena Wälly das Kindertheater «Tägg en Amsle» ins Leben gerufen, mit dem die Gruppe durch die ganze Schweiz touren. So wäre es auch dieses Jahr gewesen – hätte nicht eine Pandemie alle Pläne zunichtegemacht.

zentralplus: Michael, trittst du derzeit noch auf?

Fuchs: Ich hätte in diesem Jahr noch einen einzigen Auftritt gehabt, der nach den heutigen Beschlüssen prompt abgesagt wurde: Ein Theaterstück in Basel mit einem Publikum von maximal fünfzehn Personen.

zentralplus: Das hätte sich unmöglich gelohnt, oder?

Fuchs: Es ist absurd. Das würde sich nicht mal lohnen, wenn ich als Einzelperson eine Lesung durchführen würde. Wie sollen fünfzehn Besucher den ganzen Aufwand finanzieren können? Ganz einfach: gar nicht. Die bisherige Regel mit maximal fünfzig Besuchern hat funktioniert – auch für uns.

«Nach zehn erfolgreichen Jahren als Künstler musste ich mich zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos melden. Das hat sich wie eine Niederlage angefühlt.»

Michael Fuchs, Schauspieler

zentralplus: 50 Besucher haben finanziell gereicht?

Fuchs: Ich kann zwar nicht für die Veranstalter sprechen, aber für uns als kleines Kindertheater hat das funktioniert. Jede Vorstellung war restlos ausverkauft. Man hat gemerkt, dass es die Leute nach draussen gezogen hat.

zentralplus: Im Frühjahr hat der Bund den Lockdown ausgerufen. Was ging dir da durch den Kopf?

Fuchs: Ich habe für ein Theaterstück geprobt. Am 18. März wäre die Premiere gewesen. Dann kam der Bundesbescheid und am 15. März ging der Laden zu. Fertig. Die ganze Arbeit mehr oder weniger umsonst. Wir konnten die Premiere dann im Herbst zwar nachholen – für genau zwei Vorstellungen, bis die Einschränkungen noch einmal verhärtet wurden – aber bis dahin mussten wir praktisch wieder von vorne anfangen. Natürlich mussten wir auch fast unsere ganze schweizweite Kindertheater-Tournee absagen.

Nach zehn erfolgreichen Jahren als Künstler musste ich mich zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos melden. Das hat sich wie eine Niederlage angefühlt.

zentralplus: Was denkst du über die staatliche Hilfe? Fühltest du dich gut versorgt oder im Stich gelassen?

Fuchs: Am Anfang überwog schon das allgemeine Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Das lag aber auch daran, dass niemand gewusst hat, was läuft und wie die Situation gehandhabt werden soll. Wir sassen da alle im selben Boot. Behörden wie Betroffene.

Das Problem war, die Behörden verstanden unsere Situation kaum. Da wurden notgedrungen Leute an die Telefone gesetzt, die sich mit unseren Problemen nicht auskannten. Die Kulturbranche fällt in vielen Bereichen durch die üblichen Raster. Bei uns gibt es nicht immer reguläre Bürozeiten und Verträge. Schauspieler sind beispielsweise oft nach Gage und nicht nach Pensum angestellt. Die standardisierten Formulare der Behörden funktionieren für diese Branche nicht.

«Ich wurde quasi ein Sorgentelefon für die Betroffenen in meinem Umfeld.»

Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, den Behörden mein Leben und meine Branche zu erklären. Das war zermürbend. Gewisse heute geltenden Formulare habe ich dann mit den Behörden gemeinsam erarbeitet.

zentralplus: Konntest du am Ende aber von den staatlichen Unterstützungsgeldern profitieren?

Fuchs: Es hat mich 1'000 Nerven und noch mehr Telefonate gekostet, aber ja, schlussendlich hat es geklappt. Aufgeben war aber auch nie eine Option. Ich hatte Angst, dass mein Leben flöten geht. Und als Arbeitgeber hätte ich andere mitgerissen, wenn ich aufgegeben hätte. Ich wurde quasi ein Sorgentelefon für die Betroffenen in meinem Umfeld.

