Darum braucht's einen Neubau

Das Luzerner Theater platzt aus allen Nähten

Nutzt jeden Raum hinter den Kulissen des Luzerner Theaters aus: Betriebsleiter Stefan Vogel. (Bild: Michael Flückiger)

Unzweckmässig, umständlich, unsicher: Der Augenschein zeigt: Das Luzerner Theater erfüllt weder die heutigen Betriebsanforderungen noch ist es effizient und kostengünstig zu betreiben.

«Wir wünschen uns keinen Luxus. Wir wären einfach nur froh, eine Infrastruktur nutzen zu können, die funktioniert», sagt Stefan Vogel, Betriebsdirektor am Luzerner Theater, gleich zu Beginn der Tour durch das älteste Mehrspartenhaus der Schweiz. Erbaut worden ist es 1839, seither wurde es mehrfach renoviert und immer wieder angebaut. «Wir setzen schätzungsweise 60 Prozent unserer Arbeitszeit im Betrieb dafür ein, den Platzmangel und ineffiziente Infrastruktur auszugleichen.»

Laufend kommen an diesem Morgen Mitarbeiterinnen zur rückseitig gelegenen Pforte an der Theaterstrasse 2 herein. Der Taktfahrplan für den Tag ist an der Wand eingefächert. Auf zwei A4-Seiten hält er fest, was für heute auf und hinter den Bühnen vorgesehen ist.

Betriebsamkeit von morgens bis abends spät

Bereits am Morgen wuselt es im Betrieb. Auf den Gängen rüsten die Betriebstechniker die Beleuchtung auf LED um. Für 19.30 Uhr ist auf der Bühne die Tschaikowski-Oper «Eugen Onegin» angesetzt, im UG läuft um 20 Uhr der Tanzabend «Next Matters». Zur Stosszeit sind zusätzlich zum Publikum auf der Bühne wie auch hinter den Kulissen mehr als 150 Leute im Haus an der Arbeit.

Das Durchkommen ist dann zweitweise erschwert. Feuertechnisch arbeitet der Betrieb am Limit. Die Ausnahmeregelungen beim Brandschutz sind der Anciennität des Gebäudes geschuldet. Während den Vorstellungen schaut zur Sicherheit eine Brandwache von der städtischen Feuerwehr im Haus zum Rechten – auf Kosten des Theaters. Dies wäre allerdings auch in einem Neubau Vorschrift.

«Wir versuchen, wirklich jeden Winkel auszunutzen.»

Stefan Vogel, Betriebsdirektor Luzerner Theater

Eine Stunde ist für die Führung geplant. Hinter einer ersten Tür ist ebenerdig eine Werkstatt eingerichtet. Doch gehört ihr der Raum nur dem Anschein nach allein. Dicke Rohre an den Wänden und das charakteristische Summen verrät es: Das ist der Heizungsraum. «Wir versuchen, wirklich jeden Winkel auszunutzen, Mehrfachbelegungen von Räumen stehen bei uns auf der Tagesordnung», führt der Betriebsleiter aus.

Zu kleiner Orchestergraben ohne Hebebühne

Der Orchestergraben ist ein sprechendes Beispiel dafür, dass das alte Gebäude des Luzerner Theaters heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt. 70 Orchesterplätze wären für die Aufführung spätromantischer Publikumsrenner wie beispielsweise «La Bohème» von Giacomo Puccini oder «La Traviata» von Giuseppe Verdi nötig. Platz haben gerade mal 47 Personen mit ihren Instrumenten. Deswegen gibt es die Opernsparte den «Rosenkavalier» von Richard Strauss ab 21. Januar in einer Sonderfassung.

Hat zu wenig Platz und lässt sich nicht hochfahren: Der Orchestergraben im Luzerner Theater
Hat zu wenig Platz und lässt sich nicht hochfahren: Der Orchestergraben im Luzerner Theater. (Bild: Michael Flückiger)

Dass die Garderoben für die Musikerinnen eher knapp bemessen sind und sie sich in der Enge auch noch einspielen müssen, gehört dazu. Hier heisst es, den Kopf einziehen. Unterhalb der Bühne sind die Räume oftmals nur gerade 180 Zentimeter hoch.

