Pedro Lenz liest in der Ägerihalle

Der Anti-Held Jackpot und «di schöni Fanny»

Christian Brantschen & Pedro Lenz.

(Bild: zvg.)

Spätestens seit der preisgekrönten Verfilmung seines Romans «Der Goalie bin ig» 2014 ist der Dichter und Schriftsteller Pedro Lenz dem Schweizer Publikum ein Begriff. Am Sonntagabend war er zu Gast in der Ägerihalle, um aus seinem neusten Buch zu lesen.

«Di schöni Fanny» heisst das im Herbst 2016 erschienene Werk. Und handelt auch, wie der Titel es verspricht, von der schönen Fanny. Aber eigentlich geht es um «Jackpot», der sonst Frank heisst, der die schöne Fanny unbedingt haben will, obwohl sie seine Antimuse ist. Aber dazu gleich mehr.

Im weinroten Anzug, mit Muhammad-Ali-T-Shirt, den grossen Silberringen an der rechten Hand und leicht ergrauten Haaren betritt Lenz die Bühne. Hinter ihm folgt der Pianist und Komponist Christian Brantschen. Obwohl Lenz sein Buch in der Hand hält, den Zeigefinger schon auf der ersten Lesestelle bereit, tritt er einige Schritte vom Mikrofon zurück und überlässt es Brantschen, den Auftakt in diese Lesung zu bestreiten. Die Klaviermusik in Dur verspricht uns eine Liebesgeschichte, leicht melancholisch, vielleicht restrospektiv, und als Lenz zu sprechen beginnt, ist es doch anders.

Mit dröhnendem Bariton erzählt er uns die Gedanken von Jackpot, dem Autor ohne Buch und Lebemann fortgeschrittenen Alters, an dem Tag, als er die schöne Fanny das erste Mal sah.

Ein neuer alter Hut

Die Geschichte ist eigentlich ein alter Hut: Ein männlicher, semi-erfolgreicher Künstler, begegnet einer unschuldigen jungen Frau und will sie haben. Dann folgt ein Katz-und-Maus-Spiel à la: Er-will-sie-und-sie-ihn-auch-aber-aus-Gründen-geht-das-nicht – und am Schluss folgt ein bittersüsses Ende, bei dem keiner den anderen hat, aber doch glücklich ist.

Er wirft unweigerlich die Frage auf, ob die Figur Jackpot eigentlich Pedro Lenz ist.

Und was macht das Buch «Di schöni Fanny» dann doch so lesens- oder besser hörenswert? Einen grossen Beitrag leistet sicher Lenz selbst, der mit seiner Präsenz auf der Bühne praktisch zu Jackpot selbst wird. Kokettierend erzählt er, Lenz, der Autor, der ein Buch schreibt über Jackpot, den Autor, der ein semi-autobiografisches Buch schreibt und im Gespräch mit seinem Malerfreund Louis behauptet, dass gute Kunst auf der Realität basieren muss, und so unweigerlich die Frage aufwirft, ob darum Jackpot eigentlich Lenz ist.

Ohne Punkt und Komma gibt uns Lenz Einsicht in die inneren Vorgänge des Anti-Helden Jackpot – seine Verärgerung über das verpasste Lächeln, das er Fanny schenken wollte, seine Nonchalance gegenüber der exzessiven Lebensweise, die seine Freunde an den Tag legen, seine abschätzigen Bemerkungen über den erfolgreichen Bruder, der sein Leben finanziert, seine Eifersucht.

Und dazwischen, darüber und darunter die Klaviermusik von Brantschen. Erzählen sich Jackpot und Louis eine Geschichte über Spanien, erklingt raveleske Musik, Fanny wird mit 6/8-Takt angekündigt, Jackpots Eskapaden mit leichtem Blues unterlegt.

Von Nostalgie und Dialekt

Lenz beschwört eine leicht nostalgische Stimmung mit seinem Auftritt, man glaubt fast, die Geschichte spiele eigentlich vor 30 Jahren, als der Mythos des verschrobenen Künstlers im verrauchten Atelier noch aktuell war. Nur hin und wieder verrät die Geschichte, dass sie in der heutigen Zeit spielt, etwa wenn die Verlegerin in Basel mit einem Handy telefoniert.

Lenz vermittelt den Eindruck, dass er sein Buch in diesem Moment auf der Bühne erlebt.

Obschon das Buch in Dialekt geschrieben ist, merkt man beim Zuhören, dass die Sprache auf dem Papier genau die Sprache ist, die Lenz auch im Alltag bedient. Zwischendurch übernimmt er die Funktion des Erzählers, um quasi improvisiert ein Kapitel zusammenzufassen, um die Handlung voranzutreiben, ohne dass der Redefluss gebrochen wird.

Der einzige Hinweis, den er gibt, ist der Blick ins Publikum, das Buch zugeklappt an seiner Seite. Lenz vermittelt den Eindruck, dass er sein Buch in diesem Moment auf der Bühne erlebt, Pedro Lenz der Autor wird zu Pedro Lenz dem Erzähler, wird zu Jackpot, der die schöne Fanny haben möchte, um sich nicht mit seinem Buch beschäftigen zu müssen.

«Ich entscheid sälber, mit wem i was mache.»
Figur Fanny

Dass Fanny während der ganzen Geschichte höchst selten zu Wort kommt, stört in diesem Falle nicht gross. Die schöne Fanny, die Muse, behält während des Buches ihren Symbolcharakter. Sie ist die verlorene Jugend, die vergangenen Abenteuer, das verpasste Und-sie-lebten-glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage. «Ich entscheid sälber, mit wem i was mache. Würsch mi känne, wüsstisch das», wirft sie ihm an den Kopf. Jackpot lässt sich davon aber nicht beeindrucken und geht lieber in die Bar, um mit seinen betrunkenen Musikerkollegen zu schwatzen.

Ob dieses Glück denn auch wirklich eintrifft, lässt Pedro Lenz in seiner Lesung offen. Das zahlreich erschienene Publikum stört sich daran nicht sonderlich und applaudiert kräftig.

Achtung Spoiler-Alarm: Ein kurzer Blick in den Roman verrät aber, dass Jackpot sein Buch tatsächlich zu Ende schreibt, und die schöne Fanny noch nicht gänzlich aus seinem Leben und seinem Kopf verschwunden ist.

Christian Brantschen & Pedro Lenz.

Christian Brantschen & Pedro Lenz.

(Bild: zvg.)

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