Sammlung Rosengart

«Die Ausstrahlung von Picasso war magisch»

Wo früher Bankdirektoren Konferenzen abgehalten haben, dürfen sich jetzt die Museumsbesucher entspannen. (Bild: Flavia Rivola)

Die Sammlung Rosengart in Luzern geniesst in der internationalen Kulturszene einen hervorragenden Ruf. Doch im eigenen Land scheint der Prophet weniger zu gelten. Anders ist es kaum zu erklären, dass das Museum vorwiegend von Touristen und kaum von Einheimischen besucht wird. Wir sprachen mit Angela Rosengart über dieses Phänomen und ihre Beziehung zu Pablo Picasso.

Luzern beherbergt einen Schatz. Einen Kunstschatz. Mitten in Luzern liegt er, an der Pilatusstrasse 10, zwischen Globus und Kantonalbank, nur ein paar Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Es ist die Sammlung Rosengart: über 300 Gemälde und Skulpturen von 32 Malern aus dem Impressionismus und der klassischen Moderne. Sie enthält Werke von Pablo Picasso, eine ansehnliche Anzahl Bilder von Paul Klee sowie Bilder von weiteren Malern dieser Epochen wie Cézanne, Monet, Mirò und vielen mehr.

Der Name Rosengart ist in der internationalen Kunstszene ein Begriff. Nicht weniger als fünfmal wurde die Luzerner Kunsthändlerin Angela Rosengart von Pablo Picasso porträtiert und damit unsterblich gemacht. Es ist ihre Privatsammlung, die hier betrachtet werden darf.

Ich treffe die 81-jährige Grande Dame der Kunst zum vereinbarten Termin im Museums-Foyer an der Pilatusstrasse. Höchstpersönlich führt sie mich durch die Räume. Wie Angela Rosengart ist auch das 2002 eröffnete Museum weit über die Landesgrenzen hinaus (international) ein Begriff. Täglich gehen zahlreiche Touristen aus aller Welt in dem neoklassizistischen Gebäude aus dem Jahr 1924 ein und aus. Nur einheimische Besucher finden selten den Weg in die ehemaligen Räumlichkeiten der Schweizerischen Nationalbank.

zentral+: Frau Rosengart, besuchen wirklich keine Schweizer das Museum?

Angela Rosengart: Die Besucher sind tatsächlich eher international. 
Sie holt das Gästebuch. Es enthält aktuelle Einträge von Besuchern aus den Kontinenten Australien, Amerika und Asien und aus dem europäischen Raum. Erst nach etwa zehn Seiten finden wir einen Eintrag aus der Schweiz: Lausanne.

zentral+: Und warum kommen die Schweizer nicht?

Rosengart: Schwierig zu sagen. Vielleicht haben sie das Gefühl, das Museum sei ja sowieso da und sie könnten es immer besuchen. Als ausländischer Tourist hingegen will man vom Land möglichst viel auf einmal sehen.

zentral+: Sicher gab es auch schon Prominente hier zu Besuch?

Rosengart: Vor wenigen Jahren führte ich den italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano durch das Museum. Und als Kaspar Villiger Bundespräsident war, brachte er den gesamten Bundesrat auf dem «Schulreisli» hierher.

zentral+: Welche Bedeutung hat das Museum für die Stadt Luzern?

Rosengart: Mittlerweile hat die Stadt die grosse Bedeutung des Museums erkannt.

zentral+: Das war nicht von Anfang an so?

Rosengart: Nein. Doch inzwischen erhalten wir jährlich von Stadt und Kanton Luzern eine vereinbarte Summe zur Unterstützung. Die Eintritte alleine reichen nicht aus, um selbsttragend zu sein.

zentral+: Der Wert der ausgestellten Objekte ist enorm. Wie ist es für Sie, einen solchen Schatz zu hüten? Haben Sie keine Angst vor einem Kunstraub?

Rosengart: Unsere Situation ist nicht zu vergleichen mit einem bewaffneten Raubüberfall wie es ihn beispielsweise 2008 im Bührle-Museum in Zürich gegeben hat. Dieses befindet sich ausserhalb der Stadt in einer bis dahin praktisch ungesicherten Privatvilla. Hier in Luzern liegen wir zentral und der Polizeiposten ist drei Minuten weit weg. Das Gebäude gehörte ursprünglich der Schweizerischen Nationalbank, daher wurde bereits beim Bau auf Sicherheit geachtet. Zudem sind die Bilder mit Kameras und Alarmanlage gesichert. Als die Bilder noch bei mir zuhause hingen, war es eigentlich viel gefährlicher.

zentral+: Sie haben die Bilder in diesem Museum zusammen mit Ihrem Vater privat gesammelt. Das Museum wurde nur möglich, indem Sie eine Stiftung gegründet haben. Wie kam es zu der Stiftung Rosengart?