Der Orchestergraben zur Vorbühne für das Schauspiel umzufunktionieren, ist unnötig aufwendig. Stefan Vogel erläutert: «Mit Hebebühne könnte eine Person die Orchestermöblierung hoch- und rausfahren und schon wäre umgerüstet. Jetzt brauchen wir vier Leute, um über dem Graben einen Bühnenboden für Schauspiel oder Tanz zu installieren oder umgekehrt ihn für die Oper wiederzueröffnen.» 

Hoher Zügelaufwand, da Stauraum für Bühnenelemente fehlt

Auf der Bühne finden gerade Beleuchtungsproben zum «Rosenkavalier» von Strauss statt. Die Premiere ist für den 21. Januar vorgesehen. Beleuchter knipsen im Theater nicht nur das Licht ein und aus. Um das Licht jeder Szene zu designen, werden laut Stefan Vogel 20 Stunden Beleuchtungsproben angesetzt. Das Publikum geniesst das Erlebnis. Wie viel Arbeit dahintersteckt, sieht es nicht.

«Eine moderne Bühne braucht Platz nach rechts, links, nach unten, oben und nach hinten.»

Stefan Vogel

Sehr viel Arbeit geben auch die Kulissen. Denn auf der Seite der Bühne ist kein Platz, um die schweren grossformatigen Elemente zwischenzulagern. Fast jeder Stückwechsel und damit Bühnenumbau ist mit einem Abbau und einem Transport in den Südpol verbunden. Dort sind neben den Probebühnen auch Lagerräume vorhanden.

Vieles, was automatisiert sein könnte, wird noch händisch ausgeführt. So ist das Luzerner Theater noch mit einem historischen Schnürboden ausgerüstet. 17 der 20 Züge sind Handkonterzüge, müssen also einzeln und manuell mit Gegengewichten ausbalanciert werden.

Kulissenwechsel per Hand: Die Handkonterseilanlage im Luzerner Theater
Kulissenwechsel per Hand: Die Handkonterseilanlage im Luzerner Theater. (Bild: Michael Flückiger)

Für den «Eugen Onegin» am Abend ist ein Bühnenelement von 400 Kilogramm hochzuziehen. Das Theater ist der einzige Arbeitsplatz, an dem ohne Helmpflicht schwere Lasten über den Köpfen der Beschäftigten hängen dürfen. Sicherheit auf der Bühne stellt daher sehr hohe Anforderungen an die technische Infrastruktur und die Mitarbeiterinnen. Eine automatische Vorrichtung würde nicht nur die Risiken senken, sie wäre zudem auch weniger arbeitsintensiv.

Durchdachte Kreuzbühne im Siegerprojekt

«Eine moderne Bühne braucht Platz nach rechts, links, nach unten, oben und nach hinten», unterstreicht Stefan Vogel den Bedarf des Luzerner Theaters. Mit genügend Platz lassen sich drei bis vier verschiedene Bühnenbilder mit wenigen Handgriffen verschieben und zwischenlagern. «Somit könnten wir Stücke länger im Repertoire führen und damit bessere Erträge erwirtschaften.»

Die Bühneninfrastruktur braucht also viel Platz, sonst macht ein neues Luzerner Theater nur wenig Sinn. Der Betriebsdirektor Stefan Vogel meint: «Die Kreuzbühne des Gewinnerprojekts ‹überall› von Ilg/Santer ist sehr durchdacht.» Die Höhe des Gebäudes ist zugunsten eines optimalen Betriebs vorgegeben. Vogel engagiert sich aktiv für das neue Luzerner Theater und hat in der Ausstellung in der Kornschütte mehreren Gruppen Sinn und Nutzen des Neubauprojekts aus betrieblicher Sicht erklärt.

Wie umstritten das Siegerprojekt ist, weiss er nur zu gut. Doch meint er: «Sobald die Leute sich näher auf die Inhalte einlassen, stösst der Neubau auf sehr viel mehr Verständnis.»         

Mitarbeiter essen regelmässig zu Mittag im Foyer

Nachdem der Rundgang durchwegs hinter den Kulissen verlaufen ist, geht es in den Publikumsbereich. Der Augenschein zeigt: Ist es hinter den Kulissen zu eng, wird auch dieser genutzt. Der Aufenthaltsraum für das Publikum ist zur Kantineküche umfunktioniert, im Foyer stehen Tische und Bänke.

So kann das Personal inhouse essen. Am Abend wäre das besonders wichtig, doch fehlt dieser Platz für das Catering wegen der anstehenden Vorstellungen. Die Darstellerinnen und Darsteller sind kostümiert und geschminkt. Keine günstige Aufmachung, um rauszugehen.

