Ein Kultur-Räumchen, das dem freien Markt trotzt

Das Zuger Paettern wird zum «Dilemma»

Laura Hürlimann, Rafael Casaulta und Severin Hofer im neuen «Dilemma». Nicht auf dem Bild ist Mitbetreiber Julian Wasem. (Bild: wia)

Vier Zuger wagen ein spannendes Experiment: Mit «Dilemma» möchten sie einen Raum für Kultur und Diskurs, auserlesene Getränke und schöne Dinge schaffen. Mit einem gewagten Finanzierungsmodell, das für die Wirtschaftsstadt Zug erfrischend ist.

Das ehemalige Paettern Lightup Atelier in Zug geht neue, verwegene und gleichermassen erfrischende Wege. Der 30 Quadratmeter grosse Treffpunkt an der Alpenstrasse in Zug, direkt beim Bahnhof, wurde 2014 von Patrick Bützer ins Leben gerufen und hat sich in den letzten Jahren zu einem kleinen Ausstellungsort, Shop und Treffpunkt gemausert.

Vor wenigen Monaten wurde das gemäss den Betreibern «bunteste Wohnzimmer der Stadt» in neue Hände übergeben. Hände, respektive Köpfe, die man in Zug schon längst aus der Kulturszene kennt. Um mehr über die Pläne für den Raum zu erfahren, treffen wir drei der vier Betreiberinnen gleich vor Ort.

So viel vorweg: Das Paettern soll weiterhin ein Treffpunkt sein. Wenn auch unter dem neuen Namen «Dilemma». Dieser kommt nicht von ungefähr. «Wir haben festgestellt, dass viele Orte, an denen man sich treffen kann, dieselbe Entwicklung durchmachen: Es ist schwierig, eine gewisse Regelmässigkeit bei den Besuchern zu schaffen. Die Frage ist, wie man einen solchen Ort kostendeckend betreiben kann, ohne sich von Subventionen abhängig zu machen und sich völlig dem freien Markt unterzuordnen», sagt Severin Hofer.

«Wenn man weiss, dass an gewissen Tagen und zu gewissen Zeiten der Alkoholverkauf gut läuft, könnte man sich zwar dafür entscheiden, eine reine Bar zu führen. Das möchten wir jedoch nicht. Unser Angebot soll vielfältig bleiben», sagt Hofer.

Haare schneiden lassen, Bier trinken, Bücher kaufen

Überspitzt formulieren es die Macherinnen in ihrer Broschüre wie folgt: «Der Name Dilemma ist Konzept. Hier kostet der Kaffee entweder nichts oder 100 Franken.» Die Realität ist natürlich komplexer. Wer Lust hat auf das «Dilemma»-Angebot, zahlt 100 Franken für einen Kalendermonat. Dieses Geld ist keine Spende, sondern ein Guthaben, das Abonnenten während eines Monats nach und nach aufbrauchen können.

Aufbrauchen, indem sie im «Dilemma» ein Bier trinken, ein Buch oder ein hübsches Designerstück kaufen, brunchen, arbeiten oder sich auf den Coiffeurstuhl setzen. «Ein Störfriseur wird einmal monatlich ins «Dilemma» kommen und Haare schneiden», sagt Laura Hürlimann. Auch Gutscheine für Veranstaltungen im Burgbachkeller können mit dem Guthaben gekauft werden.

Die Anzahl der verkauften Abos entscheidet darüber, wie oft das «Dilemma» in einem Monat offen sein wird. «Verkaufen wir 80 Abos, ist das ‹Dilemma› freitags, samstags und sonntags jeweils abends geöffnet. Bei 90 Abos kommt der Mittwoch dazu, bei 100 Abos der Montag», erklärt Hürlimann.

