Luzerner erschuf Neologismus-Wälzer

Beruf: Worterfinder. Nur, was macht der Mann den ganzen Tag?

Er beherrscht das Spiel mit den Buchstaben. Hier etwas sehr bildhaft dargestellt.

(Bild: jav)

Der Luzerner Künstler René Gisler ist ein Neologist, ein Worterfinder. Er baut aus alten Worten neue. Und das tut er beispielsweise, indem er in der Zeitung Wörter anstarrt.

Was tut ein Neologist? Diese Frage kennt René Gisler gut, denn Neologismen sind seine Berufung – und die ist keine gewöhnliche. Er erklärt: «Ich bin Bildhauer. Ich baue Wörter und der Leser macht sich seine Bilder.» Tatsächlich erfindet er sie nicht unbedingt neu, auch wenn man «Neologist» umgangssprachlich mit «Worterfinder» übersetzen könnte.

Meist sei es nur eine Kleinigkeit, wie ein einzelner Buchstabe, der aus dem Ursprungswort etwas Neues macht: «Information» und «Ration» fusionieren zur «Informration» zum Beispiel. Manchmal fällt auch einfach ein Buchstabe weg und die Wirklichkeit wird als «Wirkichkeit» entlarvt.

Aus dem Rahmen fallen

Der 51-Jährige ist Künstler und doziert an der Luzerner Hochschule. Seine Brötchen verdient er also zum grössten Teil als Dozent und manchmal auch als Berater und kreativer Kopf für Firmen. Sein Herz, oder besser sein Hirn, schlägt allerdings für Worterfindungen.

«Dann kommt die Arbeit, und das heisst ‹Wörtli anstarren›.»
René Gisler, Neologist

Die besten Wortschöpfungen? «Die, welche eine Reibung entstehen lassen.» «Leserschwert», «followner», «Kommherz», «Zufallsch», oder auch «Kopfweltjäger», seine Berufsbezeichnung. Gesellschaftskritische und poetische Neologismen haben es Gisler ganz besonders angetan.

Ist das Kunst oder bloss eine schräge Leidenschaft? «Beides», sagt Gisler lachend. Die Neuschöpfungen sind seine Form, aus dem Rahmen zu fallen. «Es gilt Strukturen zu hinterfragen, um wach zu bleiben», sagt der Künstler. Es geht bei seiner Arbeit um das Fabulieren mit der Sprache, das Erschaffen von Bildern und das Freilegen von verborgenen Ausdrucksmöglichkeiten.

«Wörtli anstarren» ist ein grosser Teil seines Jobs. René Gisler ist Neologist.

«Wörtli anstarren» ist ein grosser Teil seines Jobs. René Gisler ist Neologist.

(Bild: jav)

«Wörtli anstarren»

Doch wie funktioniert seine Arbeit? Läuft er herum und hofft auf Eingebung? «Am besten funktioniert die Arbeit beim Lesen, denn durch den Dialekt wird das Wortbild beim Sprechen stark verändert», erklärt der gebürtige Schattdorfer. Eher selten, bei Gesprächen mit Deutschen, beim Radiohören oder Fernsehschauen komme ein Einfall übers Ohr.

Eine Zeit lang habe er täglich die «NZZ» gelesen, auf der Suche nach neuen Worten. «Denn der alltägliche Wortschatz ist irgendwann aufgebraucht.» Er habe die Artikel jeweils zuerst durchgelesen, um danach nicht mehr am Inhalt hängen zu bleiben. «Dann kommt die Arbeit, und das heisst ‹Wörtli anstarren›», sagt Gisler und lacht.

Ein Buch – 300 Autoren

Über die Jahre ist so ein riesiges Sammelsurium an Neologismen zustande gekommen. In seinem aktuellsten Projekt bringt Gisler diese als «Enzyklopädie» heraus. 16’000 Worterfindungen werden darin publiziert. «Ein unübersehbares Statement für das kreative Chaos der Sprache», schreibt Gisler auf der Crowdfunding-Seite Wemakeit, wo sein Projekt noch wenige Tage läuft und noch einige Tausend Franken fehlen.

Die «Enzyklopädie»

Das Buch namens «Thesaurus rex» wird mit Unterstützung von Stiftungen wie der Albert Koechlin Stiftung beim Luzerner Verlag «Der gesunde Menschenversand» erscheinen. Mit rund 1’000 Seiten Umfang und einer Auflage von 1’000 Exemplaren.

Doch klar ist: Das Buch wird rauskommen. Im Frühling 2019. «Mit der Veröffentlichung des Buches kann ich das jahrelange Projekt beenden.» Mit dem Projekt meint er den Blog «phrasadeurs verbarium», den Gisler 2006 initiiert hat und der seither von zahlreichen Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ergänzt wird. Ungefähr 300 Menschen haben sich über die Jahre eingebracht – einige weniger, andere intensiver. Zehn Leute seien schlussendlich für rund 90 Prozent des Inhalts verantwortlich.

Diese «Enzyklopädie» sei keine im klassischen Sinne. Es gehe nicht um das festgeschriebene Wissen und das Vermitteln davon, sondern eben gerade darum, dies auch hinterfragen.

 

Endlos oder endlich los

Neologismen zu erschaffen sei ein endloses Feld, sagt Gisler. «Doch irgendwann werden die Worte immer verstiegener und komplizierter.» Die einfachen Neuschöpfungen seien noch immer die «erfolgreichsten».

Im Alltag benutze er seine Neuschöpfungen jedoch praktisch nicht. «Sobald die Neologismen in meinem aktiven Wortschatz  auftauchen würden, müsste ich definitiv damit aufhören», sagt Gisler und lacht. Denn dann wäre er wie der Mann aus Peter Bichsels Geschichte «Ein Tisch ist ein Tisch».

 

Kommt René Gisler Ihnen bekannt vor? Das ging uns genauso.

Er ist zentralplus mit «Thesaurus rex» nicht das erste Mal begegnet. Vor fast exakt einem Jahr servierte er uns in seinem beneidenswerten Zuhause einen Kaffee. Im historischen Wagner-Haus auf der Tribschenhalbinsel. (Zum Artikel)

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