Der Kostünfundus ist gross, doch ist der Dachstock brandcshutztechnisch nicht ideal. Aber es hat sonst keinen Platz.
Der Kostümfundus ist gross. Aus Platzgründen ist er im brandschutztechnisch nicht idealen Dachstock untergebracht. (Bild: Michael Flückiger)

Kostüme und Schuhe unter dem Dachstock    

Geschminkt und hergerichtet werden sie im seitlichen Anbau, der auch schon hundert Jahre alt ist. Ein kleiner Raum mit höchstens sechs Plätzen muss reichen. Meterweise sind die Kleider und mit ihnen Tausende von Schuhen unter dem Dachstock eingepfercht. Das ist zweckmässig, weil sich die leichten Güter leicht herunterholen lassen. Doch ist die Brandlast für unter dem Dachstock grenzwertig.

Der Rundgang eröffnet immer wieder erstaunliche Einsichten in Platzoptimierungen, die die Theaterleute ausnutzen. So hängen mehrere Kristallleuchter neben dem Verteilerkasten für die elektrische Versorgung des Hauses. Aber als nicht brennbares Gut sind sie hier bestens aufgehoben.

Gleichzeitig ist aber auch zu erkennen, welche Fülle von Kabelsträngen hier rausführen und sich in den Gängen bündelweise quer durchs Gebäude verteilen. Die Infrastruktur für die Stromversorgung wächst ins Uferlose. Es gäbe pragmatischere Systeme.

Ein selten exotisches, aber feuerpolizeilich erlaubtes Stilleben: Verteiler, Kabelbünde und Kristallleuchter in einem Raum.

Unter dem Strich zeigt sich mehr oder weniger deutlich: Das Luzerner Theater platzt aus allen Nähten. Hinter den Kulissen wird daher viel gebastelt, damit das Publikum unbeschwert ein Musik- und Tanztheater oder Schauspiel geniessen kann. Zweckmässig ist der Betrieb aber längst nicht mehr. Es müssen zu viele Zugeständnisse gemacht und Notlösungen gefunden werden.

Betriebsleiter Vogel lobt Siegerprojekt für die Funktionalität

Das wiederum kostet viel unnötigen Aufwand und Geld. Es ist unzweifelhaft: Ein klug konzipiertes neues Theater lässt sich effizienter und mit weniger Aufwand betreiben. Von den möglichen Erweiterungen des Repertoires nicht zu reden.

Damit ein neues Dreispartentheater aber auch Sinn macht, muss es vor allem funktional durchdacht sein und möglichst wenig Aufwand im täglichen Betrieb verursachen. Die Fassade ist nicht entscheidend für den Erfolg des Hauses. Die Möglichkeiten, die es den Nutzern bietet dagegen sehr wohl.

Von der Frage abgesehen, ob das Siegerprojekt «überall» von Ilg/Santer ins Bild der Altstadt passt oder äusserlich im Geschmack der Luzernerinnen liegt: Betriebsdirektor Stefan Vogel hält es für funktional gelungen und könnte in diesem neuen Haus sehr gut arbeiten.

Das Projekt hat noch einen weiten Weg vor sich. Doch in der Auseinandersetzung ist eines nicht zu bestreiten: Es braucht ein neues Luzerner Theater. Um es zu ermöglichen, sind grosse Investitionen nötig.

Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort im Luzerner Theater
  • Gespräch mit Stefan Vogel
  • Präsentation Siegerprojekt «überall» von llg/Santer
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


8 Kommentare
  • Profilfoto von Karl Schlaepfer
    Karl Schlaepfer, 09.05.2023, 19:18 Uhr

    Standort verfehlt.
    Luzern, die grosse Kulturmetropole der Zentralschweiz, sollte die Gelegenheit eines Theaterneubaus nutzen und ihr kulturelles Angebot mit einem angemessen grossen Musical-, Operetten-, Opern- und Balletthaus im Einzugsgebiet von ca. 80 0000 Einwohnern verbessern. Für ein Gebäude dieser Grösse, mit seinen notwendigen Nebenräumen unter einem Dach, gibt es in zentraler, nachhaltiger Lage kaum noch Areale. Eine letzte, beste Möglichkeit ist der Standort Rösslimatt an der Bürgenstrasse, hinter dem Bahnhof. Zugänglich über Passarelle und Alpenquai.

