Roundtable mit vier Thesen zur Kulturförderung

Davon träumt die Zuger Kultur: Hochhausatelier mit Seesicht

Vier Kulturschaffende an einem Tisch im Paettern Light-up-Atelier beim Zuger Bahnhof.

(Bild: lha)

zentralplus hat drei Zuger Künstler an einen Tisch gebeten. Dabei sind vier Thesen zur Zuger Kultur entstanden. Eine davon: Eine Wirtschaftsapokalypse wäre gar nicht so schlecht. Daraus jedenfalls könnte sich ein besonderer Traum der Kulturschaffenden realisieren lassen.

Kulturförderung ist ein Streitthema erster Güte. Nur: Einige werden in dieser Diskussion selten gefragt. Die Kulturschaffenden selbst. Denn so einheitlich wie erwartet ist deren Meinung gar nicht. Wir haben drei Zuger Künstler und die Stadtzuger Kulturbeauftragte an einen Tisch geholt und gefragt, wie’s um die Zuger Kultur denn so bestellt ist.

Am Tisch im Zuger light-up-Atelier Paettern haben vier Leute Platz genommen, die ein breites Spektrum der Kulturinteressen abdecken. Da sitzt zum einen die junge Zuger Musikerin Jasmin «Jazzmin» Lötscher (zentralplus berichtete). Zum andern ist da auch noch Daniel Züsli, der seit etwas mehr als einem Jahr als Bildhauer in Zug arbeitet. Ganz oben am Tisch sitzt Michel Kiwic, der mit dem Künstlerduo Hoffnung+Kiwi öffentlichkeitswirksame «soziale Skulpturen» erschuf (zentralplus berichtete). Neben ihm: Jacqueline Falk, die Leiterin der Stelle für Kultur der Stadt Zug.

Das Gespräch zielt auf die ganz grossen Dinge. Um es in mundgerechte Stücke einzudampfen, kommen hier drei Thesen zur Zuger Kultur, die angenehm überraschen. Plus eine, die ein wenig Angst macht.

Die erste These: Kunst macht man, weil man nicht anders kann.

Daniel Züsli: Momentan befinde ich mich in der Testphase, ob das mit diesem Lebensstil als Bildhauer funktionieren könnte. Dazu braucht’s einfach Zeit. Ich hoffe, es ist nur die Zeit. Ich habe eigentlich ideale Bedingungen hier gefunden.

Jacqueline Falk: Aber wie definierst du «funktionieren»?

Daniel Züsli: Wenn ich damit leben kann und mir darüber hinaus auch etwas Bünzlitum leisten kann! Im Moment funktioniert das so, weil ich gute Leute rund um mich herum habe, die mich unterstützen. Ich glaube nicht, dass man Teilzeitkünstler sein kann. Also entweder klappt das jetzt oder es bleibt halt ein Hobby.

Michel Kiwic: Ich glaube nicht, dass Kunst funktionieren kann oder nicht. Ich glaube, man muss einfach das machen, was man will. Bedingungslos. Es ist mehr ein Müssen. Es gibt einfach keine Option. Und für alle, die denken, dass es Optionen gibt: Super! Ihr könnt etwas anderes machen.

Die zweite These: Gute Kultur braucht Spielplätze.

Daniel Züsli: Ich bräuchte etwas wie einen Robinson-Spielplatz. Das war früher richtig Kinderanarchie da. Ich habe dort viel gelernt. Vielleicht nicht nur Gutes. Aber ich hatte dort viel Raum und konnte viel testen und machen und tun. Die Aufpasser haben jeweils nur gehofft, dass kein Kind mit einem Nagel durch den Fuss angerannt kommt. Ab und zu passierte das natürlich.

Jacqueline Falk: Das ist dieses Konzept aus den Sechzigerjahren, wo man den Kindern einfach Platz zur Verfügung stellte und sie machen liess, was sie wollten.

Michel Kiwic: Das klingt eigentlich nach einem ziemlich guten Konzept für Kulturförderung: Es kostet wenig, man bekommt Material und kann damit machen, was man will.

Jacqueline Falk: Das wäre dann ein Gegenkonzept zur Musikschule, wo alles sehr strukturiert ist.

Jasmin Lötscher: Ich habe das Gefühl, ich bin ziemlich «kulturell» aufgewachsen. Ich hatte Glück mit meinem Umfeld, mit den Eltern und auch mit dem Kanton: Die Musikschulen sind gut in Zug.

Jacqueline Falk: Kultur fördert man mit Institutionen wie der Musikschule, es braucht aber auch Freiräume, Raum für kreative Spielplätze und natürlich brauchen die Künstler genug Zeit. Und Zeit ist wiederum Geld. Und da sind wir wieder bei der Kulturförderung.

