Analyse: Ein Neustart täte dem Festival gut

Das Blue Balls in Luzern krankt – darum ist ein Umdenken nötig

Am Freitag fand die Eröffnung des Blue Balls statt.

(Bild: jal)

Das Blue Balls steht an und klagt über massive Geldprobleme. Bis in drei Monaten braucht das Festival eine Million Franken, um zu überleben. Es ist zu hoffen, dass es weitergeht. Aber die Krise ist auch eine Chance, den Anlass kritisch zu hinterfragen.

Er tat es wieder: Gut einen Monat vor Festivalstart hat Urs Leierer öffentlich geklagt. Zu wenig Unterstützung für sein Blue Balls, unzuverlässige Partner, lahmer Vorverkauf. Bis Ende August müssen eine Million Franken her, um die Organisation in eine neue Stiftung zu überführen. Ansonsten ist das Blue Balls in der heutigen Form Geschichte (zentralplus berichtete).

Der Festival-Chef, der schwarzmalt: Das ist das pure Gegenteil von Urs Leierer, wie er auf der Bühne die Stars begrüsst, das neuste Festival-Face verkündet und dabei auch mal eine Freudenträne verdrückt. Seit über 25 Jahren tut er das mit nicht nachlassender Leidenschaft – Respekt. Für diese Leistungen haben wir ihm kürzlich 25 Mal gedankt, dies gilt auch heute noch (zentralplus berichtete).

Darum ist zu hoffen, dass das Blue Balls weiterexistiert: Die Anziehungskraft ist immens, das Ambiente um das Seebecken einmalig und der Glaube an die Livemusik ungebremst.

Kaputter Musikmarkt

Viele Probleme sind den Umständen geschuldet: Das KKL ist für Pop-Konzerte zu teuer, das Ambiente im Luzerner Saal nicht optimal, die Konzertgagen haben jegliche Relation verloren, und die Konkurrenz ist riesig. Die grossen Konzerte sind darum «schwerst defizitär», so Leierer.

Hinzu kommen die Billettsteuern von 10 Prozent in der Stadt Luzern, die immer wieder Gegenstand von Kritik sind, sowohl von Seiten des FCL wie auch von Kulturveranstaltern. Dabei geht vergessen, dass diese Abgaben zweckgebunden in die Förderung von Sport und Kultur fliessen. Von dieser Basisförderung profitieren indirekt auch die Grossen.

Es liegt auch am Festival selber

Wer in die Kommentarspalten guckt, entdeckt viel Bedauern über das mögliche Ende – aber auch erstaunlich wenig Überraschung. Viele würden eine Reorganisation des Anlasses begrüssen.

Sie haben Recht: Ein Umdenken wäre willkommen. Im besten Fall ist die finanzielle Krise der Anlass für einen Neustart. Denn was man bei aller Sympathie für das Festival festhalten muss: Das Blue Balls hat im musikbegeisterten Luzern nicht die nötige Anerkennung. Und das liegt auch am Festival selber.

Das Blue Balls zieht zwar viele begeisterte Menschen an und ist beste Werbung für Luzern und das KKL. Gleichzeitig ist es zu wenig verankert, es fehlt die Zusammenarbeit mit lokalen Veranstaltern, Netzwerken und der Luzerner Szene.

Peter Doherty und Urs Leierer: «Beide sind nach dem überstandenen Konzert zufrieden: der Direktor und der Künstler.»

Urs Leierer in seinem Element – hier mit Musiker Peter Doherty, nach dessen Auftritt 2017.

(Bild: Beat Kienholz)

Zu wenig verankert

Nach aussen wirkt das Festival zu oft wie eine One-Man-Show von Urs Leierer. Er hat zwar ein Team um sich, welches das Programm prägt und auf die Beine stellt. Er hat einen Verein im Rücken und vor allem hunderte von ehrenamtlichen Helferinnen und Unterstützern. Aber es würde dem Festival helfen, wenn die Macher stärker als Luzerner Team wahrgenommen würde.

Vor, während und nach dem Festival ist das Blue Balls in Luzern präsent, ansonsten operiert es von seinem Büro in Zürich aus.

Pinverkauf als Reizwort

Wenn man dem Festivalchef zuhört, entsteht das Bild des ewig missverstandenen Gastgebers, dem die Luzerner zu wenig dankbar sind. Man hat das Gefühl, das Festival sei eine Bürde. Der Pinverkauf ist zu einem Reizwort verkommen.

Es scheint ein guter Zeitpunkt für das Hinterfragen von Traditionen.

Die simple Frage ist darum: Wieso macht es das Blue Balls nicht ganz anders? Welche zündende Idee könnte dem Festival zu einer neuen Daseinsberechtigung verhelfen? Leierer sagt: Wenn die Konzerte im KKL wegfielen, verliere das Blue Balls seinen internationalen Glanz. Wie schlimm wäre das?

