Eine humoristische Achterbahnfahrt im Madeleine

Deville springt nach Ohrfeige vom Balkon

9 Volt Nelly (Jane Mumford und Lea Whitcher) aus Zürich

(Bild: Laura Livers)

Seit 2014 präsentieren Johnny Burn und Albi Christen «Comedy im Madeleine» – eine Plattform für Stand-ups, Slammer, Kleinkünstler und Unterhalter. Der regelmässig ausverkaufte Donnerstagabend machte uns neugierig, also hat sich zentralplus unter das Publikum gemischt.

Der Abend begann nicht gut. Verschneit und durchgefroren finden wir uns ein. «Vielleicht gibt es noch einen Barhocker, sonst müsst ihr hinten stehen», entschuldigt sich Albi Christen im Vorbeigehen. «Es ist die letzte Show vor der Sommerpause und wir sind voller als voll.» Tatsächlich, der Raum ist prall gefüllt, knapp 100 Sitzplätze Parterre und Balkon, und zirka 40 stehende Leute. Wir suchen uns hinten ein Plätzchen mit ein wenig Wand zum Anlehnen und die Show beginnt.

Johnny Burn, der die Reihe seit Beginn moderiert (zentralplus berichtete), macht den Anfang. Er ist ein Routinier im Madeleine, das merkt man. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Seine Witze sitzen, wirken aber nicht neu. «Assimilation geschieht durch Sprache», erklärt Burn. «Das klang bei uns etwa so: Wie geht’s?» Das Publikum antwortet: «Muss.» «-au chocolat», witzelt Burn weiter. Das Publikum scheint’s lustig zu finden und lacht brav.

Als erste Gäste steht 9 Volt Nelly auf der Bühne. Die zwei Zürcherinnen traten vor drei Jahren das erste Mal auf und gehören mittlerweile zu den Shooting-Stars der Comedy-Nachwuchsszene. An diesem Abend präsentierten sie sich als Frau Heini und Frau Schmidli, zwei fesche Damen, die während ihrer morgendlichen Jogging- und Aerobic-Session in Reimen über die Weltwirtschaft sinnieren. Dabei handeln sie so innerhalb von fünf Minuten den Gewissenskonflikt einer ganzen Gesellschaft ab. Zwischen Hasstiraden auf chauvinistische Delphine, dem Aufruf nach einer Frauenquote im Jihad und bösen Seitenhieben auf Andreas Thiel zeigt sich, dass 9 Volt Nelly die «Political Correctness» nicht zum Frühstück gegessen haben.

Was ist eigentlich gute Comedy?

Mit dem nächsten Gast tritt ein Urgestein der Schweizer Comedy-Szene auf die Bühne: Rob Spence. Der gebürtige Australier treibt seit Jahrzehnten sein Unwesen in den grossen Veranstaltungen wie Salto Natale, Das Zelt oder dem Arosa Humor Festival. Der bediente Humor ist dann auch auf das 8-Uhr-Samstagabend-SRF-Publikum zugeschnitten: Ein paar Witze über den grossen Kleiderschrank seiner Frau, Anekdoten über seine Kinder, die Technik wie Weltmeister beherrschen, aber sonst nichts können, über die Anzeichen des Älterwerdens, und zum Schluss eine Impression eines Schönling-Italieners, inklusive angeklebtem Dalí-Schnauzbart. Haben wir das nicht alles schon zigfach gehört?

Der unangekündigte Gast

Nach der Pause setzt sich Herr W an einen kleinen Tisch auf der Bühne und liest die Regieanweisungen zu einem Mikrophontest vor. Der unbekannte, weil in der Ankündigung unerwähnte Künstler liest in schönstem Bühnendeutsch von einem Paket, das er gleich Frau Hoffmann, die im Publikum sitzt, aber nicht Hoffmann heisst, ab diesem Zeitpunkt aber als Frau Hoffmann auf der Strasse erkannt werden wird, in die Hände drücken wird. Herr W scheint keine Angst vor Pausen zu haben; in ewig gleich bleibendem Tempo erzählt er diese scheinbar pointenlose Geschichte, führt die Handlungen aus und zieht das schmunzelnde Publikum in seinen Bann.

Ein kurzer Google-Check im Dunkeln erklärt dann auch, wie ein scheinbar unbekannter Kleinkünstler solch ein Programm mühelos tragen kann: Herr W heisst im richtigen Leben Christof Wolfisberg, seines Zeichens 50 Prozent des Duos «Ohne Rolf». Ein freiwilliger Helfer aus dem Publikum klaut ihm spontan die einzige Pointe seiner Nummer, anstatt den Gartenzwerg mit dem Hammer zu zerschlagen, reisst er Herrn W die Perücke vom Kopf, worauf dieser spontan seinem Skript ein improvisiertes Ende hinzufügen muss. Der frenetische Applaus zum Schluss war wohlverdient.

Der Seemannsköpfler

Nach Herrn W. tritt Dominic Deville auf die Bühne. Der SRF-Nachfolger von Giaccobo/Müller, scheinbar planlos, eröffnet seine Nummer mit einer derben Anekdote über Gin Tonics in der Hose und Hausverbot in diversen Hotels und Clubs im Bernbiet, nur um dann mit Flüchen getränkt über das neuste Verbrechen der deutschen Filmszene abzuhaten: Bibi und Tina. Augenblicklich veränderte sich die Stimmung im Saal. Wo vorher brav mitgelacht wurde, hört man nun ungläubiges Schnauben, Köpfe werden geschüttelt und es wird gekichert, was das Zeug hält.

Deville aber will vor allem eines: seinen Traum, einmal vom Madeleine-Balkon zu springen, erfüllen. Passend dazu brachte er ein ganzes Skript mit, welches nun mit dem Publikum geprobt wurde. «Ich komm auf die Bühne und ihr buht mich aus. Dann kommst du aus der ersten Reihe, verpasst mir eine Ohrfeige und dann läuft Céline Dion.» Die Dame aus dem Publikum kommt auf die Bühne und schmiert Deville eine, bevor er Zeit hatte, den Trick mit der Theaterohrfeige zu erklären. Dieser nimmt es mit Humor und springt probehalber von der Bar aus in Publikum. Dann beendet er seine Nummer und der ganze Saal fragt sich: Wird der Luzerner wirklich zum Schluss der Show von diesem Balkon springen?

Wird er es tun?

Dann kommt wieder 9 Volt Nelly. Diesmal als Whiskey Sisters, zwei leicht debile Texanerinnen in kitschigen Western-Kleidern, die in schönster Country-Manier mit Gitarre und Rassel den dummen Amerikaner karikieren. Und obwohl die Lieder gut gemacht sind, die Choreografien präzise einstudiert und die Pointen zielgenau abgeliefert, sitzen wir wie auf Nadeln, gespannt auf das grosse Finale der Show.

Und tatsächlich, Deville tritt hinter dem Vorhang hervor und das Publikum buht unflätig. Die Dame aus der ersten Reihe stürmt auf die Bühne und verpasst Deville, genau so heftig wie in der Probe, eine Ohrfeige. Zu den Klängen von Céline Dions «My Heart Will Go On» holt er sich an der Bar zwei Shots, stürmt auf den Balkon und klettert über das Geländer. «Ich springe jetzt denn grad. Sobald du det mitem Bart au dini Händ dobe hesch», heult er noch gespielt ins Mikrofon. Und dann springt er und der Saal tobt.

Dieser Abend im Madeleine war eine Achterbahnfahrt, sind wir uns zum Schluss einig, und zeigte, dass «lustige» Unterhaltung mit all ihren Facetten natürlicherweise Geschmackssache ist.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon