Nach einem grossartigen Start ging das «B-Sides» am Freitagabend in die zweite heisse Runde. Bei Sonnenschein und einem vielversprechenden Line-up hat sich zentralplus unters Volk gemischt – und vor allem bei der Musik genau hingehört.
Seit nunmehr 12 Jahren findet das Open-Air auf dem Sonnenberg bei Kriens statt. Und seitdem steht es für neue, spannende Musik aus dem In- und Ausland. Und es ist mittlerweile zu einem Vorschau-Fenster geworden, was die nächste Saison in Luzern angesagt sein wird.
Der Freitagabend beginnt mit lockerer Stimmung um 17 Uhr. Es tummeln sich schon die einen oder anderen Besucher auf dem Festivalgelände, das Gelände macht aber eher den Eindruck, dass es grad aufgestanden ist. Die Helfer spazieren gemütlich zwischen den Bühnen hin und her, halten ein Schwätzchen mit Bekannten und hören sich Konzerte an.
Rüstiges Quartett eröffnet Abend
Den Abend eröffnet hat die Band Hermann auf der «Bohemians Welcome»-Bühne. Mit Gitarre, Synthie, Bass und einem alten Drumcomputer spielt das «rüstige Quartett», wie es im Programm angekündigt wurde, Musik, die genau so gut aus den 80-ern stammen könnte. Wären da nicht die sozial-kritischen Texte, welche die Unstimmigkeiten der heutigen Zeit anprangern.
Das fast geschlossene Zelt am hinteren Ende ist mit einem bequemen, grünen Teppich ausgelegt, sodass ein Grossteil des Publikums gemütlich am Boden sitzt. Zuvorderst die zahlreichen Kinder mit Baustellen-Gehörschutz, dahinter die Eltern und viele Freunde der Band, die das Konzert zu einem Quasi-Heimspiel für «Hermann» machten.
Say what?
Um 18 Uhr folgte das zweite Konzert, welches rückblickend das absolute Highlight des Abends war: Emilie Zoé. Das Duo um die namensgebende Emilie Zoé an der Gitarre und Nicolas Pittet am Schlagzeug war einfach unerhört gut.
Mit einfachsten Mitteln erzeugten die zwei Neuenburger Musiker einen Sound, für den andere Formationen mindestens vier Musiker brauchen. Jeder Klang, jeder Einsatz, jedes Wort wurde exakt genau platziert und klang doch, als ob sie in völliger Verzweiflung ihr Herz ausschütten.
«Ihre Songs wechseln zwischen verzerrten Gitarren und geschrienen Lyrics zu minimalistischten Schlagzeug-Soli, während denen es auf dem Platz absolut still ist. Was eigentlich nie eintritt.»
Laura Livers über Emilie Zoés Konzert
Die grossen Augen …
Der Begriff Authentizität ist in der Musikkritik ein Unwort, welches gebraucht wird, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Aber auf Emilie Zoé trifft er zu. Das Publikum kann gar nicht anders, als die Musiker anzustarren. Nicht weil sie hübsch wären oder eine grosse Show ablieferten, sondern weil ihre Musik in ihren Gesichtern und ihrem Gestus widerspiegelt wird.
Und Emilie Zoé, die Gitarristin und Sängerin, starrt zurück mit ihren grossen Augen, in denen eine existenzielle Dringlichkeit zu lesen ist, ihre Musik dem Publikum mitzuteilen.
Ihre Songs wechseln zwischen verzerrten Gitarren und geschrienen Lyrics zu minimalistischten Schlagzeug-Soli, während denen es auf dem Platz vor der Zeltbühne absolut still ist. Ein Umstand, der an einem Open-Air eigentlich nie eintritt.
Das Konzert war eine absolute Höchstleistung der Musiker, und das Publikum bedankte sich mit minutenlangem Schlussapplaus und Zugabe-Rufen. Schade war nur, dass das Konzert an einem Freitagabend um 18 Uhr stattfand und so ein Grossteil der Festivalbesucher diesen Wahnsinnsmoment verpasst hat. So eine Formation gehört meiner Meinung nach in einen späteren Slot.
Invasion der Synthesizer
Auf die raue Musik von Emilie Zoé folgten «Dear Reader» aus Berlin. Mit Synthies, Stage-Piano, E-Cello und Schlagzeug spielten sie Musik, die ein wenig wie elektronischer Irish-Folk klang.
Hübsche Gesangspassagen, schöne Akkorde, A-capella-Chorgesang und lüpfige Beats erzeugten eine Stimmung von Glückseligkeit und Naivität, die vom Publikum eher verhalten aufgenommen wurde.
Schwatzen und Trinken angesagt
Im «Bohemians Welcome»-Zelt stand mit «East Sister» die nächste Luzerner Formation auf der Bühne. Auch ihr Sound, unterlegt von sphärischen Klängen und leisen, luftigen Gesangsmelodien, verleitete das Publikum mehr zum Schwatzen und Trinken als zum aufmerksamen Zuhören.
Das «B-Sides» ist halt, trotz des hohen Anspruches und den ausgefeilten Kunstprojekten, trotzdem das Luzerner Hausfestival, an dem sich Freunde und Bekannte wiedersehen und sich die Ereignisse des letzten Jahres erzählen wollen.
Dänen zerstörten die Stimmung
Mit Selvhenter aus Dänemark war dann der Gipfel des angestrengten Zuhörens erreicht. Das Quintett, bestehend aus Geige, Posaune, Saxofon und zwei Schlagzeugern, spielte einen so dichten, elektronisch-verzerrten Experimental-Sound, der für einen Moment die Festivalstimmung komplett auslöschte.
Dass ein traditionell ausverkauftes Festival ein guter Ort ist, um auch non-konforme Musik unter die Leute zu bringen und so den gewohnheitsgeplagten Musikliebhaber die Ohren geöffnet werden, versteht sich von selbst. Um diesen Effekt aber herzustellen, bedarf es Musik, die auf einer Open-Air-Bühne funktioniert.
Selvhenter tat das nicht. Zu komplex waren die Soundlayers, zu undifferenziert die einzelnen Instrumente – auch Geige, Posaune und Saxofon wurden über Effekte gejagt, dass ihr Akustikklang nicht mehr annähernd zu erahnen war – zu sehr verlor sich der Sound auf dem Gelände, als dass man dieser Musik hätte interessiert folgen können.
Die späte Teilrettung
Der elektronisch-reverbige Sound zog sich auch weiter durch das Programm. Mit der Band Wand stand eine kalifornische Formation auf der Zeltbühne, die immerhin noch nach Sonne und Strand klang und so den Besuchern die Möglichkeit gab, mit viel Wohlwollen die Festivalstimmung zu zelebrieren, vereinzelt wurde auch getanzt.
Um halb elf trat dann mit «a=f/m» die nächste einheimische Formation auf. Mit ihrer 90’s-RnB-Ästhetik hüpften die zwei Sänger auf der kleinen Bühne herum, und das Publikum mit, sofern sie konnten. Die Clubstimmung war ansteckend und liess die Luft innert zwei Songs sehr dünn werden.
Voll, voll, voll …
Das für dieses Konzert viel zu kleine Zelt war zum Bersten gefüllt, alleine für das Rausgehen musste man fünf Minuten lang auf Füsse treten und sich wegen unabsichtlicher Ellenbogen-Checks entschuldigen, bis weit nach dem Zelteingang.
Vor der Hauptbühne hatte sich mittlerweile eine grosse Menschenmenge angesammelt, denn als nächstes stand «Zeal & Ardor» auf dem Programm. Die ursprünglich aus Basel stammende Band, rund um Bandleader Manuel Gagneux, ist seit ihrem Debut-Album 2016 international am Durchstarten. Der Mix aus Black-Metal und Südstaaten-Spirituals entsprach dann auch gänzlich der Idee, neue, ungewohnte Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Ohren voll mit Sound
Egal ob einem die Mischung zusagt oder nicht, konnte man angenehm überrascht mit dem Kopf wippen und sich von den Gospel-Passagen mitreissen zu lassen. Mit diesem Konzert beendete die zentralplus-Kritikerin dann aber den Abend. Mit vollgefüllten Ohren und müden Füssen, und sie kehrte mit dem Festival-Shuttle wieder nach Hause zurück.