Viel ist von Ausstrahlung und Wertschöpfung die Rede, zu wenig davon, was das Blue Balls als ureigenes Luzerner Festival sein will. Es ist vielleicht kein Zufall, dass auch das Luzerner Fest, nachdem es zu einem seelenlosen Grossanlass geworden ist, nun zurückbuchstabiert, pausiert und sich fragt: Was wollen wir sein (zentralplus berichtete)?

Auch das Lucerne Festival ist zu gross geworden und besinnt sich auf seine Stärken. Ab 2020 konzentriert es sich auf sein Hauptfestival im Sommer (zentralplus berichtete). Es scheint ein guter Zeitpunkt für das Hinterfragen von Traditionen.

Luzern ist nicht Montreux

Wenn das Blue Balls der Kulturstadt Luzern, der Musikszene und der musikbegeisterten Einwohnerschaft besser vermitteln kann, was es ihnen bietet, kommt vielleicht wieder mehr zurück.

Luzern ist nicht Montreux, auch wenn das die Vision war. Claude Nobs’ Erbe ist einmalig. Eher lohnt sich ein Blick nach Winterthur: Wer je die Musikfestwochen besucht hat, eines der ältesten Festivals der Schweiz, merkt: Da ist eine andere Verbundenheit mit der Stadtbevölkerung da.

Die Musikfestwochen sind eine Nummer übersichtlicher und bescheidener: Das Blue Balls hat ein Budget zwischen vier und fünf Millionen Franken, in Winterthur ist es rund die Hälfte. Ums Luzerner Seebecken sind es jeweils rund 100’000 Besucher, in Winterthur 55’000.

Das Blue Balls Festival

«Qualität statt Hypes», setzt sich das Blue Balls als Leitmotiv. Zwischen dem 19. und 27. Juli stehen im KKL, im «Schweizerhof» und im Pavillon am Quai wieder rund 120 Events auf dem Programm – neben Musik auch Fotografie, Kunst, Film und Talk.

Stars wie Katie Melua, Ben Harper oder Samy Deluxe treten auf, aber auch Newcomer wie Curtis Harding, Dermot Kennedy oder Emme Mcrath.

Aber im Unterschied zu Luzern gab’s in Winterthur in den letzten Jahren stets Gewinne im fünfstelligen Frankenbereich, obwohl die Mehrheit der Hauptkonzerte in der Steinberggasse gratis sind. Beim Blue Balls kumulierte sich demgegenüber der Verlust in den letzten drei Jahren auf 400’000 Franken.

Das Programm der Musikfestwochen hat Qualität – Beirut, Madrugada oder AnnenMayKantereit zeugen etwa davon. Vor allem aber ist der Anlass ein Abbild der Kulturstadt Winterthur – befreundete Komitees, Veranstalter und Konzerthäuser packen mit an. Die Konzertlokale Albani, Gaswerk, Kraftfeld und Salzhaus betreiben sogar eine eigene Bar – am Blue Balls ist das undenkbar.

Lieber ohne Chilbi

Am interessantesten ist das Blue Balls dort, wo die Stars von morgen auftreten: Das Programm im Pavillon und auf den Strassen funktioniert prima und ist handerlesen. Vielleicht braucht es mehr davon. Vielleicht muss man sich sogar vom KKL lösen, das für das Blue Balls ein zu grosses Klumpenrisiko geworden ist. Ein trotz Sponsorenplätzen halbleerer Konzertsaal killt jedes Ambiente – auch wenn das zum Glück nicht der Normalfall ist.

Wenn der Pin nicht funktioniert, gehört er abgeschafft – auch wenn er ein fairer Deal ist. Man würde eine andere Lösung finden, auch das zeigen die Musikfestwochen, die auf Gönner und Spenderinnen setzen.

«Sollte es mal ein Jahr geben, in dem die Organisatoren nicht im Vorfeld über die Finanzierung jammern, kaufe ich mir zur Feier einen Pin und ein Becherli schales Heineken. Ehre!», schreibt ein Kommentator treffend. «Luzern ohne die Blue-Balls-Chilbi? Keine schlimme Vorstellung», kommentiert ein Luzerner Musiker.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Tanja, Luzern
    Tanja, Luzern, 30.07.2019, 09:27 Uhr

    Das Blue Balls Konzept ist leider veraltet – ihr müsst mit der Zeit gehen und etwas Neues und Kreativität mitbringen. Seht es am Beispiel Locarno Moon and Stars, da gibt es kreative und einzigartige Stände, jeder individuell und anders, eine tolle Atmosphäre, Sitzgelegenheiten und ein modernes Zahlungssystem. Diese **** Depot Münzen nerven doch schon seit Jahren! Mit den grossen Standzelten verdeckt ihr was die Stadt zu bieten hat, nämlich die tolle Aussicht zum See – wieso stellt Ihr die Zelte vor den See???! Es gibt kaum Sitzgelegenheiten und hat zu viele Leute. Konzerte – 100 Mal Xavier Naidoo – echt? Bringt mal was Neues! Darf auch klein aber fein sein – von der Stadt für die Stadt. Und: plant das Festival zeitlich früher, damit auch das Wetter stimmt. Dann wird auch der Umsatz kommen, ganz bestimmt!!

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  • Profilfoto von RosaLuxemburg
    RosaLuxemburg, 12.06.2019, 13:32 Uhr

    Das Problem vom Blueballs ist, dass es eine «riesen Chilbi» ist wie ein Stadtfäscht, ein Seenachtsfäscht, etc. – die Leute gehen nicht wegen der Musik, sondern zum Bier trinken und Flanieren. Genau dieses «Judihui» und seelenlose Konstrukt führt bei mir als Stadtbewohnerin dazu, dass ich gar kein Blueballs-Fan bin. Zu viele Leute, Heineken Bier, immer dieselben Essstände, … ein Strassenmusik-Festival, ein Bühnenkunst-Festival (z.B. das weltbekannte Fringe), Gestaltungsfreiraum für die lokale Szene und das lokale Gewerbe, etc. … solche Punkte machen heute den Erfolg aus. Luzern hat das bis heute nicht begriffen, denn man kümmert sich praktisch nur um die Touristen, die dazugehörende Industrie und ein paar altbackenen Organisatoren, die zum x-ten Mal die Katie Meluas nach Luzern holen und sich dann fragen, weshalb die Leute nicht mehr bezahlen wollen. —- zerschlagt das Blueballs in kleine Happenings, schafft Raum für Kreatives und holt die lokale Bevölkerung ab. Blueballs ist weder Fisch noch Vogel.

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  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 12.06.2019, 11:21 Uhr

    Erstens mal stellt sich mir die Frage, was möchte denn der Herr Leierer? Will er eine Kunstausstellung, oder ein Bluesfestival? Zweitens Herr Leierer, warum wird das ganze aus Zürich geleitet? Ihnen fehlen hier ganz klar die Verbindungen oder neudeutsch ausgedrückt Connections. Wie sonst würde sich erklären, dass ein, entschuldigen sie den Ausdruck, totgerittenes Pferd weiterhin geprügelt wird? Es reicht nicht Verbindungen zu weltbekannten Musikern zu haben. Viel wichtiger wären lokale Verbindungen. Auch unter dem Jahr sich halt mal mit den Leuten der lokalen Szene zusammensetzen. Die haben meistens den Finger am Puls. Drittens ein Umbau des kompletten Marketings? Pinverkauf? Warum? Wenn ich an einem Festival 3-5 mal ungefragt von der Seite angeranzt werde einen Pin zu kaufen, dann frage ich mich wirklich, will ich mir diesen Schmerz das nächste Mal wieder verpassen oder bleibe ich dem Blueballs einfach fern? Machen sie es wie andere… Regulärer Vorverkauf… Abendkasse in den Bühnenbereichen… und die Sache ist geritzt. Da brauchen sie auch keine grosse Organisation für den Pinverkauf. 4. Die Ausrede Billettsteuer… Herr Leierer sie wissen ganz genau, dass die Stadt Luzern eine Billettsteuer kennt. Es ist eine fixe Grösse welche sie pro verkauftem Pin oder pro verkauftem Billett zu entrichten haben, warum jammern sie also? Diese Billettsteuer in die Kalkulation einzubauen dürfte doch das Leichteste sein. Diese Billettsteuer nun für das Manko in ihrer Kasse verantwortlich zu machen, dieses Argument ist mehr als fadenscheinig. Wer ein Millionenbudget für Betreuung und Engagement der Künstler zusammenbringt, wird auch eine saubere Kalkulation für den Billettvorverkauf zusammenbringen und die dazugehörigen Steuerabgaben einkalkulieren können. Auf ein Neues Herr Leierer und diesmal ohne «Schwarz-Peter-Spiel». Und ja ich hatte mit der Verantwortlichen Pin-Verkauf vor 3 Jahren ein Gespräch, und schon damals waren es dieselben Probleme wie sie sie heute ansprechen… Ich machte damals dieselben Vorschläge, wie ich sie hier jetzt aufgeführt habe. Leider wurde von diesem Konzept nichts angewandt, die Gründe warum, erschliessen sich mir bis heute nicht.

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