Die dritte These: Die Kulturszene künstlich zu beatmen, bringt’s nicht.

Michel Kiwic: Ich glaube, man muss nicht wegen der Kultur nach Zug kommen. Aber man kann sehr gerne wegen den Kulturschaffenden nach Zug kommen. Es gibt mittlerweile sehr viele aus sich selbst heraus motivierte Leute hier, die mit einer grossen Leichtigkeit ihre Sachen machen. Gerade im Musikbereich. Oder auch im Theater.

Ich glaube aber, ich bin der Falsche für die Frage, ob es eine Szene braucht. Ich habe bereits zehn oder zwölf Jahre versucht, meinen Weg zu finden. Und inzwischen habe ich so viele Möglichkeiten, weil ich so viele Leute an den verschiedensten Orten in Zug kenne. Ich brauche die Szene wahrscheinlich nicht mehr. Aber die Jüngeren brauchen das.

Jasmin Lötscher: Ich finde, die Kunstszene hat nichts mit der eigenen Kunst zu tun. Ich trenne das für mich sehr strikt. Ich mache Kunst und ich mache das für mich. Aber das hat nichts mit einer Szene zu tun.

Jacqueline Falk: Und trotzdem ist man dann Teil der Szene.

Jasmin Lötscher: Ja, aber das ist nicht bewusst passiert.

Daniel Züsli: Wenn man die Gesellschaft so anschaut, dann glaube ich, dass der Künstler ein Indikator dafür ist, ob die Gesellschaft funktioniert, so wie sie ist. Und wenn man mit künstlicher Kreativen-Ansiedlung etwas am Leben erhält, dann schraubt man ja sowieso bereits an einem kaputten Auto.

«Obwohl sich der Lautstärkepegel meist sehr in Grenzen hält, hören viele Menschen hier lieber den Zug vorbeirasen als den Nachbarn Posaune spielen.»
Jasmin Lötscher

Die vierte These: Die Wirtschaftsapokalypse steht bevor. Aber das ist für Kulturschaffende vielleicht ganz gut.

Daniel Züsli: Wir reden hier von Freiräumen, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob die Leute in Zug überhaupt noch mehr Freiräume wollen. Es hätte ja eigentlich schon genug. Ich meine, in Berlin beispielsweise will man den Raum und nimmt ihn sich auch. Aber in Zug haben die meisten Leute ja auch schon genug mit ihrem Business am Hut.

Michel Kiwic: Ja, ich habe auch relativ lange das Gefühl gehabt, dass man dagegen ankämpfen muss. Aber eventuell muss man das gar nicht. Zug ist weltweit ein Thema, zwar nicht in der Kultur, aber in der Wirtschaft. So ist Zug auch relativ einzigartig und das ist doch eigentlich sehr schön. Vielleicht heisst das auch, dass wir ein wenig weichen müssen. Ich meine, wenn wir die Einzigen auf dem Spielplatz sind, die Fussball spielen wollen, und alle andern wollen Eishockey spielen, dann müssen wir vielleicht auf einen anderen Spielplatz.

Jasmin Lötscher: Als Musiker wird man bei der Arbeit, insbesondere beim Üben, oftmals gar nicht toleriert – es gibt keinen Raum dafür. Das Problem liegt darin, dass es in unserer Kultur keinen Platz für hörbare Kreativarbeit gibt. Ich kenne das von meinem Wohnort, aber auch an der Hochschule ist das mit den Nachbarn ein stetiges Problem. Obwohl sich der Lautstärkepegel meist sehr in Grenzen hält, hören viele Menschen hier lieber den Zug vorbeirasen als den Nachbarn Posaune spielen. Zum Glück kann ich im Moment im Coiffuresalon meiner Mutter üben.

Daniel Züsli: Mich fragen die meisten immer nur: Funktioniert das? Kannst du davon leben? Anstatt, dass sie fragen: An was bist du gerade dran? Das wäre doch eigentlich viel interessanter.

Michel Kiwic: Ich finde, das ist wirklich noch ein guter Punkt, diese Wirtschaftskultur, die ist ja eigentlich völlig in Ordnung. Eigentlich sollte man die doch einfach machen lassen – in der Hoffnung, dass sie sich selber auffressen und dann als Phönix aus der Asche steigen.

Daniel Züsli: Nachdem sich alle andern gegenseitig aufgefressen haben, gäbe es dann richtig viele hohe Gebäude, um sie zwischenzunutzen. Richtig viel Raum.

Jacqueline Falk: Ateliers mit Seesicht …

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