Was mich ebenfalls beruhigt: Uns als Theatergruppe wird es in den nächsten Jahren weiterhin geben. Unsere Leute haben ihre Ausfälle grösstenteils kompensieren können.

zentralplus: Was hättest du gemacht, wenn du keine finanzielle Unterstützung bekommen hättest?

Fuchs: Ich hätte mir auch ohne Unterstützung helfen können. Das ist mein Naturell. Ich bin kein Herumsitzer-Typ. Um mich selbst war ich eigentlich nie besorgt, aber ich finde Solidarität wichtig.

Ich kann nur für mich reden. Für jeden läuft es anders, es gibt eigentlich nur Einzelfälle – was es für die Behörden auch nicht einfacher macht.

«Wenn man den eigenen Beruf faktisch nicht mehr ausüben darf, kommt schnell das Gefühl auf, dass man nicht mehr gebraucht wird.»

zentralplus: Hast du neue Wege gesucht oder andere Konzepte ausprobiert?

Fuchs: Absolut. Ich habe digitale Workshops für Schulen gegeben – was überraschend gut lief. Aber für Theateraufführungen gibt es in meinen Augen keine Alternativen. Stücke über Zoom zu zeigen oder aufzuzeichnen macht für mich keinen Sinn. Theaterstücke sind Live-Erlebnisse. Sie sind auf die Nähe zum Publikum angelegt.

zentralplus: Gab es in diesem Jahr einen prägenden Moment für dich?

Fuchs: Ein positiv prägender Moment war die Zusage für eine ganze Hörspielreihe, die wir produzieren durften. Unsere abgesagte Theatertournee konnten wir somit durch ein anderes Grossprojekt ersetzen. Toll war auch, dass wir einige Leute aus der weggebrochenen Tournee für das Hörspiel-Projekt anstellen konnten.

zentralplus: Gab es auch einen negativen Moment?

Fuchs: Keinen spezifischen. Aber negative Phasen gab es immer wieder. Dank meiner finanziellen Situation war ich einigermassen gut gebettet – aber ich bin kein Musterbeispiel für die Branche. Moralisch ist so eine Krise aber nicht leicht wegzustecken. Wenn man den eigenen Beruf faktisch nicht mehr ausüben darf, kommt schnell das Gefühl auf, dass man nicht mehr gebraucht wird.

«Ich hoffe, dass die Kunstschaffenden durchhalten und nicht alle umsatteln und in Büros abwandern.»

zentralplus: Die Krise dauert an, wie sieht die Zukunft für dich aus?

Fuchs: Im Winter mache ich eigentlich den Halbjahresumsatz, aber im November wurden mir rund 27 Aufträge abgesagt. Ich verstehe die Absagen natürlich, aber für mich bedeutet das: Scheisse.

Und fürs neue Jahr: Ich stecke wieder in derselben Situation wie vor dem ersten Lockdown. Ab Januar bin ich wieder ausgebucht – aber das ist eine theoretische Sicherheit. Einen anderen Job kann ich nicht annehmen, weil ich ja eigentlich ausgebucht bin. Und weil sich die Lage wöchentlich ändern kann, ist es auch unmöglich, vorausschauend zu planen.

Ich mache mir ernsthaft Gedanken, wie es mit mir weitergeht. Mein Leben besteht aus dieser Arbeit. Und wenn man nun gesagt bekommt, dass es dein Leben nicht mehr gibt, dann hat man daran zu kauen.

zentralplus: Was hoffst du für die Zukunft der Branche?

Fuchs: Ich hoffe, dass die Kunstschaffenden durchhalten und nicht alle umsatteln und in Büros abwandern. Denn wir wollen arbeiten. Die junge Künstlergeneration will nicht chillen und abwarten. Die Szene soll in einer möglichst grossen Vielfalt weiterbestehen. Das Live-Erlebnis darf nicht verloren gehen. Das wäre für die Gesellschaft fatal.

Was Fuchs die letzten Monate umtrieb und was er vom Jahr 2020 generell hält, siehst du im Video:

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