Rosengart: Kurz vor dem Tod meines Vaters 1985 haben wir gemeinsam überlegt, was mit unseren Bildern geschehen soll. Da ich selber keine Nachkommen habe und wir die Bilder öffentlich zugänglich machen wollten, entschlossen wir uns für die Stiftung.

zentral+: Wussten Sie, als Sie mit Sammeln angefangen haben, dass Sie eines Tages einen solchen Schatz haben werden?

Rosengart: Nein. Das war ja auch nicht das Ziel. Wir haben die Bilder immer behalten, weil sie uns so sehr ans Herz gewachsen waren, dass wir uns nicht davon trennen konnten. 

zentral+: Nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder ausgesucht, die Sie behalten wollten?

Rosengart: (überlegt kurz) Ich kann es nicht sagen. Es war jedes Mal einfach ein Gefühl, aus dem Bauch heraus.

zentral+: Sie haben die Stiftung schon 1992 gegründet, das Museum aber erst 2002 eröffnet.

Rosengart: Einerseits wollte ich die Bilder noch etwas länger bei mir behalten, andererseits hatte ich noch kein geeignetes Gebäude gefunden.

zentral+: Das Museum befindet sich nun im ehemaligen Gebäude der Nationalbank. Wie haben Sie dieses gefunden?

Rosengart: Ein Mitglied des Stiftungsrats war befreundet mit dem Luzerner Filialleiter der Bank. Als er erfahren hat, dass die Bank den Umzug plant, hat er mich sofort benachrichtigt und gefragt, ob das nicht etwas für meine Sammlung wäre. Bei der Besichtigung habe ich sofort gemerkt: Das passt!

zentral+: Was hat das Gebäude gekostet?

Rosengart: (lacht) Sagen wir es so, mein ganzes Vermögen ist dabei draufgegangen.

zentral+: Ist es Ihnen nicht schwergefallen, die Bilder für die Stiftung herzugeben?

Rosengart: Am Anfang war es furchtbar schwer. Aber ich kann sie ja jederzeit hier im Museum anschauen.

zentral+: Haben Sie ein Lieblingsbild?

Rosengart: Das werde ich oft gefragt. Aber es sind alle meine Lieblingsbilder. Sie sind mir alle ans Herz gewachsen. Ein Bild von Klee (das x=chen, Anm. der Red.) hat eine etwas speziellere Bedeutung für mich, weil es das erste war, das ich selber gekauft habe.

zentral+: Sie kannten ja viele der Künstler persönlich.

Rosengart: Mein Vater kannte sie und hat mich ihnen vorgestellt als ich mit 16 Jahren bei ihm zu arbeiten begann. Da war beispielsweise Marc Chagall, der uns viele Bilder geschenkt hat und für unsere Galerie einige Titelseiten der Kataloge gestaltet hat. Marino Marini hat von meinem Vater eine Büste angefertigt. Oder Joan Mirò. Er hat immer Beschreibungen zu seinen Bildern mitgeschickt. Und natürlich Pablo Picasso, dessen Werke ab 1938 das ganze Erdgeschoss und einen Teil im ersten Stock einnehmen.

zentral+: Es gibt fünf Picasso-Porträts von Ihnen. Wieso hat er Sie gezeichnet?

Rosengart: Mein Vater hat Picasso seit 1914 gekannt. 1954 waren wir in Vallauris, im französischen Dorf, wo Picasso damals gewohnt hat. Zufällig haben wir ihn dort angetroffen. Wir haben uns mit ihm unterhalten und plötzlich fragte er, ob er mich zeichnen dürfte. So entstand das erste Porträt. Da war ich 22 Jahre alt. Beim zweiten Besuch hatte ich eine andere Frisur. Da sagte er, er müsse mich deswegen nochmal porträtieren. Und so ging das weiter.

zentral+: Wie reagierte Ihr Umfeld auf die Porträts?

Rosengart: Meinem Vater wurde von Geschäftsleuten sogar Geld angeboten. Er sollte dafür Picasso fragen, ob er ihre Ehefrauen porträtieren würde. Doch das hat er natürlich nicht getan. Man konnte Picasso nicht einfach Aufträge geben. Über seine Sujets pflegte er zu sagen: Ich suche sie nicht, ich finde sie.

zentral+: Picasso galt als Macho. Gab es da keine Gerüchte über ein Verhältnis?

Rosengart: (schmunzelt) Doch, natürlich gab es die. Picasso war ja berühmt für seinen Erfolg bei Frauen. Doch es lief alles sehr gesittet ab. Mein Vater war beim Porträtieren immer dabei. Ich habe Picasso stets als höflichen, lieben Menschen erlebt, der nie aufdringlich war.

zentral+: Wie war er denn so?

Rosengart: Picasso hatte eine unglaubliche Ausstrahlung bis ins hohe Alter. Man hatte jeweils das Gefühl, dass er einen mit seinen Augen richtiggehend auffrisst. Es ging etwas wie eine Magie von ihm aus. Ich habe nie wieder jemanden erlebt, der eine solche Ausstrahlung hatte.

zentral+: Sie haben die ehemalige Schalterhalle ganz seinem Spätwerk gewidmet, das er kurz vor seinem Tod gemalt hat.