    Das bestehende Stadttheater und der Brückenkopf der Kappelbrücke bilden den markanten Anfang der Altstadt auf der linken Stadtseite. Der Theaterplatz am Ende der zukünftigen Fussgängerzone Bahnhofstrasse ist wichtiger fasnächtlicher Besammlungsort. Die Wiese an der Jesuitenkirche linksseitig die einzige Grünfläche an der Reuss, hat als Naherholungs- und Ruhezone Wichtigkeit für Anwohner und Touristen.

    Das bestehende Stadttheater sollte unter Denkmalschutz gestellt werden, denn es erhält, klassizistisch gebaut, eine nicht gebrochene Atmosphäre des freien, offenen Hofraumes. Das bestehende Theatergebäude, als reines Schauspielhaus genutzt, bliebe den Bewohnern der Kernstadt erhalten.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Norbert
    Norbert, 09.01.2023, 18:00 Uhr

    Pro Spielzeit ca 100000 Besucher bei ca 350 Aufführungen
    2/3 der Besucher kommen aus dem Kanton Luzern
    In einer Studie in Deutschland hat es sich gezeigt, dass bei öffentlichen Theater die Besucherzahlen in Zukunft abnehmen werden. Das wird auch in der Schweiz nicht anders sein.
    Somit drängt sich die Frage nach der geplanten Grösse des Theaters in Luzern wirklich auf:
    Muss man aus dieser Sicht die Planung nochmals überdenken?

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Scherer Ottilia
    Scherer Ottilia, 01.01.2023, 15:59 Uhr

    Das alte Haus erhalten und leicht ausbauen. Aber sicher nicht so mächtig dass die schöne und wertvolle Kirche erdrückt wird. Für das was dort gespielt wird( hässlich modern) gibt es immer weniger Menschen die sowas schauen gehen. Wer weiss in 20 bis 30 Jahren braucht es kein Theater mehr.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
    • Profilfoto von Peter Müller
      Peter Müller, 03.01.2023, 12:07 Uhr

      Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, die Kirche braucht es vor dem Theater nicht mehr. Dem Altherrenverein mit mehr als fragwürdiger Vergangenheit sterben heute schon die letzten Kunden weg.
      Zudem stimmt es schlicht nicht, dass im Theater «hässlich modern» gespielt wird.
      Nebenbei war dies einmal der Projektwettbewerb, da wird noch ganz ganz viel ändern… Siehe als bestes Beispiel das KKL.

      👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
  • Profilfoto von Cory Gunz
    Cory Gunz, 30.12.2022, 13:38 Uhr

    Im Dachstock könnte man subto Platz machen, wenn die nicht benötigten Requisiten und Kostüme andernorts gelagert würden. So, wie das jedes Theater dieser Welt macht, weil Platz in Stadtzentren nun mal teuer und Mangelware ist.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Fredy Zurkirchen
    Fredy Zurkirchen, 30.12.2022, 12:25 Uhr

    Ich habe mir alle Projekte in der Kornschütte angeschaut. Ich muss zugeben, dass ich die betrieblichen Aspekte nur schlecht beurteilen kann. Was mir aber auffällt ist, dass die Projekte, die den bisherigen Bau integrieren, allesamt extrem viel Raum in Höhe und Breite einnehmen. Ich persönlich betrachte das bestehende Gebäude als nicht erhaltenswert, auch wenn es sich offenbar um das älteste in der Schweiz bespielte Theatergebäude handelt. Deshalb würde ich es abreissen und durch einen Neubau ersetzten. Mein Favorit: «Theaterhof»! Dafür lass ich mir gerne vorwerfen, dass mein Geschmack «seltsam rückwärtsgerichtet» ist, so wie es die Jury in ihrem Resumé dem Projekt «Theaterhof» gegenüber tat.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Jörg
    Jörg, 30.12.2022, 10:40 Uhr

    Es Interessiert mich nicht, ob das Theater platzt, es muss alles Erdenkliche gemacht werden, einen solchen Bau zu verhindern. Eine Schande unsere Regierung, sowas nur zu denken zu Bauen!

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔1Nachdenklich👎2Daumen runter
  • Profilfoto von Evi
    Evi, 30.12.2022, 07:59 Uhr

    Einverstanden es braucht ein neues Theater
    Aber sicher nicht das Siegerprojekt,

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon