Intime Selbstporträtreihe einer Luzernerin

Das ungeschminkte Leben als werdende Mutter

«Ich war müde, zum Teil sogar ein wenig verloren. Denn ich gab für meine Kinder alles.» (Bild 4, 7 und 8)

(Bild: Noe Sonderegger)

Die Luzernerin Noe Sonderegger hat sich selbst über vier Jahre lang in Selbstporträts fotografiert. Mit ihren Kindern, aber auch alleine. Denn eine Mutter ist nicht nur Mutter, die einmal müde sein darf – sondern auch eine Frau.

Es ist ein einfacher, schwarzer Stuhl, auf dem Noe Sonderegger sitzt. Sie ist hochschwanger. Es ist das erste von acht Fotos der Selbstporträtserie Sondereggers. Während des Zeitraums von 2014 bis 2018 hielt die 34-Jährige ihre Erfahrungen als (werdende) Mutter fest. Diese sind an der «Photo 19» in Zürich zu sehen, der grössten Fotoausstellung schweizweit. An dieser zeigen vom 10. bis zum 14. Januar rund 200 Schweizer Fotokünstler ihre neuen Werke (siehe Box am Ende des Textes).

«Es sind keine Selfies – sondern Fotos meines Lebens», sagt Noe Sonderegger über ihre Selbstporträtserie. Es ist eine Art Tagebuch einer Mutter, das authentischer nicht sein könnte. «Jedes Bild hat viel zu erzählen, denn hinter jedem steht eine Geschichte …», beginnt die 34-Jährige.

Müde und verloren

Auf Foto Nummer 3 hat Noe Sonderegger ihre Augen fest geschlossen. Sie sieht sichtlich müde und ausgelaugt aus – sie scheint in ihre Gedanken vertieft zu sein. Als Sonderegger mit den beiden Zwillingen schwanger war, sei es zu Komplikationen gekommen. Angst kam auf, als ihr Arzt zu ihr sagte, dass sie all ihre Aktivitäten stoppen müsse, um ihre Kinder zu behalten. Auch diese Momente hat die gebürtige Argentinierin mit ihrer Kamera festgehalten. Nicht nur die schönen Tage, sondern auch die etwas traurigeren. «Ich war müde, fühlte mich teils sogar verloren. Denn ich gab für meine Kinder alles», so Sonderegger.

Noe Sonderegger wollte mit ihrer Arbeit ein ungeschminktes Bild über das Mutterwerden und -sein wiedergeben. «In unserer Gesellschaft traut sich eine Mutter selten, zu sagen, dass sie am Ende der Kräfte ist.»  Eine Mutter habe in den Augen vieler taff zu sein. Schliesslich sei sie immer für ihre Kinder da. «Doch auch Mütter müssen nicht immer glücklich sein», so Sonderegger. Den Haushalt zu führen, die Kinder grosszuziehen und dabei sich selbst nicht zu vergessen, sei die Crux einer jeden Frau.

Bild 3 von 8.

Bild 3 von 8.

(Bild: Noe Sonderegger)

Die Frage nach dem Sein

Die Serie ist nicht nur ein Tagebuch, sondern die Arbeit einer leidenschaftlichen Fotografin. «Ich lebe in einer Welt voller Fotografien», sagt Noe Sonderegger. Als Mutter von drei Kindern sei es jedoch schwierig, Familie und Beruf vereinen zu können. Die Idee kam auf, eine Selbstporträtserie zu schiessen. «Über mein Leben und meine Kinder – denn das bin ich», so die 34-Jährige, die in Buenos Aires Photografie studierte und seit 2012 in Luzern lebt.

Die Bilder seien wohl dadurch auch so authentisch. «Als Fotografin ist es nicht immer einfach, solch intime Einblicke in das Leben eines anderen Menschen zu erhalten und dieses mit der Kamera festzuhalten.»

Doch sie betont: «Ich bin nicht nur Mami, sondern ich bin auch Noe.» Auf einigen Bildern hat sie sich ohne Kinder fotografiert. Ganz alleine sitzt sie auf ihrem Stuhl. Und auf einem anderen ist der unbesetzte, nackte, schwarze Stuhl zu sehen. «Das Bild soll mehr die Frage aufwerfen, wer ich überhaupt bin. Wer ist die Frau, die auch – aber eben nicht nur – Mutter von drei Kindern ist?» Denn Noe Sonderegger sagt: «Ich muss nicht nur bei meinen Kindern sein, sondern auch bei mir.»

Bild 5 von 8.

Bild 5 von 8.

(Bild: Noe Sonderegger)

Glücklich

Die Bilder hat Noe Sonderegger im Wohnzimmer ihrer Wohnung in Luzern aufgenommen. Mit Stativ und Selbstauslöser hat sie diese gemacht. Zehn Sekunden Zeit hatte sie für jedes einzelne Bild. In dieser kurzen Zeit musste sie sich auf den Stuhl setzen, ihre Kinder auf den Schoss nehmen. Die Fotos würden deshalb auch zu hundert Prozent der Realität entsprechen. «Die Bilder sind nicht gestellt», sagt Noe Sonderegger. «Deshalb müssen meine Kinder auch nicht immer lächelnd in die Kamera blicken.»

Mehr als vier Jahre sind seit dem ersten und dem achten Schwarz-Weiss-Bild der Selbstporträtserie vergangen. Jeder Tag sei für Noe Sonderegger ein Wunder gewesen. Und auch heute noch. Dass ihre beiden zweieinhalbjährigen Zwillinge und ihre viereinhalbjährige Tochter wohlauf sind, dafür ist Sonderegger dankbar. Sichtlich erleichtert zeigt sie sich denn auch auf Foto Nummer 7. Ihre Kinder gucken allesamt in die Linse der Kamera – ein wenig verdutzt, das Mädchen weint.

Foto 6 von 8.

Foto 6 von 8.

(Bild: Noe Sonderegger)

Diese neun Luzerner sind an der «Photo 19»

Mit 27’000 Zuschauern gehört die «photoSCHWEIZ» zu den wichtigsten europäischen Werkschauen für Fotografie. Bei der diesjährigen Ausstellung zeigen über 200 Fotografen auf rund 7’000 Quadratmetern ihre Werke. Dabei sind auch die folgenden neun Luzerner:

  • Noe Sonderegger
  • Olivier Walther
  • Elena Parris
  • Heidi Hostettler
  • Yves Möhrle
  • Jacqueline Lipp
  • Thomas Biasotto
  • Matt Jeker
  • Rahel Rütimann
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