Rosengart: Nach einer schweren Operation 1965 hat sich der Stil von Picasso stark verändert und die zu dieser Zeit gemalten Bilder wollte niemand mehr haben. Da haben wir sie einfach selber behalten, weil sie uns so gut gefielen. Mittlerweile ist man sich wieder bewusst geworden, dass auch diese Werke wundervoll sind und wir könnten an Auktionen hohe Preise dafür erzielen. Aber wir geben sie nicht her.

zentral+: Wie hoch schätzen Sie den Gesamtwert Ihrer Bilder?

Rosengart: Ich möchte, dass die Leute in meinem Museum die Kunst und nicht Banknoten an den Wänden hängen sehen.

zentral+: Werden Sie die Ausstellung noch erweitern?

Rosengart: Nein, das ist nicht geplant. Erstens kann ich mir bei den heutigen Preisen keine weiteren Bilder mehr leisten. Zweitens ist die Sammlung jetzt schön luftig angeordnet und in sich abgeschlossen. Ich bekomme immer wieder positive Feedbacks, dass die Leute sich wohlfühlen, eben weil die Bilder nicht so dichtgedrängt sind.

zentral+: Wieso sind Sie eigentlich Kunsthändlerin geworden?

Rosengart: Das liegt in der Familie. Mein Vater Siegfried hat 1920 in Luzern für seinen Onkel eine Niederlassung der Galerie Thannhauser aus München an der Haldenstrasse eröffnet. 1937 wurde daraus die Galerie Rosengart. Ich habe das Geschäft von meinem Vater übernommen.

zentral+: Gibt es die Galerie Rosengart noch?

Rosengart: Das Gebäude wurde 1970 abgerissen. Wir verlegten sie in unser Wohnhaus. Ich betreibe immer noch Kunsthandel, allerdings nur noch gelegentlich.  Hauptsächlich bin ich als Stiftungsratspräsidentin tätig.

zentral+: Haben Sie nie probiert, selber zu malen?

Rosengart: (schüttelt lachend den Kopf) Nein, nie. Ich war immer von Meisterwerken umgegeben, da habe ich mich das gar nicht getraut.

zentral+: Welche Fähigkeiten sind als Kunsthändlerin gefragt?

Rosengart: Mein Vater hat mir beigebracht, dass man diesen Beruf mit Liebe ausüben muss. Die Bilder muss man aussuchen, als wären die Bilder für einen selbst. Dabei entwickelt man dann auch das Auge und den Geschmack. Der Kunde spürt das. Er spürt, ob ein Galerist voll und ganz hinter dem Bild, das er verkaufen will, steht oder nur Profit damit machen will.

zentral+: Ist es schwierig als Frau im Kunsthandel zu bestehen?

Rosengart: Im Allgemeinen nicht. Nur ein Erlebnis ist mir wirklich präsent: Als mein Vater starb, fragte mich ein mit ihm befreundeter Kunsthändler aus Deutschland, was ich denn jetzt machen wolle. Ich antwortete, dass ich die Galerie weiterführe. Da fragt er mich doch: «Ja können Sie denn das?» Ich denke, wenn ich ein Mann gewesen wäre, hätte er mich das niemals gefragt. Schliesslich hatte ich 38 Jahre mit meinem Vater zusammen gearbeitet. Daraufhin befielen mich plötzlich Zweifel und ich hatte sogar eine richtige Krise. Dann aber dachte ich: Dem zeig ich es. Als der besagte Kunsthändler dann einige Zeit später das erste Bild bei mir kaufte, war ich sehr stolz auf mich.

zentral+: Mussten Sie für Ihre Karriere je Opfer bringen?

Rosengart: (überlegt lange) Nein, eigentlich nicht. Höchstens, dass ich darauf verzichten musste, Archäologie zu studieren. Aber mein Vater kaufte mir all die Bücher, die mich interessierten. Er brachte mir bei, dass man auf eigene Faust genauso viel lernen kann wie an der Universität.

zentral+: Haben Sie eine andere Ausbildung gemacht?

Rosengart: Ich habe nach den neun Grundschuljahren mit 16 Jahren direkt in der Galerie angefangen zu arbeiten. Es war alles «Learning by doing».

zentral+: Sie haben nie eine eigene Familie gegründet, wieso nicht?

Rosengart: Diese Frage hat sich mir einfach nie gestellt. Ich wollte mit meinem Vater zusammen den Kunsthandel führen und das habe ich gemacht. Ausserdem: Wenn ich eine Familie hätte, gäbe es das Museum jetzt nicht, dann wären die Bilder einfach der nächsten Generation weitervererbt worden. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 17.07.2013, 20:07 Uhr

    Ganz ganz toller Text. Wann wurde denn das Museum eröffnet? Im Mai?

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