Laura Hürlimann und Severin Hofer sitzen im «Dilemma». (Bild: zvg)

Kultur, für einmal ganz übersichtlich

100 Franken für eine kuratierte Auswahl an Getränken, Veranstaltungen, Büchern und käuflichen Gegenständen. Ob dieses Konzept in unserer so freiheitsliebenden Gesellschaft mit ihren möglichst wenigen Verbindlichkeiten gut ankommt? Und, Hand aufs Herz, ist das Ganze nicht etwas erzieherisch? Rafael Casaulta sagt achselzuckend: «Dann muss man sich halt mal zu etwas verpflichten.» Tragisch findet er das nicht. Besonders, da sich die Abonnenten jeden Monat wieder bewusst für oder gegen den Beitrag entscheiden können.

«Vielleicht kann man das Modell mit einem Gemüsekorb vergleichen. Dort bekommt man ja auch eine Auswahl, die man selber nicht ausgewählt hätte.»

Severin Hofer, «Dilemma»-Mitbetreiber

Hofer sagt dazu: «Vielleicht kann man das Modell mit einem Gemüsekorb vergleichen. Dort bekommt man ja auch eine Auswahl, die man selber nicht ausgewählt hätte. Doch kann das ja durchaus inspirierend sein.» Und weiter: «Ich vergleiche es gern mit einem Tante-Emma-Laden. Wenn man in der Migros vor zwanzig Pastasorten steht, tendiert man dazu, immer dieselbe zu nehmen. Hat man nur zwei zur Auswahl, wechselt man eher ab.» Und weiter: «Indem wir das Angebot eindämmen, ermöglicht das den Leuten, sich für etwas zu entscheiden. Für Dinge, die man sonst aufgrund des ständigen Überangebots nicht mehr sieht.»

Eine Aura der 80er-Jahre umhüllt den Raum

Laura Hürlimann ergänzt: «Uns geht es darum, dass mit unserem Konzept eine kollektive Verantwortung entsteht. Dass wir etwa die Gestaltung des Raums und das Angebot vorantreiben können, je mehr Menschen ein Abo abschliessen.» Bereits jetzt merkt man dem Raum den neuen Drall des Teams an. Eine Aura der 80er umhüllt das Dilemma mit Designklassikern und ausgewählten, knalligen Objekten.

Dass die Betreiber mit ihrem verwegenen Konzept ein Experiment wagen, ist ihnen völlig bewusst. Mit dem monatlichen Abosystem dürfte es schwierig sein, längerfristig zu planen. Laura Hürlimann sagt dazu: «Im freien Markt hat man dieses Risiko genauso. Dort gibt es teils extreme Schwankungen. Ich denke da an all die Beizen, die über die Sommermonate stark leiden, wenn sie nicht direkt am See liegen.»

Das Konzept soll fluid bleiben

Das Konzept des «Dilemma»-Teams sei jedoch längst nicht in Stein gemeisselt. Hürlimann: «Wir sind da sehr fluid. Und wer weiss, vielleicht passen wir irgendwann die Abopreise nach unten an, wenn sich der jetzige Preis nicht bewährt. Was aber bedeuten würde, dass wir mehr Abonnentinnen bräuchten.»

Casaulta ergänzt: «Wir möchten den Leuten eins zu eins zeigen, welche Gestaltungsmacht sie als Konsumenten haben. Und wir hoffen natürlich, dass sie unser Angebot schätzen und dadurch wiederkommen.»

Ob das «Dilemma»-Prinzip funktioniert? Die Zeit wird es zeigen. Monat für Monat aufs Neue. Doch erst einmal wird Eröffnung gefeiert. Dies am kommenden Wochenende, am Freitag, dem 3. März von 17 bis 22 Uhr, am Samstag, 4. März, von 13 bis 22 Uhr, sowie am Sonntag, 5. März, von 10 bis 17 Uhr. Direkt für ein Abo verpflichten muss man sich übrigens nicht. Das erste Getränk geht aufs Haus.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit mit den Betreibern des «Dilemma»
  • Website des Kulturraums «Dilemma»
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